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Torsten Hinrichs, Deutschlandchef S&P: "Deutschland würde eine Depression überstehen"

Standard & Poor’s ist eine der drei großen Ratingagenturen. Torsten Hinrichs ist Deutschlandchef des Unternehmens. Mit dem Tagesspiegel spricht er über wütende Europäer, Bestnoten und Interessenskonflikte.

Herr Hinrichs, trauen Sie sich eigentlich noch, am Mittelmeer Urlaub zu machen?

Natürlich traue ich mich noch, am Mittelmeer Urlaub zu machen. Wir machen Herabstufungen ja nicht, weil wir die Griechen oder die Italiener nicht mehr mögen. Wir äußern unsere Meinung über die zukünftige Zahlungsfähigkeit eines Landes anhand klarer, vorher festgelegter und für alle Länder gültiger Kriterien. Mehr nicht.

Können Sie die Wut der Menschen denn verstehen? Die Regierungen sparen so stark wie noch nie, und Standard & Poor’s senkt den Daumen trotzdem.

Ich kann Unverständnis verstehen. Was wir tun, kann wahrscheinlich nicht jeder nachvollziehen, es ist recht komplex.

Dann erklären Sie das mal.

Wir sagen, inwiefern wir glauben, dass die Forderungen der Investoren in der Zukunft vollständig und pünktlich bedient werden können. Bei einem Staat hängt das davon ab, ob er genügend Steuern einnehmen kann und ob er auf der anderen Seite in der Lage ist, die Höhe seiner Ausgaben entsprechend zu kontrollieren. Die Sparpakete, die jetzt beschlossen worden sind, egal ob in Italien, Spanien oder in Griechenland, setzen auf beiden Seiten nur ein bisschen an. Die Wachstumsaussichten von Italien zum Beispiel sind gesunken, sie werden aus unserer Sicht nicht dazu führen, dass die Steuereinnahmen so sprudeln, dass die Sparvolumina, die in Aussicht gestellt worden sind, erreicht werden können.

Die EU-Partner haben die Sparmaßnahme von Italien begrüßt. Die EZB kauft italienische Staatsanleihen. Was wissen Ihre Experten, was die anderen nicht wissen?

Ich glaube nicht, dass die EZB weniger weiß als wir. Schließlich nutzen wir überwiegend Daten, die veröffentlicht sind. Unsere Ratings sind Meinungsäußerungen zum Kreditrisiko eines Schuldners. Wir bilden uns diese Meinung nach ganz festen Kriterien. Und wenn wir zu der Meinung gelangen, dass die Entwicklungen in einem Land es nicht mehr rechtfertigen, ein A plus zu vergeben, dann ist das unsere Meinung.

Die USA sind ebenfalls hoch verschuldet, haben aber ein besseres Rating als Italien. Kann eine US-Agentur die Verhältnisse in Europa überhaupt richtig bewerten?

Wir haben zwar unser Head Office in den USA. Aber wir sind eine global aufgestellte Agentur. Wir haben weltweit Analysten, in Europa haben wir über 1000 Mitarbeiter in London, Frankfurt, Mailand, Madrid, Paris, Stockholm oder Istanbul. Wir arbeiten nach global einheitlichen Maßstäben. Das heißt aber gerade nicht, dass wir alles aus der Perspektive Amerikas betrachten. Unsere Analysten kommen aus dem Kulturraum, aus dem auch die gerateten Länder kommen.

Wer entscheidet am Ende über das Schicksal eines Landes?

Ratings sind Teamentscheidungen, keine Entscheidung von Einzelnen. Die Ratingkomitees sind mit erfahrenen Analysten aus mehreren Ländern besetzt. Das sind meistens fünf bis sieben Leute. Der Hauptanalyst für das jeweilige Land trägt den Kollegen vor, wie das Land bei den einzelnen, von uns definierten Kriterien abschneidet. Darauf aufbauend schlägt er eine Note vor, die das Ratingkomitee dann ausführlich und im Quervergleich mit anderen Ländern diskutiert.

Was sind die Kriterien?

Da sind zum einen die internen Faktoren, die politische Lage und die wirtschaftliche Situation in einem Land. Sie haben etwa im Fall Italien zu der Abwertung geführt. Dazu kommen die externen Faktoren. Dazu gehört die Höhe des Haushaltsdefizits, der Schuldenstand, aber auch Fragen wie: Wie abhängig ist das Land von Investitionen aus dem Ausland? Zu welchen Konditionen bekommt es Geld am Kapitalmarkt? Wie hoch ist der Einfluss auf die Geldpolitik? Staaten in einer Währungsunion haben in diesem Bereich einen Nachteil. Sie können ihre Währung nicht flexibel auf- oder abwerten.

Die Höhe der Zinsen, die ein Land für seine Anleihen zahlen muss, haben also Einfluss auf das Rating. Andererseits treibt ein schlechtes Rating die Zinsen in die Höhe.

