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Tiefseehafen: Alles frei am Kai

Er ist ein Fiasko, und zu groß, um ihn zu verstecken. Der Jade-Weser-Port hat 650 Millionen Euro Steuergeld verschlungen. Doch die großen Containerschiffe meiden Deutschlands einzigen Tiefseehafen. Vor einem Jahr wurde Eröffnung gefeiert. Die Geschichte einer deutschen Wirtschaftsförderung.

Wenn Horst Bartels aus seinem mit hellem Holz vertäfelten Büro schaut, sieht er grüne Felder und den Horizont. Viel Horizont. So sieht das eben aus, hier oben, wo die Nordsee auch die Landschaft formt: flach. Es ist keine Gegend, in der man hohe Erwartungen hätte. Normalerweise.

Deshalb ist Horst Bartels zornig. Er gehört zu denen, die sich verleiten ließen von einer grandiosen Idee. Nun kann er in der Ferne einen Teil des Unheils in den Himmel ragen sehen. „Das reicht mir schon“, sagt der 68-Jährige und winkt ab, als wüsste er, dass er es hätte besser wissen können.

Hätte er? Horst Bartels ist der Chef von Nordfrost, ein auf Tiefkühltransporte spezialisiertes Unternehmen. Was er von seinem Büro aus am Horizont erkennen kann, sind acht rotweiße Spitzen von Containerbrücken. Die stehen in Deutschlands einzigem Tiefwasserhafen, dem Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven. Nur wenn die Ladekräne hochgeklappt sind und eine Gesamthöhe von 65 Metern erreichen, kann Bartels sie vom Stammsitz seiner Firma im 15 Kilometer entfernten Schortens aus sehen. Also nur wenn sie gerade keine Container bewegen, wenn kein Schiff im Hafen liegt. Da seit der Eröffnung vor einem Jahr kaum ein Schiff den Hafen angesteuert hat, kennt Bartels den Anblick der Containerbrücken nun ziemlich gut.

Bartels ist ein Unternehmer mit einer gesunden Gesichtsbräune, er trägt einen feinen dunklen Anzug und sagt: „Ich habe keine Hobbys, nur meine Firma.“

Was er von seinem Büro aus nicht sehen kann, ist seine Obstlagerhalle, die er im Hafen hat bauen lassen. 46 Millionen Euro hat er investiert in ein hoch modernes Großlager. Kiwis, Bananen, Mangos und anderes Obst kann er dort aufbewahren, per Temperatur- und Luftsteuerung im Reifegrad konservieren oder diesen vorantreiben und die Ware dadurch sehr flexibel vermarkten. Für den Tiefkühlexperten Bartels ein ganz neues Geschäftsfeld, bei dem er sich sicher war: Die Investition kann nur aufgehen. Jetzt steht seine Halle leer.

Am 21. September 2012 wurde der Hafen eröffnet. Bei dem Festakt hielt der damalige christdemokratische Ministerpräsident von Niedersachsen, David McAllister, eine Rede und Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen von der SPD auch. Die Einweihung hatte mehrfach verschoben werden müssen. Wegen Baumängeln. 700 000 Container sollten dann im ersten Jahr des Jade-Weser-Ports umgeschlagen werden und Horst Bartels das notwendige Obst für sein Geschäft bringen. Das hatten ihm die Eigentümer des Hafens, das Land Niedersachsen und der Stadtstaat Bremen, vertraglich zugesichert.

Ein Jahr später ist kein einziges Schiff an der Kaianlage vertäut. Zwei kommen pro Woche ein Großcontainerschiff aus Asien und ein kleineres sogenanntes Feederschiff, das Container von dem großen übernimmt und ins Baltikum bringt. Nicht nur für Bartels ist das viel zu wenig. Von den 347 Mitarbeitern des Terminalbetreibers Eurogate sind seit März 332 in Kurzarbeit.

„Wenn ich das geahnt hätte, ich hätte nie auch nur einen Cent investiert“, zürnt Bartels. Seit der Eröffnung des Hafens haben die 80 Mitarbeiter in seinem Obstlager kaum etwas zu tun, Nordfrost macht dort große Verluste. „Der Anblick des Hafens ist deprimierend“, sagt der Unternehmer. Auf dem Tisch vor ihm steht eine bunte Glasschale, in der etwas verloren vier Kirschen und zwei Erdbeeren liegen, aus Plastik, als trauriges Arrangement eines Obstimperiums. „Ich bin machtlos“, sagt Bartels und meint, dass das Obst ja leider nicht von allein nach Wilhelmshaven schwimme. Er brauche die Schiffe und jene, die die Schiffe zu seiner Halle lenkten. Was soll also ausgerechnet er tun? „Dabei würde ich diesen Hafen ja gerne befruchten.“ Es ist die Pointe auf einen Witz, der wenig Erbauliches hat.

