zum Hauptinhalt
Der Hamburger Hafen.

© Fotolia

Trotz Krisen bei VW und Deutscher Bank: Status Deutschland: Es läuft doch!

Die größten Konzerne des Landes stecken in der Krise. Gleichzeitig ist die Arbeitslosenquote gering, die Kauffreude hoch. Und für den Außenhandel könnte es ein Rekordjahr werden.

Der VW-Konzern wird in diesem Jahr einen Umsatz erzielen, der annähernd dem Bruttoinlandsprodukt Portugals entspricht: mehr als 210 Milliarden Euro. Die Bilanzsumme der Deutschen Bank – 1,7 Billionen Euro – ist so groß wie die Wirtschaftsleistung Italiens. Wenn die beiden Schwergewichte in Schwierigkeiten geraten, steht viel auf dem Spiel. Zusammen beschäftigen beide weltweit 700 000 Menschen, mehr als 300 000 davon in Deutschland. Brächen die Giganten zusammen, zögen sie die gesamte deutsche Volkswirtschaft in Mitleidenschaft.

Doch so weit wird es nach Lage der Dinge nicht kommen. Der Abgasskandal des Autokonzerns und der Milliardenverlust der Bank sind nicht symptomatisch für die Lage deutscher Großunternehmen. Im Gegenteil: Der exportorientierten deutschen Industrie geht es im Herbst 2015 insgesamt bestens. Mit Blick auf den weiteren Geschäftsverlauf hat der Optimismus der Unternehmen laut Ifo-Geschäftsklimaindex im September sogar weiter zugenommen. „Die deutsche Wirtschaft zeigt sich robust“, heißt es. In vielen Fällen laufen die Geschäfte besser, als die Unternehmen selbst prognostiziert hatten. Nach einer Analyse des Beratungsunternehmens EY aus dem Sommer stieg im ersten Halbjahr die Zahl der Firmen deutlich, die ihre Gewinnprognosen nach oben korrigiert haben.

Höhere Ausgaben für Forschung und Entwicklung

Höhere Gewinne ermöglichen höhere Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F+E). So stockten allein die Dax-Konzerne zuletzt ihre F+E-Budgets um 14 Prozent auf. Der Anteil der Automobilindustrie ist hier besonders groß. Die Branche steuert rund 40 Prozent an den gesamten Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der deutschen Wirtschaft bei.

Die Unternehmen stehen im globalen Wettbewerb unter enormem Innovationsdruck. Ein Indiz dafür, dass deutsche Konzerne hier in der Oberliga spielen, zeigt die Zahl der angemeldeten Patente. 2014 belegte Deutschland mit knapp 32 000 Anmeldungen hinter den USA und Japan Platz drei – und lag in Europa deutlich vor Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz. Unter den Top 10 der weltweit innovativsten Unternehmen finden sich drei deutsche: Siemens, BASF und Bosch.

Anlass zur Sorglosigkeit geben die guten Rahmenbedingungen dennoch nicht. Viele Unternehmen befinden sich in einem schwierigen Transformationsprozess. Digitalisierung und Industrie 4.0 sind nur einige Stichworte. Und: VW und Deutsche Bank zeigen, dass Konzerne eine Komplexität erreichen können, die kaum noch zu managen ist. Der „Kulturwandel“, den sich beide nach hausgemachten Skandalen vorgenommen haben, ist ein Projekt für Jahre. Henrik Mortsiefer

Die Arbeitslosenquote ist niedrig

Der Arbeitsmarkt entwickelt sich gut

Am deutschen Arbeitsmarkt lässt sich wohl am deutlichsten ablesen, wie gut es der hiesigen Wirtschaft geht. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind derzeit fast 43 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt – so viele wie nie zuvor. Entsprechend niedrig ist die Arbeitslosenquote: Sie liegt bundesweit bei 6,3 Prozent, der tiefste Stand seit 20 Jahren. Mit dieser Zahl ist Deutschland auch im europaweiten Vergleich spitze und lässt in der Statistik alle anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union hinter sich. „Der Arbeitsmarkt hierzulande entwickelt sich gut“, sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Im europäischen Vergleich sei Deutschland mit Blick auf die Beschäftigung nachgerade eine „Insel der Glückseligen“.

Es gibt noch immer Unterschiede

Die guten Werte sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor große regionale und sektorale Unterschiede gibt. Während es die „Südländer“ Bayern und Baden-Württemberg auf Arbeitslosenquoten von unter vier Prozent bringen, schlagen sie beim Schlusslicht Bremen immer noch mit 10,7 Prozent zu Buche. Berlin landet mit derzeit knapp 190 000 Arbeitslosen auf dem vorletzten Platz.

Das könnte sich in absehbarer Zeit ändern. Denn der Arbeitsmarkt in der Hauptstadt entwickelt sich im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich dynamisch. In keinem anderem Bundesland entstehen laut Bundesagentur für Arbeit derzeit so viele neue Jobs wie in Berlin. Vor allem im Gesundheits-, Dienstleistungs- und IT-Sektor, aber auch in handwerklichen Betrieben suchen viele Unternehmen händeringend nach Mitarbeitern. Da immer mehr Arbeitnehmer in Rente gehen und aufgrund der demografischen Entwicklung immer weniger junge Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, bleiben nicht selten vakante Stellen oder Ausbildungsplätze unbesetzt.

