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Wirtschaft: Tausende Unternehmen vor dem Ruin

Hochwasser trifft kleine Gewerbetreibende und Mittelständler hart – Ausmaß der Schäden noch nicht absehbar

Dresden/Magdeburg/Berlin (Tsp). Nach der Flutkatastrophe in Ostdeutschland stehen Tausende Gewerbetreibende und Unternehmen vor dem Aus. Ersten Schätzungen zufolge sind allein in Sachsen 10000 Einzelhändler mit 30000 Beschäftigten betroffen. Der Schaden für die sächsische Landwirtschaft wird auf weit mehr als 200 Millionen Euro geschätzt. Rund 740 Kilometer Straßen sind in dem Bundesland unbrauchbar, 180 Brücken beschädigt oder zerstört. Rund 540 Kilometer des Eisenbahnnetzes müssen saniert werden, das entspricht etwa 20 Prozent des gesamten sächsischen Streckennetzes.

Allein die bisher erfassten Schäden an der Infrastruktur werden vom sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU) mit drei bis fünf Milliarden Euro beziffert. Der Wiederaufbau der von den Flutmassen insgesamt zerstörten Bahnanlagen wird nach Einschätzung von Bahn-Chef Hartmut Mehdorn mindestens ein Jahr dauern. Der Schaden liege bei mehr als 500 Millionen Euro. Vertreter des Wirtschaftsministeriums und der Sächsischen Aufbaubank waren unterdessen im Hochwassergebiet unterwegs, um vor Ort Sprechstunden für die geschädigten Unternehmen anzubieten.

Bundeswirtschaftsminister Werner Müller hat an die von der Flutkatastrophe betroffenen Betriebe appelliert, nicht voreilig Mitarbeiter zu entlassen. Laufende Kosten für die Beschäftigten während der Phase der Kurzarbeit würden vorübergehend vom Staat übernommen, sagte Müller nach der Sondersitzung des Bundeskabinetts. Die von der Katastrophe betroffenen Betriebe erhielten jeweils sehr schnell 10000 Euro als Soforthilfen. Weitere Hilfen bezögen sich auf Schuldenerlasse für diejenigen, deren Anlagen teilweise oder total zerstört seien, sowie auf Kreditvergünstigungen. Beim Eigenkapitalhilfeprogramm werde es weitere Erleichterungen geben, sagte Müller.

Wie viele Unternehmen insgesamt in der von der Flut betroffenen Region zu Schaden kamen, lässt sich seriös noch nicht schätzen. Bis Montag meldeten sich bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden rund 400 geschädigte Unternehmen. Der Freistaat Sachsen hat klein- und mittelständischen Unternehmen, Handwerkern und Selbstständigen Hilfe zugesichert. Je Arbeitsplatz soll ein Zuschuss von 500 Euro gezahlt werden.

Der Ostdeutsche Sparkassen- und Giroverband (OSGV) denkt darüber nach, einen Hilfsfonds aufzulegen. Bedürftigen Kunden sollen Zinszuschüsse und Eigenkapitalhilfen gewährt werden. Der OSGV rechnet mit erheblichen Belastungen durch das Hochwasser. Betriebe und Häuser seien zerstört worden, die als Sicherheiten für Kredite dienten. Zugleich hofft Rainer Voigt, geschäftsführender Präsident des OSGV, jedoch darauf, dass sich der Wiederaufbau wie ein kleines Konjunkturprogramm auswirken könnte.

Besonders hart hat es die Einzelhändler getroffen. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Sachsen, Eberhard Lucas, spricht von schätzungsweise 10000 Geschäften, die vom Hochwasser getroffen wurden. „Es gibt Städte, da kann man nicht mehr einkaufen. Da gibt es überhaupt keinen Einzelhandel mehr." Der Karstadt-Konzern musste in Dresden zwei Kaufhäuser schließen. Noch schlimmer hat es den Konkurrenten Metro erwischt. In Dresden mussten ein Metro-Großmarkt, der Media-Markt und ein Praktiker-Baumarkt zumachen. In der Kaufhof-Sportarena stand das Wasser in den ersten beiden Untergeschossen. Die Höhe der Schäden ist noch unbekannt.

Das deutsche Hotelgewerbe befürchtet durch das Hochwasser einen weiteren Rückschlag für die von der Konjunkturflaute bereits betroffene Branche. Die Lage werde durch die Flut zusätzlich verschärft, erklärte der Vorstand des Hotelverbands Deutschland (IHA), Fritz Dreesen. In Dresden wird das direkt am Elbufer gelegene Hotel Westin Bellevue acht bis zehn Wochen geschlossen bleiben. „Der Keller steht voll Wasser, und wir können nicht abpumpen, solange die Statik des Gebäudes gefährdet ist“, sagte der Direktor des 339-Zimmer-Hotels, Joachim Volz. „Es geht um sehr, sehr viel Geld.“ Einschließlich der Buchungsausfälle beklage man einen „Millionen-Schaden“.

Entwarnung konnte am Montag in der Produktion der staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen gegeben werden, die für eine Woche ausgesetzt worden war: Die Öfen wurden wieder hochgefahren. Die Schadenhöhe ist noch nicht bekannt. Auch die Uhrmacherstadt Glashütte im Osterzgebirge muss schwere Schäden bewältigen. So rechnet der Uhrenhersteller Nomos mit Sachschäden von rund 150 000 Euro. Auch Nomos will aber die Produktion diese Woche wieder aufnehmen.

Bei der gläsernen Automanufaktur von VW in Dresden arbeitet seit Montag wieder die volle Belegschaft an der „Phaeton“-Produktion. Während der Nachschub aus dem 4,5 Kilometer entfernten Logistikzentrum üblicherweise just-in- time per Straßenbahn erfolgt, kommt das Material jetzt per Kleinlaster. Die Schienen sind nicht befahrbar.

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