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Wirtschaft: Tiefe Schnitte ins soziale Netz

CDU-Reformkommission unter Roman Herzog legt Entwurf vor /Für Privatisierung der Pflegeversicherung

Die von AltBundespräsident Roman Herzog geleitete Reformkommission will die sozialen Sicherungssysteme weit drastischer als die Bundesregierung mit Einschnitten in das Leistungsniveau sanieren. Ferner werden umfangreiche Privatisierungen vorgeschlagen. Ziel ist es, die derzeit bei 42 Prozent des Bruttolohns liegenden Sozialabgaben auf Dauer unter 40 Prozent zu drücken. Das geht aus dem Entwurf des Abschlussberichts der Kommission vor, der dem Tagesspiegel und dem Handelsblatt vorliegt. Er soll am kommenden Montag verabschiedet und Anfang Oktober veröffentlicht werden. Zuvor hatte die von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt beauftragte Rürup-Kommission Vorschläge vorgelegt, die über die Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder hinausgehen.

Die Herzog-Kommission, in der alle Parteiflügel der CDU und die unionsgeführten Bundesländer vertreten sind, setzt vor allem bei der Pflegeversicherung, die privatisiert werden soll, und in der Gesundheitspolitik deutlich andere Akzente als die Regierung. Dabei geht sie auch weit über den von Union und Koalition ausgehandelten Gesundheitskonsens hinaus.

Allerdings sind die Konzepte für die Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung in der Kommission selbst umstritten. Dies gilt insbesondere für die Ablehnung der Bürgerversicherung, die von einem großen Teil des Arbeitnehmerflügels der Union befürwortet wird. Die Kommission tritt hier für ein Mischmodell ein. So sollen ganze Blöcke wie die Zahnbehandlung und Privatunfälle aus dem Leistungskatalog der Kassen herausgebrochen und auf freiwilliger Basis privat abgesichert werden. Dadurch könnte ein Leistungsvolumen von 45 Milliarden Euro eingespart werden.

Auf der anderen Seite sollen die Versicherten wie beim Modell der Bürgerversicherung bis zur Beitragsbemessungsgrenze auch von Zinsen und Mieten Beiträge zahlen. Die Arbeitgeber würden durch einen auf 6,5 Prozent begrenzten Kassenbeitrag entlastet. Im Gegenzug soll die Wirtschaft aber die Krankengeldversicherung zusätzlich zur sechswöchigen Lohnfortzahlung übernehmen. Dagegen sieht der jetzt vereinbarte Gesundheitskonsens vor, dass das Krankengeld ab 2004 allein von den Versicherten getragen wird.

Die Pflegeversicherung will die Kommission bis 2030 in eine kapitalgedeckte Versicherung überführen. Um einen entsprechenden Kapitalstock aufzubauen, soll der Pflegebeitrag auf 3,4 Prozent verdoppelt werden. Auch für die Krankenversicherung schlägt die Kommission den Aufbau eines Kapitalstocks vor. Die Leistungen der Arbeitsmarktförderung der Arbeitsämter will die Kommission halbieren.

Am nächsten bei den Vorstellungen der Regierung liegt die Kommission in der Rentenpolitik. Sie fordert einen erweiterten Demographiefaktor, der exakt dem von Rot-Grün geplanten Nachhaltigkeitsfaktor entspricht. Statt einer Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre, wie sie die Rürup-Kommission vorgeschlagen hat, spricht sich Herzog für eine Anhebung des effektiven Renteneintrittsalters aus. Nur Versicherte mit mehr als 45 Beitragsjahren sollen ohne Abschläge mit 65 in Rente gehen können. Außerdem sollen alle Vorruhestandsregelungen, insbesondere das Altersteilzeitgesetz, abgeschafft werden.

Die Riesterförderung soll vereinfacht werden. Jeder Arbeitnehmer soll automatisch einen Teil seines Einkommens in eine Betriebsrente einzahlen, wenn er sich nicht ausdrücklich dagegen entscheidet. Renten sollen wie Beamtenpensionen voll besteuert werden. Im Gegenzug wären sämtliche Altersvorsorgebeiträge steuerfrei. In die gleiche Richtung zielen auch die Reformüberlegungen der Koalition. Großen Widerstand dürfte es auch nicht gegen den Herzog-Vorschlag geben, kleine Renten in Zukunft über Steuern auf Sozialhilfeniveau aufzustocken. Das gesamte Konzept würde die Wirtschaft im Vergleich zum geltenden Recht im Jahr 2030 um 53 Milliarden Euro und die Arbeitnehmer um 50 Milliarden Euro entlasten. Um 700 Millionen Euro zusätzlich würden die Rentner belastet. Tsp/pt/HB

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