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Wirtschaft: Teurer als eine Fahrt zum Mond

Großbritannien hat das Bahnnetz privatisiert – und scheiterte

Gelegentlich nimmt der Chef der britischen Bahngesellschaft Virgin Train, Chris Green, Gäste mit auf eine kurze Testfahrt seines Pendolino-Hochgeschwindigkeitszugs. Dann bittet er den Lokführer, den Zug einmal probehalber von 180 auf 230 Stundenkilometer hochzuziehen und freut sich wie ein Schneekönig. „Das geht los wie ein Sportwagen.“ 230 Stundenkilometer sind zwar nicht gerade sensationell in der Zugtechnologie des 21. Jahrhunderts. Doch Greens glitzernder Pendolino könnte das auf Großbritanniens überalterten Gleisanlagen schaffen – und das wäre schon beachtlich.

Wäre – denn die Netzgesellschaft Railtrack  hat es, nachdem Virgin die Züge bestellt hatte, nicht geschafft, das Signalsystem auf der West Coast Main Linie (WCML) zwischen London und Glasgow zu modernisieren. Railtrack konnte das Versprechen nicht halten, neben den roten Virgin-Flitzern täglich noch 120 sehr viel langsamere Züge über die Strecke zu leiten. Und noch einmal 2000 Züge, die die Strecke kreuzen. Die WCML ist das Herz der britischen Eisenbahn, allein 43 Prozent der englischen Zugfracht gehen über diese Strecke. So blieben die 230 Stundenkilometer mit dem Pendolino ein Traum.

Von London nach Manchester in weniger als zwei Stunden, Milliardeninvestitionen, besserer Service, kundengerechte Fahrpläne – das war die Vision. Geblieben sind auf der 640 Kilometer langen WCML-Strecke bequemere Sitze, 14 Stereokanäle, Handyaufladegeräte, kostenloser Kaffee und der Zugshop mit Kosmetika, CDs und Sandwiches. Lieber wäre den Fahrgästen ein pünktlicher Zugbetrieb. Fast jeder fünfte britische Zug hat Verspätung. Wird die Verspätung zu groß, wird bei Virgin schon mal ein Zug zurückbeordert. Dann stehen die Fahrgäste auf dem Bahnsteig und warten auf den Nächsten.

Die vollkommen überalterte und überfüllte WCML ist der Kern der Privatisierungsmisere. Railtrack konnte deshalb seine Verträge mit Virgin nicht erfüllen und wäre zu unbezahlbaren Vertragsstrafen verpflichtet gewesen. So wurde Railtrack vom Markt genommen und unter staatliche Kontrolle gestellt. Die Nachfolgeorganisation Network Rail treibt die Modernisierung nun mit traditionellen Methoden voran und verzichtet auf die Pendolino-Höchstgeschwindigkeit und ein Zugsystem für das 21. Jahrhundert. Trotzdem kostet die Renovierung mehr als Georg W. Bushs neues Mondfahrerprogramm.

Neun Jahre nach der Privatisierung und drei Jahre nach dem Scheitern von Railtrack basteln die Briten immer noch an ihrer Eisenbahn. Die Modernisierung des jahrzehntelang vernachlässigten Streckennetzes kostet 40 Milliarden Pfund – das sind sechs Milliarden Euro jedes Jahr in den kommenden zehn Jahren. Diese Kosten ließen die Privatisierung scheitern, nicht nur die Trennung von Schienennetz und Transportgesellschaften.

Wie alles wieder zusammengeführt werden kann, ist bis heute ungelöst. Soll man das Streckennetz den 14 Zuggesellschaften übergeben – oder andersherum, dem Netzbetreiber Network Rail auch die Aufsicht über Zugfahrpläne, Pünktlichkeit und Leistungsbewertung geben? Die Bahnfahrer- Lobby macht sich dafür stark, dass an der Spitze der Branche jemand steht, der eine Vision für die Zukunft der Bahn hat. Bis zum Sommer soll Verkehrsminister Alastair Darling entscheiden – und wird die Eisenbahn wohl irgendwie erneut unter staatliche Kontrolle bringen.

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