Deutschland brauchte einen Tiefseehafen. Das war im Jahr 2002 die Idee, um mit den Planungen für den Jade-Weser-Port zu beginnen. Die Umschlagzahlen im Containergeschäft stiegen zuverlässig um bis zu zehn Prozent pro Jahr. Die Reedereien bestellten immer größere Schiffe, um immer mehr Container auf einmal transportieren zu können – mit immer größerem Tiefgang. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die modernsten und rentabelsten Schiffe sich nicht mehr die Elbe hinauf bis in den Hamburger Hafen bemühen würden. Die Elbe war zu flach, eine weitere Flussvertiefung schon damals politisch höchst umstritten und ungewiss.

Also entschieden sich Bremen und Niedersachsen für den gemeinsamen Bau eines Tiefseeportals in Wilhelmshaven. Wo sich vorher nur ein Nordseestrand befunden hatte, schütteten sie eine Fläche so groß wie 500 Fußballfelder auf. 650 Millionen Euro an Steuergeld sind bis heute in den Hafen geflossen. Weitere 350 Millionen Euro investierte der Betreiber Eurogate. Sehr bald sollten dort 2,7 Millionen Container im Jahr umgeschlagen werden – rund ein Drittel des Hamburger Containervolumens.

Doch dann bauten sie an der Nordwestecke des Jadebusens in die Krise hinein. Als im März 2008 die ersten Spezialschiffe mit den Aufschüttungen begannen, ging es für die Containerschifffahrt bergab. Seit fünf Jahren ist der weltweite Umschlag nicht gewachsen, gleichwohl ist die Zahl der Containerschiffe gestiegen. Das Überangebot hat die Frachtraten deutlich sinken lassen.

„Eigentlich wissen alle, dass wir gut sind.“

Die Reedereien versuchen mehr als zuvor, Kapazitäten zu bündeln, weniger Häfen anzulaufen, um unnötige Kosten zu vermeiden. Gut für Häfen wie Hamburg oder Bremerhaven, schlecht für den Jade-Weser-Port, der sich am Markt etablieren will.

Es ist ein Beispiel, wie Wirtschaftspolitik scheitern kann. Und zu groß ist das Fiasko, um es zu verstecken. Neugierig sind die Menschen allemal geworden durch die vielen negativen Schlagzeilen, die der Hafen produziert. Das lockt sie zum Hafen, wo es ein Info-Center gibt, ein kleines würfelförmiges Museum mit Aussichtsterrasse und einen Bus.

In einen solchen drängeln sich an einem Sonntagnachmittag wackere Steuerzahler in Steppwesten und Outdoorjacken. Es sind Menschen, die ihr Arbeitsleben größtenteils hinter sich haben und schauen wollen, was hier mit ihrem Geld passiert. Aufgeregt sind sie. Worte wie BER und Stuttgart 21 fallen.

Ein junger muskulöser Mann, Vollbart, gelbes Poloshirt, hüpft dynamisch vorne neben dem Fahrer in den Bus, schnappt sich ein Mikrofon und stellt sich als Nautik-Student vor. „Wir werden etwa eine Stunde brauchen“, sagt er, und wenn es Fragen gebe… Gemurmel in den Sitzreihen.

An der Zufahrt zum Hafengelände hält der Bus vor einer Schranke. Vom Wachmann, der normalerweise in einer kleinen Hütte ausharrt, um dem Bus zweimal am Tag die Schranke zu öffnen, keine Spur. Der Busfahrer hupt. Nichts.

„Hier im Hafen funktioniert nicht immer alles“, sagt der Student trocken. Als der Schrankenwärter eine Minute später genervt aus einer Baustellentoilette schlüpft, johlt der ganze Bus.

Am nördlichen Ende des Hafens, begrenzt von einem aufgeschütteten Steinwall, führt die Fahrt entlang eines riesigen Rangierbahnhofs mit 16 Gleisen, auf denen keine Lok und kein einziger Waggon stehen. Was gäbe es schon zu transportieren? Von den nur versprengt herumstehenden Schiffscontainern, so erfahren die Besucher, seien die meisten leer. Zu sehen gibt es, so weit das Auge reicht, vor allem Asphalt, wunderschön dunkel und unberührt. Als einziger Bau in der riesigen Logistikzone neben dem Terminal liegt einsam das Obstlager von Nordfrost, still und verschlossen. Die roten Portalhubwagen, mit denen die Container normalerweise im Terminal bewegt und übereinandergestapelt werden, parken ungebraucht in Reih und Glied. Hafenarbeiter? Keine. Das Einzige, was sich an diesem Tag im Jade-Weser-Port bewegt, ist der Reisebus.

Der Hafenbetreiber könnte die Reederei verklagen. Die ist aber auch unschuldig.

