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Thilo Sarrazin: Wie feuert man einen Bundesbank-Vorstand

Die Bundesbank-Juristen schlafen unruhig. Viele von ihnen halten den vom Vorstand eingeschlagenen Weg, Thilo Sarrazin durch den Bundespräsidenten abberufen zu lassen, für fragwürdig. Auch deshalb hat die Bank ihrem Provokateur ein finanziell attraktives Abfindungspaket vorgelegt.

Der Bundesbankvorstand beschloss am vorigen Donnerstag einstimmig, beim Bundespräsidenten die Abberufung von Sarrazin aus dem Vorstand zu beantragen. Darin heißt es, Sarrazin habe durch sein Verhalten in der Öffentlichkeit - also mit seinen provozierenden Äußerungen zum Islam und zur Zuwanderung - "in gravierender Weise" gegen den Verhaltenskodex für Vorstandsmitglieder der Bundesbank "verstoßen".

Hauseigene Juristen dagegen waren von Anfang an skeptisch: Sie bezweifeln, dass die Bundesbank mit dem Antrag auf Abberufung das richtige Verfahren gewählt hat. Denn im Bundesbank-Gesetz wird den Mitgliedern des Vorstands die Unabhängigkeit gegenüber politischer Einflussnahme garantiert. "Die Deutsche Bundesbank ist bei der Ausübung der Befugnisse, die ihr nach diesem Gesetz zustehen, von Weisungen der Bundesregierung unabhängig", heißt es dort in Paragraf 12.

Damit unterliegt der Vorstand einem Abberufungsschutz, der auch darin zum Ausdruck kommt, dass das Bundesbankgesetz keine Silbe über eine vorzeitige Abberufung enthält. Der jetzt eingetretene Fall ist nicht nur ein Präzedenzfall, er ist juristisch nicht vorgesehen.

Der politische Druck aber - den es laut Bundesbank-Gesetz nicht geben darf - war im Vorfeld der Bundesbank-Entscheidung unüberhörbar. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Sarrazins Äußerungen über muslimische Einwanderer als "vollkommen inakzeptabel" bezeichnet und erklärt, sie sei sich "ganz sicher, dass man auch in der Bundesbank darüber sprechen wird". Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte Sarrazin nicht nur "verantwortungslosen Unsinn" vorgeworfen, sondern gesagt, Sarrazin habe "ersichtlich gegen seine Verpflichtung zur Zurückhaltung" verstoßen.

Die einzige Rechtsgrundlage, auf der das jetzt in Gang gesetzte Verfahren stattfinden kann, ist nach Ansicht von Experten ein vertraulicher Passus in Sarrazins Anstellungsvertrag, wonach der Vorstand beim Staatsoberhaupt seine Entlassung beantragen kann. Ob dieser individuell ausgehandelte Passus - der sich keineswegs in allen Vorstandsverträgen findet - über dem Bundesbankgesetz ("Unabhängigkeitsschutz"), dem Grundgesetz ("Garantie der Meinungsfreiheit") und dem Statut der Europäischen Zentralbank ("Abberufungsschutz durch politische Institutionen") steht, scheint mehr als fraglich.

Pikant ist: Das EZB-Statut - das die Abberufung ihrer Direktoriumsmitglieder, also auch eine Ablösung zum Beispiel von Bundesbank-Chef Axel Weber regelt - schließt eine Entlassung durch politische Würdenträger kategorisch aus. Nach der "Satzung der Europäischen Zentralbank" ist allein das oberste europäische Gericht, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, befugt, diesen Schritt vorzunehmen.

Aufgrund all dieser Risiken haben die Juristen der Bundesbank dem Provokateur Sarrazin ein finanziell attraktives Abfindungspaket vorgelegt. Einziger Nachteil: Sarrazin verweigert bisher die Annahme.

Anders als das deutsche Bundesbankgesetz trifft das Statut der EZB eindeutige Regelungen für den Fall der vorzeitigen Entlassung eines Direktoriumsmitglieds. Bei der EZB kann ein Ratsmitglied nur durch richterlichen Beschluss abberufen werden, und zwar nur durch den Europäischen Gerichtshof. Das regelt Artikel elf, Absatz vier der Satzung des Systems der Europäischen Zentralbank.

In Deutschland fehlt nicht nur eine solch klare Regelung. Juristen stellt sich auch die Frage, ob gegen Bundesbank-Vorstand Sarrazin überhaupt ein materieller, also wirklich schwergewichtiger Entlassungsgrund vorliegt. Sarrazin genießt den vollen Schutz der im Artikel fünf des Grundgesetzes garantierten Meinungsfreiheit.

Seine Meinungen zum Thema Migration und Unterschicht waren bereits vor der Berufung bekannt. Auch während seiner Zeit als Bundesbank-Vorstand hat er sich mehrfach ausgesprochen kritisch gegenüber muslimischen Zuwanderern geäußert. "Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate", sagte er schon im Oktober 2009 in einem Interview mit der Zeitschrift "Lettre Internationale"

Schon damals kam es zu Verstimmungen zwischen Bundesbankchef Axel Weber und Sarrazin - und zur Beschneidung von Sarrazins Arbeitsgebiet, aber eben nicht zu einem Abberufungsverfahren.

