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Wirtschaft: Tausche Wohnung gegen Nummernschild

In Shanghai ein Auto zu kaufen ist leicht – aber die Zulassung zu bekommen, ist fast unmöglich

Von Peter Wonacott In einem Auktionshaus in Shanghai stürzt sich der 51jährige Immobilienmakler Li Zhongji ins Gewühl. Er will für ein Nummernschild bieten. Um das möglich zu machen, hat er sein Motorrad verkauft und sogar versucht, seine Wohnung zu veräußern. Denn ein Nummernschild zu bekommen, ist schwierig in China. Die örtlichen Behörden fürchten nämlich, einen zu großen Ansturm auf Autos – denn inzwischen gibt es viele Menschen, die sich wie Herr Li schon immer ein Auto gewünscht haben und es sich jetzt auch leisten können. Also versuchen die Behörden, es den Autonarren so schwer wie möglich zu machen. „Was würde passieren, wenn jeder, der will, sich ein Auto kauft?“, fragt Sun Jian, stellvertretender Direktor des Shanghaier Umweltschutzamtes. „Schon morgen wären wir ein einziges Parkhaus.“

Für Autohersteller und auch das Wirtschaftswachstum ist die blühende Autokultur in China natürlich eine gute Nachricht. Den Behörden, die sich um Verkehrschaos, Smog und steigende Ölimporte sorgen, bereitet sie dagegen Kopfzerbrechen. In den ersten fünf Monaten 2004 wurden in China im Schnitt 14195 Autos täglich zugelassen. Innerhalb der kommenden zwanzig Jahre könnte China sogar die USA als weltweit größten Automarkt ablösen.

Die örtlichen Ämter haben daher unterschiedliche Methoden entwickelt, den potenziellen Käufern Steine in den Weg zu legen. Die Stadt Changchun im reicheren Nordosten erhebt eine jährliche Gebühr von 600 Yuan (58 Euro) auf jedes gekaufte Auto. Die ärmere Stadt Shaoyang verlangt ein Prozent des Kaufpreises von den Autokäufern.

Solche Maßnahmen sind nicht nur in Chinas autovernarrter, aufstrebender Mittelklasse auf Widerstand gestoßen. Die Zentralbehörden, die für die Weiterentwicklung der Automobilindustrie eintreten, haben im Jahr 2000 die Städte angewiesen, alle Gebühren, die im Zusammenhang mit Autos stehen, zurückzunehmen. Insgesamt hatte es davon 238 Arten gegeben. Huang Hai vom Handelsministerium erteilte kürzlich auch Shanghai wegen seiner Auktion einen Tadel. „Das Auto ist eine Annehmlichkeit, die in einer modernen Gesellschaft nicht fehlen darf“, sagt Huang.

In Shanghai werden Nummernschilder nicht nur scherzhaft das wertvollste Metall der Stadt genannt. Im Mai stieg das Durchschnittsgebot auf das Vierfache des jährlichen Pro-Kopf-Einkommens von 1000 Dollar. Im Juni haben fast 20000 Menschen auf 6233 verfügbare Kennzeichen geboten. Wie viele Nummernschilder erhältlich sind, hängt von der Anzahl der aus dem Verkehr gezogenen Autos und der Anzahl der Autoverkäufe ab.

In Shanghai entstand das erste Auktionssystem 1986, nachdem eine Gruppe Verkehrspolizisten Singapur besucht hatte. Dort wird die Anzahl der Autos reguliert, indem man auf eine zehn Jahre gültige Zulassungserlaubnis bieten muss. In Shanghai erhält der höchste Bieter das Nummernschild. Dabei muss man sein Gebot abgeben, ohne zu wissen, was die anderen geboten haben. Derzeit haben 1,8 Millionen Menschen, etwa jeder Zehnte, in Shanghai eine Fahrerlaubnis. Aber nur wenige können ihr eigenes Auto fahren, weil sie kein Nummernschild haben.

Auch Lisa Fang, die als leitende Angestellte bei einer Baufirma beschäftigt ist, möchte gemeinsam mit ihrem Mann ein Gebot abgeben. Sie sagt, sie sei 1991 während eines Urlaubs in Los Angeles vom Autofieber gepackt worden. „Überall Toyotas“, sagt sie. „Junge und Alte fahren ihr eigenes Auto. In Shanghai dagegen wollen die Menschen ein Auto und können es sich auch leisten, aber das System lässt sie nicht.“

Ein Angestellter bei einer Stahlgesellschaft steht nervös neben einer Reihe Computer. Er sagt, bei drei vorangegangenen Auktionen habe er zu niedrig geboten. Diesmal war sein Gebot hoch genug (3790 Euro), aber er verzichtete wegen des hohen Preises zugunsten des Nächstbietenden. Die beschränkte Zulassung für seinen Hyundai Sonata sei bereits seit Jahren abgelaufen, sagt er, so dass er viel Zeit damit verbringe, die Shanghaier Verkehrspolizei zu umfahren.

Herr Li, der Immobilienmakler, hat dieses Mal etwa 1655 Euro geboten. Ein Freund hatte ihm diesen Rat gegeben. Aber es reicht wieder nicht. Sein Gebot war 90 Dollar (73 Euro) zu niedrig. „Ich war so nah dran“, sagt Herr Li. Eine Woche später meldet er sich für die Juli-Auktion an. Diesmal nimmt er keinen Rat an. Er will ein hohes Gebot abgeben.

Übersetzt und gekürzt von Tina Specht (Siemens), Svenja Weidenfeld (Autos), Matthias Petermann (EU und Japan) und Christian Frobenius (Russland).

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