Kurz vor der Kaimauer mit den Containerbrücken bremst der Fahrer. Forsch meint der Student: „Wenn wir jetzt weiterfahren, dann wird der Bus im Wasser mindestens 18 Meter hinabsinken.“ Auch so kann man einen Tiefseehafen erklären. „Anders als in Hamburg oder Bremerhaven können hier die größten Containerschiffe der Welt mit bis zu 430 Meter Länge und einem Tiefgang von bis zu 16 Metern selbst bei Ebbe festmachen.“

In einer der vorderen Reihen unterbricht ein älterer Herr mit Schiebermütze, er hat da nämlich eine Frage: „Wann geht der Hafen denn in Betrieb?“

Der Student zögert, schaut ungläubig: „Äh, der Hafen hat vor einem Jahr den Betrieb aufgenommen.“

Offenbar hat sich das selbst in Besucherkreisen noch nicht herumgesprochen. „Warum kommen denn so wenig Schiffe hierher?“, fragt der Herr.

„Sie können einen neuen Hafen nicht auf Knopfdruck starten.“

Keine Fragen mehr.

„Eigentlich wissen alle, dass wir gut sind“, sagt der Mann, der die Gründe für die Misere am besten kennen müsste, und lächelt, seiner anhaltenden Pechsträhne zum Trotz. Mikkel Andersen, seit 2011 Geschäftsführer des Terminalbetreibers Eurogate, ist ein junger dunkelhaariger Däne mit dickrandiger Brille. Sein Balkon bietet einen fantastischen Ausblick, aber im Moment kann er von dort aus nur sein großes Problem sehen. „Wir haben Platz“, witzelt Andersen, um gleich nachzuschieben, dass an der Lage natürlich nichts schönzureden sei.

Er denke nicht ans Aufgeben. Gerade baue er mit seiner Familie ein Haus im nahen Oldenburg. Und wenn der Chef schon an die Zukunft glaube, möge das, bitteschön, auch seine Belegschaft tun. „Ich glaube, dass wir hier zukünftig deutsche Geschichte schreiben werden.“

Derzeit werden vor allem Gerichte und Anwälte beschäftigt. Die Länder fordern Geld, weil Eurogate nicht die zugesicherte Containermenge herangeschafft hat. Eurogate wiederum könnte Entschädigung von einem Tochterunternehmen der dänischen Reederei Maersk Line fordern, das ebenfalls vertragliche Zusagen gemacht hatte – bevor die Krise begann. „Aber ich kann denen kaum einen Vorwurf machen“, sagt Andersen. Er sehe deren Lage. „Woher sollen die denn die Container für uns nehmen?“

Eine Chance könnten laut Andersen seine derzeitigen Gespräche mit den drei weltgrößten Containerschiffsreedereien Maersk Line, CMA und MSC sein, die angesichts der Stagnation auf vielen Ost-West-Verbindungen rund um den Globus zusammenarbeiten wollen. „Die werden ihre großen Schiffe so voll machen wie möglich, um Kosten zu sparen“, erwartet Andersen. Mit Blick auf die dann notwendige Tiefe an der Kaimauer könne das Wilhelmshaven nur helfen. Es ist eine Wette auf die Zeit.

Denn auch andere könnten das Rennen um die wenigen Superschiffe für sich entscheiden. Im nächsten Jahr nimmt der Rotterdamer Hafen seinen neuen Containerterminal „Maasvlakte 2“ in Betrieb – mehrfach so groß wie der Jade-Weser-Port und für Schiffe mit bis zu 20 Meter Tiefgang.

Der Bus hat vor dem Hafenmuseum gehalten. Im Erdgeschoss gibt es Kaffee und Kuchen, kleine Souvenirleuchttürme und Mützen mit der Aufschrift „Schietwetter“ zu kaufen. Eine Treppe höher ist eine Ausstellung aufgebaut. Vom Jade-Weser-Port als Drehkreuz des Nordens ist da die Rede, von 16 Containerbrücken am Terminal, dabei hat der Hafen bisher und auf absehbare Zeit nur acht.

„Wir sind der Zeit hier ein bisschen voraus“, beeilt sich Museumschefin Stefanie Popp zu erklären und lächelt dabei ein wenig verlegen. Popp, eine zurückhaltend höfliche Frau mit längeren blonden Haaren, ursprünglich aus der Hotellerie, hat einen der undankbarsten Jobs weit und breit. Für die Leere im Hafen kann sie nichts, und dennoch ist sie es, die aufgebrachte Hafenbesucher beruhigen muss. „Es ist schon vorgekommen, dass Leute hier reingekommen sind und erst mal geschrien haben, was das hier eigentlich für ein Scheiß sei“, erzählt sie.

Demnächst werde die Hafenausstellung überarbeitet, kündigt Stefanie Popp an. Dann gehe es nicht mehr um die Geschichte des Hafenbaus, sondern um den Hafenbetrieb. Wieder schaut sie etwas verlegen. „Dann wären wir der Zeit noch weiter voraus.“

Vielleicht uneinholbar.

Erschienen auf der Reportage-Seite.

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