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Wirtschaft: Tierseuchen: Für Handtaschen zu schade

Nein, das sind keine guten Zeiten für die deutschen Fleischfreunde. Wie soll ihnen die Roulade munden, wenn jeden Tag eine neue Horrormeldung von den Weiden an ihren Wohnzimmertisch getragen wird?

Nein, das sind keine guten Zeiten für die deutschen Fleischfreunde. Wie soll ihnen die Roulade munden, wenn jeden Tag eine neue Horrormeldung von den Weiden an ihren Wohnzimmertisch getragen wird? Erst erschütterte der Rinderwahnsinn auf den Feldern, nun die Maul- und Klauenseuche in den Ställen. Tiermärkte werden geschlossen, sogar einige Zoos haben vorsorglich ihre Pforten verrammelt. Angst geht um in Europa. Und der Markt reagiert.

Ideen sind gefragt, um die plötzlich umworbenen "Verbraucherinnen und Verbraucher" weiterhin für die Fleischtheke zu begeistern. "Man muss Alternativen anbieten", sagt Caspar von der Crone, Geschäftsführer des Bundesverbandes des Wild- und Geflügelhandels. Unter Alternativen versteht er nicht nur Hirschfilet und Gänsebraten, sondern auch die neue Auswahl an exotischen Fleischsorten: Känguru, Bison, Krokodil. Crone, der selbst gern kocht, schwärmt vor allem vom Straußenfleisch. "Die Steaks schmecken saftig, haben aber nur wenig Fett", berichtet er. Inzwischen verspeisen die Deutschen zwischen 3000 und 4000 Tonnen Straußenfleisch im Jahr.

"Wir kommen mit der Nachfrage kaum mit", sagt Rui Baptista vom "Frischeparadies Lindenberg". Der Berliner Delikatesshandel, der 5000 Gaststätten, Hotels und Kantinen beliefert, hat den Strauß als "Modefleisch der Hauptstadt" entdeckt. Im Februar diesen Jahres konnte der Händler 1,6 Tonnen Straußenfleisch absetzen, ein Jahr zuvor waren es im gleichen Zeitraum gerade mal 25 Kilogramm. Besonders italienische Restaurants kaufen die runden, tiefgekühlten Straußenmedaillons gleich kiloweise ein. Den größten Umsatz macht Baptistas Firma zwar weiterhin mit Fisch und Geflügel, doch der Lebensmittelhändler hofft, dass die Exoten mittelfristig zur Alternative werden können. "Lindenberg" plant jedenfalls für den kommenden Monat eine Offensive mit Exotenfleisch. Bison, Elch, Känguru und Krokodil sollen im großen Stil auf die Lieferantenkarte gesetzt werden.

Grafik: Dieses Fleisch essen die Deutschen am Liebsten

Doch die Importeure bekommen zunehmend Probleme, die Nachfrage deutscher Händler zu befriedigen. Aus allen Ecken der Welt gibt es Nachrichten von überlasteten Viehzüchtern, die den europäischen Markt kaum sättigen können. In Thailand bestellen deutsche Einkäufer inzwischen mehr als 15 Tonnen Krokodilfleisch pro Monat. Die Krokodil-Farm Sriracha, 100 Kilometer östlich von Bangkok, hofft bereits, den Europäern das Reptil als "alternative Fleischsorte, die sie essen können", schmackhaft zu machen. Auch in Südafrika hoffen Straußenzüchter, mit dem Export ihres Tierfleisches endlich die Traditionen des europäischen Agrarmarktes durchbrechen zu können.

Auch in Deutschland selbst stellen immer mehr Landwirte ihre Produktion auf Exotenfleisch um. Mehr als 80 Höfe sind inzwischen im Bundesverband der Straußenzüchter eingetragen. Eine von ihnen ist Susanne Engelhardt, die gemeinsam mit ihrem Mann im bayerischen Leipheim Straußen großzieht. Vor einem Jahr hat der Familienbetrieb mit der Zucht der Laufvögel angefangen, weil die Bauern sich keinen neuen Stall für Milchkühe leisten konnten. Mittlerweile tummeln sich 180 Straußen in den Gehegen. Drei Jahre braucht ein Tier, bis es schlachtreif ist. Für ein Kilogramm Straußensteak kassieren die Landwirte 35 Mark, für Filetstücke sogar 40 Mark. Die Preise für Mastbullen sind dagegen in den Keller gefallen: für ein Kilogramm Schlachtkörper gibt es gerade mal 3,50 Mark, vor einigen Jahren war es noch das Doppelte. Aber es ist nicht der Preis, den Engelhardt an ihren Tieren schätzt. "Die brauchen nie einen Tierarzt", lobt die 32-jährige Bäuerin das robuste Immunsystem der Straußen, "die bekommen höchstens mal eine Grippe".

Wo soll dieser Boom hinführen? Können die Exoten die Mägen der Deutschen nachhaltig erobern? Engelhardt ist jedenfalls für die nächsten vier Monate ausverkauft, den anderen Anbietern von alternativen Fleischsorten geht es ähnlich. "Nennen Sie bitte nicht meinen Namen, sonst rufen hier wieder hunderte Kaufwillige an", fleht ein Lebensmittelimporteur aus Hagen. Auf seiner Homepage preist er Krokodilfleisch wegen seiner "Ähnlichkeit zum Geflügel" an. Wenig Cholesterin und ein außergewöhnlicher Geschmack zeichne die Krokodile aus - "für Handtaschen viel zu schade".

Trotz des Aufschwungs will niemand die Nerven verlieren. Immer noch macht Exotenfleisch nur eine Nische auf dem deutschen Ernährungsmarkt aus, neue Arbeitsplätze werden kaum geschaffen. Gerade mal eineinhalb Kilo "sonstiges Fleisch" verspeiste jeder Deutsche im Durchschnitt im vergangenen Jahr. Die restlichen 90 Kilogramm verteilten sich wie in den Jahren zuvor auf Schwein, Rind und Geflügel (siehe Grafik). So schnell dürfte sich die traditionelle Aufteilung des Marktes auch nicht ändern. "Die Deutschen haben ein psychologisches Problem mit Exotenfleisch", konstatiert Marcus Girnau vom Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels. Er meint, dass sich der Rindfleischmarkt wieder erholen wird und die Exoten zurückdrängen kann. Begründung: "Beim Genuss einer Klapperschlange oder eines Krokodils haben viele einfach Hemmungen."

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