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Wirtschaft: Tourismusindustrie: Flucht aus dem Paradies

Im Frühjahr war die Reise-Welt noch in Ordnung. Kerosin wurde teurer, der US-Dollar stark.

Im Frühjahr war die Reise-Welt noch in Ordnung. Kerosin wurde teurer, der US-Dollar stark. Doch weder das eine noch das andere schreckte die Deutschen. Den Spaß am Urlaub ließ sich keiner verderben. Je schlechter die Aussichten für die Wirtschaft, desto besser die Buchungszahlen. "Der Tourismus hat seine eigene Konjunktur", erklärte Christian Boergen vom Deutschen Reisebüro und Reiseveranstalter Verband (DRV). Ulrich Rüter, Geschäftsführer vom Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft sprach von der Flucht ins Paradies.

Seit dem 11. September spart die Branche mit Superlativen. Die Terroranschläge in den Vereinigten Staaten haben der deutschen Reisebranche das letzte Geschäftsjahr verhagelt. Auf mehrere 100 Millionen Mark belaufen sich nach Angaben von DRV-Präsident Klaus Laepple die Ausfälle. Die Folge einer beispiellosen Stornowelle. Noch nie, heißt es in der Branche unisono, war die Zurückhaltung der Kundschaft in einer Krise so ausgeprägt. Weder nach Ausbruch des Golfkrieges, noch nach Tschernobyl. Das World Travel and Tourism Council bescheinigt der weltweiten Reise- und Tourismusindustrie - mit 260 Millionen Beschäftigten und elf Prozent Wertschöpfung kein unbedeutender Wirtschaftszweig - den größten Rückschlag ihrer Geschichte. Allein für den September errechnete Amadeus, das größte Buchungssystem in Europa, ein Minus von annähernd 30 Prozent. Besonders schlimm traf es die Fluggesellschaften und die Geschäftsreiseunternehmen. Dem Gros deutscher Reisebüros und -veranstalter blieb unter dem Strich im Oktober, zum Ende der Saison, aber immer noch ein klares Plus.

Dramatisieren muss man nicht, findet Holger Carstensen, der im Auftrag der Gewerkschaft Verdi die laufende Tarifrunde für knapp 80 000 Beschäftigte der deutschen Reisebranche betreut. "Die Manager sind verwöhnt." In den vergangenen Jahren haben sich die Firmen an ein überdurchschnittliches Wachstum gewöhnt. Allein die deutschen Reisebüros konnten ihren Umsatz auf 49 Milliarden Mark verdoppeln. "Die Lage wird sich blitzartig wieder normalisieren. Hapag Lloyd hat auch nach dem Golfkrieg Rekordzahlen vorgelegt", sagt der Verdi-Mann. Und: längst nicht alle Schwachstellen, die nun zutage treten, haben ursächlich etwas mit dem 11. September zu tun. Weder das Sparprogramm im Hause Thomas Cook noch die Schließung von 15 Feriendörfern des Club Mediterranée, die mit den moderneren Clubs der Konkurrenz wie Robinson (TUI) oder Aldiana (Thomas Cook) nicht mehr mithalten konnten.

Tatsächlich kehrt langsam der Alltag zurück. Die Stornowelle scheint überwunden. Die Buchungen steigen. Die Hoffnungen freilich, dass sich die Reisebranche in den nächsten zehn Jahren als Job-Börse entpuppt, haben sich verflüchtigt. Wer jetzt noch ein Reisebüro aufmacht, ist selber schuld, findet DRV-Chef Laepple. Mit Mühe und Not können sich die Agenturen über Wasser halten. Wer nicht direkt mit den Konzernen verbandelt ist - und das sind bundesweit ein gutes Drittel der knapp 20 000 Reisebüros - hat es schwer. Die Margen sind minimal. Und das nicht erst seit den Anschlägen in Amerika.

Auch die Veranstalter bangen. Zwar belegt eine aktuelle Studie der TUI, Europas größtem Pauschalreiseveranstalter, dass 90 Prozent der Bevölkerung an ihren Reiseplänen für 2002 festhalten wollen. Doch fest steht auch: Die Kundschaft ist verunsichert. Und: niemand kann mit Gewissheit sagen, ob die preisbewusste Klientel der Schnäppchenjäger auch für mehr Geld noch so ausgiebig wie einst verreisen wird.

Noch halten sich die Preisaufschläge in Grenzen. Die Umstellung von Mark auf Euro spielt so gut wie keine Rolle, die Aufschläge in Folge der teurer gewordenen Versicherungen und Sicherheitsgebühren sind überschaubar. Die Perspektiven für die Urlauber scheinen günstig, zumal der Wettbewerb ungebrochen ist. Die großen Drei - Preussag (TUI), Thomas Cook (vormals Condor & Neckermann) und Rewe rangeln um die Gunst der Kunden. Dabei geben die Börsenpläne von Thomas Cook und des konzernunabhängigen Veranstalters Alltours Flugreisen, die Nummer vier im deutschen Reisemarkt, die Richtung vor: Schlankere Strukturen, optimierter Vertrieb und - Erfolg bei der Kundschaft.

Grund zur Sorge hat der Urlauber also nicht - Buchungszäsur und Airline-Pleiten zum Trotz. Angebote gibt es im Markt mehr als genug. Im schlimmsten Fall, bedingt durch den dezimierten Flugplan der Airlines, weniger Last-Minute-Reisen. Doch Sonderkonditionen werden unverändert offeriert - selbst, wenn die Konzerne mit spitzerem Bleistift rechnen müssen. Denn der Rückschlag kann die so genannten integrierten Konzerne, die über eigene Reisebüros, eigene Flieger, Hotels und Mietwagenfirmen verfügen, gleich mehrfach treffen. Mit Frühbucherrabatten und Reiserücktrittsgarantien wird bereits geworben. Alltours bietet zum Beispiel befristet eine kostenfreie Stornierung von gebuchten Sommerreisen an.

Grundsätzlich billiger, das zeigt der Blick in die neuen Kataloge, wird der Sommerurlaub 2002 aber nicht. Während in den vergangenen Jahren Expansion auf Kosten des Ertrags betrieben wurde, sind nun erstmals wieder echte Preiserhöhungen angesagt. Bei Neckermann zum Beispiel, der Hauptmarke von Thomas Cook, steigen die Preise für Auto- und Städtereisen im Schnitt um zwei Prozent. Flugreisen werden je nach Reiseziel bis zu neun Prozent teurer oder vereinzeltbilliger. Entsprechend sieht es bei Alltours aus: Ferien auf dem spanischen Festland kosten bis zu vier Prozent mehr als im letzten Sommer - doch wer nach Ägypten fliegt, zahlt zehn Prozent weniger. Einen Vorteil hat die Krise, sagt Magdalene Hieke vom DRV-Vorstand: "In vielen exotischen Ländern, die nicht direkt gefährdet sind, könnte man jetzt richtig günstig Urlaub machen."

Martina Ohm

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