Flüchtlinge könnten hier zwar theoretisch in die Bresche springen. Allerdings lässt die derzeitige Gesetzeslage eine schnelle Integration auf dem Arbeitsmarkt nicht zu. So können Asylbewerber erst dann einer Beschäftigung nachgehen oder eine Ausbildung beginnen, wenn ihrem Antrag stattgegeben wurde. „Das führt dazu, dass die Schere zwischen arbeitslosen Deutschen und arbeitslosen Ausländern immer größer wird“, sagt DIW-Experte Brenke. Sarah Kramer

Die Binnennachfrage ist stark

Der Hamburger Hafen.
Der Hamburger Hafen.

© Fotolia

Die Deutschen sind in Kauflaune. Sie geben mehr Geld aus und stützen damit die Wirtschaft. Auch Staat und Unternehmen investieren stärker, weshalb die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten weiter von einem „verhaltenen Aufschwung“ in Deutschland ausgehen.

Die Verbraucher haben derzeit mehrere Gründe, mehr auszugeben. Da ist zum einen der gute Arbeitsmarkt: Die Zahl der Deutschen, die auf Jobsuche sind, geht zurück. Gleichzeitig steigen die Löhne, während die Preise konstant bleiben. Die Folge: Mehr Menschen haben mehr Geld zur Verfügung, das sie ausgeben können. Verstärkt wird dieser Trend durch die niedrigen Energiekosten. Weil der Ölpreis sinkt, zahlen Verbraucher derzeit weniger fürs Tanken und Heizen. Was sie dabei sparen, können sie für andere Dinge ausgeben – und das tun sie auch.

Umsätze im Einzelhandel gestiegen

So sind die Umsätze des Einzelhandels im Juli und August deutlich gestiegen. Dieser Trend könnte sich fortsetzen. Denn in der zweiten Jahreshälfte dürften die Bruttoeinkommen nach Einschätzung von Volkswirten weiter steigen. Auch die Altersbezüge sollen höher ausfallen. So liegt der Konsumklimaindex nach Angaben des Marktforschungsinstituts GfK noch immer deutlich über dem Vorjahresniveau, auch wenn es leicht gesunken ist.

Die deutschen Unternehmen profitieren zusätzlich von den Staatsausgaben, die in diesem Jahr um 2,6 Prozent steigen sollen. 2016 bis 2018 will die Bundesregierung weitere zehn Milliarden Euro investieren: unter anderem für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, mehr Energieeffizienz, einen besseren Klimaschutz und die Städtebauförderung.

Davon profitiert auch die Bauindustrie, der es momentan ohnehin gut geht. Aufgrund der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sind Immobilienkredite günstig, weshalb sich mehr Menschen eine Wohnung oder ein Haus kaufen. In diesem Jahr soll der private Wohnungsbau um drei Prozent zulegen. Daniel Mosler/Carla Neuhaus

Rekorde im Exportgeschäft

Der deutschen Exportwirtschaft geht es gut, es könnte ein Rekordjahr werden – allen Turbulenzen und Skandalen zum Trotz. Woran das liegt? Der schwache Euro macht den Kauf von deutschen Waren außerhalb der Euro-Zone günstiger. Unternehmen und Verbraucher profitieren vom niedrigen Ölpreis, folglich von geringeren Benzin- und Heizkosten. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach deutschen Produkten in den USA weiterhin hoch. Das fällt stark ins Gewicht, da die Vereinigten Staaten noch immer der Exportpartner der Deutschen sind. Gleichzeitig profitieren die hiesigen Unternehmen vom Wachstum in Europa.

Für Unsicherheit sorgen allerdings die Entwicklungen in China: Erst brach dort die Börse ein, dann wertete die Währung stark ab. Und nun ist das chinesische Wirtschaftswachstum auch noch erstmals seit der Finanzkrise unter die Sieben-Prozent-Marke gefallen. Zumal es in anderen Schwellenländern nicht besser aussieht: Russland steckt infolge des Ukraine-Konflikts in einer schweren Rezession. Auch die Wirtschaft in Brasilien steckt in der Krise. Noch dazu könnte die US-Notenbank Fed bald erstmals seit Jahren ihren Leitzins anheben. Weil Anlagen in den USA attraktiver erscheinen, könnten Investoren ihr Geld dann aus anderen Ländern abziehen.

Auch wenn die deutschen Exporte im August massiv einbrachen, zogen sie in den ersten acht Monaten dieses Jahres insgesamt um 6,6 Prozent an und betrugen 790 Milliarden Euro. Stark war die Nachfrage aus den USA, Großbritannien und Euro-Ländern wie Spanien. Nach wie vor sind deutsche Autos und Maschinen besonders beliebt.

Was die Experten für 2015 erwarten

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten in ihrem Herbstgutachten weiterhin wenig Impulse von China und anderen Schwellenländern. Auch die belebende Wirkung der Euro-Abwertung dürfte nachlassen. Andererseits dürften Unternehmen von der Erholung im EuroRaum und der steigenden Nachfrage aus Industrieländern profitieren. Für dieses Jahr erwarten die Experten ein Exportplus von 6,2 Prozent. Im kommenden Jahr soll es 4,9 Prozent betragen. Schon 2014 hatte Deutschland so viele Waren in die Welt geliefert wie nie zuvor.

Die Bundesregierung hat kürzlich ihre Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 1,8 auf 1,7 Prozent gesenkt. Für 2016 erwartet sie dennoch ein Plus von 1,8 Prozent. „Die deutsche Wirtschaft wächst weiter“, meint Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Marie Rövekamp

Der Hamburger Hafen.
Der Hamburger Hafen.

© Fotolia

Zur Startseite