Die Zinsentwicklung ist ganz klar nicht nur vom Rating abhängig, und es gibt zahlreiche Beispiele, bei denen Ratings kaum oder sogar gar keine Auswirkungen auf die Zinsen hatten. Anfang des letzten Jahrzehnts lag beispielsweise unser Rating für Griechenland bereits im Single- A-Bereich, dennoch brauchte Griechenland nur Zinsen wie ein AAA-Land zu zahlen, weil die Investoren eben nur solch geringe Risikoaufschläge verlangten. Einfluss auf die Zinsentwicklung haben auch andere Faktoren wie die Liquidität des Marktes, also die Frage, wie leicht man die Anleihen wieder verkaufen kann.

Warum S&P Deutschland für solide hält - und warum es sich vor der Finanzkrise so täuschte, lesen Sie auf Seite 2.

Deutschland haftet über die Rettungspakete und den Rettungsschirm mit vielen Milliarden Euro für die Schuldenstaaten. Wann raten Sie Deutschland herunter?

Es ist uns bewusst, welche Verbindlichkeiten Deutschland über die Rettungspakete eingeht. Das ist im heutigen Rating reflektiert. Deutschland hat ein dreifaches A. Das heißt: Wir glauben, Deutschland könnte aus heutiger Sicht auch ein Krisenszenario wie zur Zeit der großen Depression überstehen, ohne zahlungsunfähig zu werden. Die Note ist mit einem stabilen Ausblick versehen: Wir erwarten auch in absehbarer Zukunft keinen Anlass, an dem Rating etwas zu ändern.

Wie würden Sie gemeinsame Euro-Anleihen bewerten?

Grundsätzlich kommt es darauf an, wie die Haftungsstruktur ist. Eine Idee ist ja, dass jedes Land für seinen eigenen Anteil haftet. Das heißt, auch Griechenland würde für einen Teil haften, wenn auch nur einen kleinen. Trotzdem müssten wir dann der gesamten Anleihe das niedrigste Rating geben, also das von Griechenland. Denn wenn Griechenland nicht zahlen kann, erhält der Investor sein Geld eben nicht vollständig zurück. Wenn es aber eine gesamtschuldnerische Haftung gibt und die Dreifach-A-Staaten für das gesamte Volumen geradestehen, dann könnte man einem Euro-Bond auch ein Dreifach-A geben. Uns ist im Moment aber keine konkrete Überlegung bekannt, wie Euro-Bonds ausgestaltet werden sollen. Insofern ist das alles Spekulation.

Vor der Finanzkrise haben Sie und die anderen Agenturen verbriefte Immobilienkredite mit Bestnoten bewertet. Heute bezeichnet man die als Giftmüll. Wieso lagen Sie mit Ihrer Einschätzung so daneben?

Bei strukturierten Produkten nehmen Sie ein Bündel von Forderungen, die eine Bank auf den Büchern hat, und finanzieren dieses Bündel durch das Begeben einer Anleihe. Um das bewerten zu können, müssen Sie zahlreiche Annahmen treffen, wie etwa zur Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, zur Entwicklung der Häuserpreise, dem Zahlungsverhalten der einzelnen Schuldner und vieles mehr. Diese Erwartungen sind so nicht eingetroffen.

Liegt es nicht daran, dass die Unternehmen, die die Kredite verschachteln, Sie dafür bezahlen, dass Sie die Produkte raten?

Natürlich gibt es ein Potenzial für Interessenskonflikte, wenn derjenige, der das Ergebnis braucht, dafür bezahlt. Das ist uns auch bekannt. Darum haben wir Mechanismen etabliert, die diesen Interessenskonflikt wirksam adressieren. Dazu gehört die strikte Trennung zwischen der Analyse und der kommerziellen Seite unseres Hauses. Dazu gehören interne Revisionen, die immer wieder schauen, ob die Kriterien angewendet werden.

Sie können den Verdacht doch einfach ausräumen, indem Sie Investoren für die Ratings bezahlen lassen, nicht Emittenten.

So einfach ist das nicht. Jedes Geschäftsmodell birgt einen Interessenskonflikt. Wenn Sie als Investor eine Anleihe halten, und diese Anleihe wird herabgestuft, dann verliert diese Anleihe an Wert, Sie haben einen Verlust. Also haben Sie ein Interesse daran, eine Abstufung zu verhindern oder eine Aufwertung zu erlangen. Wenn statt der Emittenten die Investoren für die Ratings bezahlen, verschieben Sie den Interessenskonflikt lediglich. Der Vorteil bei unserem Geschäftsmodell ist: Dadurch, dass der Emittent bei uns bezahlt, können wir die Ratings kostenlos einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

Das Gespräch führte Miriam Schröder.

DER CHEF

Torsten Hinrichs, 51, ist seit 1999 Geschäftsführer des Büros von Standard & Poor’s in Frankfurt am Main. Er leitet die Geschäfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in Nord- und Osteuropa. Der studierte Betriebswirt begann seine Karriere bei der WestLB in Düsseldorf. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

DIE AGENTUR

Standard & Poor’s ist eine der drei größten und einflussreichsten Ratingagenturen der Welt. Sie bewertet die Kreditwürdigkeit von Staaten, Unternehmen und Finanzprodukten. Ihre Wurzeln reichen bis in das Jahr 1860 zurück. Seit 1966 gehört S&P zum Medienunternehmen McGraw-Hill. Hauptsitz ist New York.

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