Wahrscheinlich wusste Weber bereits damals: Bei EZB-Ratsmitgliedern würde nur eine schwere und wiederholte Verfehlung eine Abberufung rechtfertigen. Der Charakter dieser Verfehlung ist bisher nirgendwo präzisiert worden, weder im Gesetz, noch vor Gericht. Die unehrenhafte Entlassung eines Bundesbank-Vorstands ist noch schwieriger. Denn sie ist nicht gesetzlich geregelt. Und außerdem war schon im Oktober 2009 unklar, ob Sarrazins rhetorische Feldzüge gegen muslimische Migranten den Tatbestand einer schweren Verfehlung erfüllen.

In ihrer Not stellt sich der Bundesbank nun die Frage, ob sie sich im Fall Sarrazin auf die Regelung für EZB-Ratsmitglieder in der EZB-Satzung berufen sollen oder ob sie besser das Aktienrecht für Unternehmensvorstände heranziehen.

Immerhin: Paragraph 84, Absatz 3 des Aktiengesetzes behandelt Verstöße gegen die Amtspflicht. Dort heißt es: "Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher Grund ist namentlich grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung oder Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung".

Auf Seite 2: Die Bundesbank hofft, dass der "Volksheld" freiwillig abtritt

Ob sich Sarrazin aber einer groben Pflichtverletzung oder des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht hat - "da bin ich mir nicht so sicher", sagt ein Rechtsexperte, der von der Bundesbank um Beurteilung gebeten wurde. Außerdem ließ Sarrazin seine Äußerung zu einem vermeintlich "jüdischen Gen" zwar fallen, entschuldigte sich mittlerweile aber dafür. "Das war mein Blackout."

Die Rettung für alle Rechtsprobleme kann nur Sarrazin selbst sein. Der Vorstand hofft noch immer, dass der "Volksheld" (Spiegel) freiwillig abtritt. Das ihm vom Vorstand angebotene Versorgungspaket, das ihn zum Verzicht bewegen soll, sieht vor, das er finanziell so behandelt wird, als würde seine Amtszeit am 30. April 2014 enden. Das ist das reguläre Datum seines Ausscheidens. Doch Sarrazin hat bislang nicht eingelenkt und den Bundespräsidenten sogar gewarnt, einen "Schauprozess" gegen ihn zu veranstalten - was das Bundespräsidialamt sofort entschieden von sich wies.

Eines allerdings steht fest: Sollte Sarrazin gegen seine Entlassung klagen, würde das für die amtierenden Vorstände eine Mehrbelastung bedeuten. Denn so lange die Klage läuft, kann die Bundesbank keine neuen Vorstände berufen. Richter rechnen mit einer Verfahrensdauer von ein bis zwei Jahren. Die am Donnerstag verabschiedete Aufgabenverteilung gilt dann so lange, bis Sarrazin wieder in sein Amt eingesetzt wird oder ein Nachfolger ernannt werden kann. Seine bisherigen Arbeitsgebiete haben vorerst Präsident Weber, sein Vize Franz-Christoph Zeitler und Rudolph Böhmler übernommen. Zur morgigen Sitzung des Vorstands muss Sarrazin eingeladen werden. Er bleibt Vorstandsmitglied so lange niemand ihm eine Abberufungsurkunde in der Hand drückt.

Auch Bundespräsident Wulff ist sich seiner Sache keineswegs mehr sicher. Er hatte zwar frühzeitig Sarrazin kritisiert. "Ich glaube, dass jetzt der Vorstand der Bundesbank schon einiges tun kann, damit die Diskussion Deutschland nicht schadet - vor allem international" sagte er am vergangenen Mittwoch. Doch womöglich hat er gerade damit seine Befangenheit begründet. Auch im Bundespräsidialamt hat man daher ein ungutes Gefühl, Wulff allein zum Herr des Verfahrens zu machen.

Wulff forderte am Freitag die Bundesregierung auf, den Fall Sarrazin ebenfalls zu prüfen. Die Bundesregierung werde ihren Teil der juristischen Prüfung zügig erledigen, sagte ein Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Das Finanzministerium prüfe aber nur, ob es im Abwahlantrag des Bundesbank-Vorstandes "evidente Rechtsverstöße" gebe. Das Ergebnis gehe an das Kanzleramt. Von dort werde es an den Bundespräsidenten weitergeleitet. Die intensive juristische Prüfung finde dann im Bundespräsidialamt statt. Im Fall der Entlassung Sarrazins, so heißt es in Regierungskreisen, würden auf der Urkunde neben der Unterschrift des Bundespräsidenten auch die von Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble stehen.

Mit freundlicher Genehmigung von Handelsblatt

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