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Die Vormacherin. Kathrin Stübbe ist Chefin im Forschungsbereich „Softwareintensive Systeme“ bei Bosch – und seit zehn Jahren in Teilzeit beschäftigt.

© D. Calagan/dpa-tmn

Teilzeit: Geht doch

Führungskräfte arbeiten heute selten in Teilzeit, doch es werden immer mehr. Wie man Chef sein kann – auch wenn man nur vier Tage die Woche im Büro ist.

Freitags ist die Kathrin Stübbe nie da. Sie arbeitet im Forschungsbereich „Softwareintensive Systeme“ bei Bosch und führt ein Team mit 60 Mitarbeitern. Am Montag und Mittwoch können ihre Mitarbeiter sie bis 16 Uhr im Büro antreffen, am Dienstag und Donnerstag ist sie häufig bis 18 Uhr da, bei Bedarf auch länger. Für eine Führungskraft scheinen das ungewöhnlich kurze Arbeitszeiten zu sein.

Dabei arbeitet Stübbe an sehr komplexen Themen. Ihr Team forscht zum Beispiel an Prototypen für Werkzeuge, mit denen man Software entwickeln kann. Diese Werkzeuge machen es etwa möglich, dass ein Bosch-Backofen von alleine merkt, wann ein Kuchen fertig ist – und sich dann automatisch ausschaltet.

Kathrin Stübbe ist Chefin, obwohl sie nur eine 70-Prozent-Stelle hat. Und das seit fast zehn Jahren. Als ihr erster Sohn geboren wurde, war sie bereits Führungskraft. Damals noch in Vollzeit. Neun Monate nach der Geburt kehrte sie in den Job zurück und arbeitete als Führungskraft zunächst 50 Prozent. Sie bekam ein zweites Kind, stockte später irgendwann auf 70 Prozent wieder auf. „Die Regelung erlaubt mir, einen interessanten Job und meine Familie unter einen Hut zu bekommen“, erzählt sie. Und: „Im normalen Alltag klappt das sehr gut.“

Was für Kathrin Stübbe seit vielen Jahren Praxis ist, dürfte bei vielen Angestellten und Personalern Erstaunen auslösen. Dass Führen in Teilzeit möglich ist, halten viele immer noch für ausgeschlossen. Und tatsächlich machen es derzeit auch nur wenige.

Spitzenreiter sind die Niederlande

2014 arbeiteten nach Angaben der Arbeitskräfteerhebung von Eurostat lediglich 6,5 Prozent der Führungskräfte in Deutschland mit reduzierter Stundenzahl. Zehn Jahre zuvor, also 2004, waren es 6,1 Prozent. Danach stieg der Wert auf bis zu 7,7 Prozent an, sank dann aber auch wieder. Im europaweiten Vergleich steht Deutschland damit im Mittelfeld. Spitzenreiter sind die Niederlande. Dort führte 2014 fast jede fünfte Kraft (17,4 Prozent) in Teilzeit, auf Rang zwei liegt Großbritannien mit 10,9 Prozent. Schlusslicht ist die Tschechische Republik mit 1,6 Prozent.

Aber möglicherweise steht in den Unternehmen ein Umdenken bevor: „Der Arbeitsmarkt wird immer mehr zum Bewerbermarkt“, sagt Brigitte Abrell. Sie ist selbst seit vielen Jahren Führungskraft in Teilzeit bei einer Versicherungsgesellschaft und hat ein Buch zum Thema geschrieben (siehe Kasten). Gute Führungskräfte zu finden, sei in Branchen mit Fachkräftemangel nicht so leicht. Unternehmen seien deshalb zunehmend zu neuen, ungewöhnlichen Führungsmodellen bereit.

Als Stübbe bei Bosch vor zehn Jahren als Führungskraft in Teilzeit ging, durchlebte der Konzern gerade einen kulturellen Wandel. Um Mitarbeiter an sich zu binden, experimentierte die Firma erstmals mit neuen Führungsmodellen, erzählt sie. Führung in Teilzeit war von der Geschäftsleitung ausdrücklich erwünscht. „Auch mein direkter Vorgesetzter hat mich immer unterstützt“, erinnert sich Stübbe. Dieser Rückhalt von oben sei entscheidend, um ein Führungsmodell in Teilzeit umzusetzen.

Heute gilt bei Bosch der Grundsatz: Jede Stelle ist teilzeitfähig, es sei denn, die Führungskraft hat gute Argumente für das Gegenteil.

Doch wie das Ganze organisieren? Will eine Führungskraft den Schritt in die Teilzeit gehen, muss der Arbeitgeber zunächst eine Aufgaben- und Umfeldanalyse machen, sagt Abrell. Bei ersterer wird geklärt, welche Aufgaben die Führungskraft hat und welche sie delegieren kann. Bei letzterer wird überlegt, welches Teammitglied die Aufgaben übernehmen kann.

Außerdem rät Abrell dazu, die Stundenzahl am Anfang nicht zu stark zu reduzieren. Zu Beginn sei es häufig ratsam, nicht unter 75 Prozent zu gehen. Sonst sei es oft besser, dass sich zwei Chefs eine Stelle im Rahmen eines Jobsharing-Modells teilen. Schließlich sollten die Führungskraft und ihr Team überlegen, wie Arbeitsabläufe sich ändern müssen. Dazu kann gehören, dass wichtige Meetings nicht mehr wie bislang immer erst am späten Nachmittag stattfinden. Dafür müssen neue Regeln und Abläufe gefunden werden.

Man muss Verantwortung abgeben können

Als Stübbe begann, in Teilzeit zu führen, musste sie sich außerdem persönlich stark umstellen. „Man muss bereit sein, Verantwortung abzugeben“, erzählt sie. Aufgaben, die sie früher selbst wahrgenommen hat, macht heute ihr Stellvertreter. Schwierig war am Anfang auch, klare Absprachen mit ihrem Vorgesetzten zu treffen, was ihr genauer Arbeitsumfang ist. Und sie musste sich daran gewöhnen, flexibel zu sein: Wenn im Büro viel los ist, bleibt sie auch einmal länger, als ihre Arbeitszeit es vorsieht.

Doch nachdem ihr Arbeitgeber und sie diese Lernkurve durchlebt haben, klappt das Modell nun reibungslos. Stübbe glaubt, dass fast alle Positionen in Teilzeit gemacht werden können – bis auf drei Ausnahmen: jene, die einen hohen Vernetzungsgrad erfordern, jene, bei denen der Alltag viele unvorhergesehene Ereignisse mit sich bringt, und jene, bei denen die Mitarbeiter vor Ort angeleitet werden müssen. Bei allen anderen lasse sich auch mit reduzierter Stundenzahl führen – jedenfalls, wenn der Wille der Geschäftsführung gegeben ist. dpa

Kristin Kruthaup

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