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Wirtschaft: Tod eines Pioniers

Der Versandhausgründer Werner Otto stirbt mit 102 Jahren / Einer der großen deutschen Unternehmer und Stifter.

Berlin - Er war der deutsche Versandhauskönig – und noch vieles mehr. Werner Otto war erfolgreicher Immobilienentwickler, großzügiger Stifter und ältester Ehrenbürger Berlins. Am 21. Dezember ist Otto, einer der letzten großen Wirtschaftspioniere der Nachkriegszeit, im Kreis seiner Familie im Alter von 102 Jahren gestorben. Das teilte das Unternehmen am Dienstag mit. Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) würdigte Otto mit „großer Trauer“. Der Unternehmer habe „unendlich viel für die Menschen in unserer Stadt und für zahlreiche wichtige Institutionen getan“ (siehe dazu den Kasten).

Schon zu Lebzeiten gab es reichlich Anlässe, um die Verdienste Ottos zu würdigen. Ganz besonders natürlich im August 2009. Damals feierte der Unternehmer in seiner Villa im Grunewald seinen 100. Geburtstag – mit prominenten Gästen wie dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die den hochbetagten Jubilar als „außergewöhnliche Gestalt der Zeitgeschichte“ lobte. Wenige Tage zuvor hatte Wowereit ihm die Ehrenbürgerurkunde Berlins überreicht. Das große Bundesverdienstkreuz war Otto schon 2001 verliehen worden.

„Werner Otto bündelt in seiner Person die hellen Seiten der jüngeren deutschen Geschichte“, hat einst einer seiner Weggefährten, Ex-Kanzler Helmut Schmidt, über den Unternehmer gesagt. Doch der Start war für Otto alles andere als „hell“. Im brandenburgischen Seelow geboren, muss der Sohn eines Kaufmanns wegen des Zusammenbruchs des elterlichen Lebensmittelladens das Gymnasium abbrechen und macht eine Kaufmannslehre. In den 30er Jahren wird er mit nazikritischen Flugblättern erwischt und zwei Jahre lang in Plötzensee eingesperrt. Danach muss er an die Front und bekommt eine schwere Kopfverletzung.

Nach dem Krieg zieht Otto mit seiner ersten Frau Eva und zwei Kindern nach Hamburg und eröffnet dort eine kleine Schuhfabrik. Doch die floriert nur kurz. Wegen der starken Konkurrenz der Schuhproduzenten aus Süddeutschland muss die Firma schließen.

„Wer statisch denkt und aus Angst vor Fehlern keinen Schritt nach vorn wagt, der sollte kein Unternehmer werden“, hat Otto einmal gesagt. Und so nutzt er die Krise als Chance. Warum nicht Schuhe verkaufen, statt sie zu produzieren? 1949 gründet der inzwischen Vierzigjährige den Otto-Versand, mit 6000 Mark Startkapital und vier Mitarbeitern. 28 Paar Schuhe werden im ersten Katalog angeboten, von dem es gerade einmal 300 Exemplare gibt – alle handgebunden, die Fotos auf den 14 Seiten von Hand eingeklebt. Ein Jahr später verteilt Otto schon 1500 Kataloge mit 28 Seiten, neben Schuhen gibt es jetzt auch Regenmäntel und Aktentaschen.

Otto trifft mit seinem Versandhaus den Nerv der Nachkriegsjahre. Er profitiert vom Nachholbedarf der Menschen. Und er ist innovativ: Bei ihm können die Kunden ihre Waren erstmals auch am Telefon bestellen, als erster Versandhändler liefert Otto zudem auf Rechnung. Er gründet 1972 den Hermes-Versand, um sich von Post und Bahn unabhängig zu machen. Sein Konzept geht auf: Otto steigt zum weltgrößten Versender auf. Heute beschäftigt die Gruppe 50 000 Menschen in 20 Ländern und macht einen Umsatz von elf Milliarden Euro.

Aus dem Habenichts wird ein Milliardär: Auf rund 8,5 Milliarden Euro schätzt das „Manager Magazin“ das Vermögen der Familie. Zu der zählt nicht nur Ehefrau Nummer drei, die 32 Jahre jüngere Maren, mit der Otto gut 50 Jahre verheiratet war, sondern auch die fünf Kinder, von denen viele selbst erfolgreiche Unternehmer geworden sind. Michael Otto leitete jahrelang den Versandhauskonzern und sitzt jetzt dem Aufsichtsrat vor. Alexander Otto ist Chef des Immobilienentwicklers ECE. ECE ist das zweite Standbein der Familie – ebenfalls eine Gründung des Vaters.

In einem Alter, in dem andere ihren Ruhestand planen, startet Werner Otto nämlich seine zweite Karriere. Nach einem physischen Zusammenbruch zieht er sich Mitte der 60er Jahre aus dem operativen Geschäft zurück und gründet mit ECE eine Firma, die auf den Bau und den Betrieb von Einkaufszentren spezialisiert ist. Heute ist ECE nach eigenen Angaben in Europa führend, allein in Berlin betreibt der Konzern sieben Shopping- Malls, darunter die Potsdamer-Platz-Arkaden und das Gesundbrunnen-Center.

Obwohl Otto jahrelang in Hamburg gelebt hat, gehörte seine Liebe in den letzten Jahren Berlin. Mit 90 Jahren zog er zurück in die Stadt, in der er vor dem Krieg einst ein kleines Zigarrengeschäft am Alexanderplatz hatte. „Hier werden außergewöhnliche Ideen verwirklicht“, schwärmte der Patriarch. Mit seiner Gattin besuchte er die Museen, Opern und Theater – Einrichtungen, die Werner Otto unterstützte. Maren Otto: „Mein Mann hatte das große Glück, gesund in einem harmonischen und liebevollen Familienumfeld alt zu werden. Sein vielleicht wichtigster Lebensgrundsatz war, auch im Alter immer noch Ziele zu haben.“

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