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Wirtschaft: Tschechien ist schon zu teuer

Die Verlagerung von Jobs macht vor den neuen EU-Ländern nicht Halt – in Rumänien oder China sind die Löhne noch niedriger

Die tschechischen Behörden ließen nichts unversucht, um Hyundai Motors das Gewerbegebiet nördlich von Prag für ein neues Autowerk schmackhaft zu machen. Für nur sieben Euro pro Quadratmeter hätte der südkoreanische Konzern die 200 Hektar Bauland erwerben können. Doch angesichts der gestiegenen Arbeitslöhne in Tschechien sprangen die Koreaner im letzten Monat ab. Das 700 Millionen Euro teure Werk für 3500 Leute wird nun in der Slowakei gebaut.

Einige der neuen EU-Länder spüren den Druck des Outsourcings jetzt am eigenen Leib. Niedrige Löhne, großzügige Steuer-Anreize und die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft waren jahrelang die besten Argumente für Investoren in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Bei steigenden Gehältern und den neuen EU-Beschränkungen für Steuervergünstigungen werden jedoch einige Investitionspläne auf der Strecke bleiben. „Die EU-Mitgliedschaft bringt viele Vorteile für Unternehmen, aber die gestiegenen Lohnkosten sind eine wichtiger Faktor für eine Investitionsentscheidung“, sagt Ralf Kaiser, Sprecher des Autobauers Hyundai.

Für das Werk des Tochterunternehmens Kia Motors hatte man sich auch gegen Standorte in Polen und Ungarn entschieden. Schon im Januar 2003 gab Philips 500 Jobs in Ungarn auf und verlagerte die Herstellung von Bildröhren nach China, wo der Monatslohn eines ungelernten Arbeiters bei 72 Euro liegt. Kurz zuvor verlagerte der US-Elektronikzulieferer Flextronics die Produktion von Microsofts Xbox-Spielekonsole aus dem ungarischen Sarvar nach Südchina. Und 1000 Arbeitsplätze wanderten mit aus.

Das allmähliche Abwandern von Arbeit in Niedriglohngebiete lässt erahnen, wie schnell es mit dem Standort-Bonus der mittel- und osteuropäischen EU-Neulinge vorbei sein könnte. Der Beitritt wird das Verdienstgefälle zwischen alten und neuen EU-Staaten aufweichen, da die strengen Gesundheits- und Sicherheitsstandards der EU umgesetzt werden müssen und die Arbeiter mit ihren besser verdienenden Kollegen in den Nachbarländern gleichziehen wollen.

Die Neumitglieder sind darauf bedacht, das Desaster Ostdeutschlands zu vermeiden, wo die Arbeitslöhne nach dem Mauerfall rasch angehoben wurden. Als Ergebnis verlor die Industrie ihre Wettbewerbsfähigkeit, und die Arbeitslosigkeit stieg auf fast 20 Prozent. Laut Pavel Sobisek, Chefökonom der HVB-Bank in Tschechien, werden arbeitsintensive Branchen wie Automobilbau und Textilindustrie in noch billigere Länder wie Rumänien und die Ukraine abwandern.

Anfang 2004 belief sich das durchschnittliche Monatseinkommen in Ungarn auf 603 Euro, in Tschechien auf 507 Euro. In der Ukraine verdient man dagegen nur 60 Euro, in Rumänien 100 Euro. In Ungarn gingen die Auslandsinvestitionen im letzten Jahr zum ersten Mal seit 1989 zurück, wie eine Studie der Osteuropabank belegt. Die Analysten machen dafür auch die gestiegenen ungarischen Löhne verantwortlich, die in den letzten zwei Jahren um 20 Prozent gestiegen sind.

Die Verlagerung von Arbeit erfasst auch höher qualifizierte Tätigkeiten. So schlug der US-Softwarekonzern Oracle Angebote von Ungarn, Tschechien und Polen aus und zog es vor, drei weltweit operierende Call-Center in Rumänien zu errichten. Alfonso Dolanni, Vizechef von Oracles Osteuropa-Sparte, sagt, dem Unternehmen ging es vor allem um die niedrigen Lohnkosten für die rumänischen Software-Ingenieure, die nur einen Bruchteil des Lohns ihrer Kollegen in Prag oder Budapest verdienen.

Die mittel- und osteuropäischen Investment-Büros sagen einen immer härteren Wettbewerb um Auslandsinvestitionen voraus. Ein Grund sind auch die EU-Steuerregeln. Danach sind die steuerlichen Anreize auf 15 Prozent der Gesamtkosten einer Investition begrenzt. Martin Jahn, Chef der tschechischen Investment-Behörde Czech Invest, sagt, dass die neuen EU-Vorgaben das Ende der großzügigen Steuervergünstigungen sind. Dagegen können Länder wie Bulgarien, Rumänien und die Ukraine weiter mit Steuergeschenken werben und Investoren die Körperschaftssteuer für mehrere Jahre stunden.

Auch High-Tech-Jobs sind betroffen

Im Falle des Kia-Autowerkes verweist Jahn auch auf den geringeren Steuersatz des erfolgreichen Konkurrenten Slowakei. Die Körperschaftssteuer liegt bei nur 19 Prozent, verglichen mit 28 Prozent in Tschechien. „Noch vor einigen Jahren gab es keinerlei Wettbewerb um die Investitionen, und jetzt versucht jeder, den anderen zu überbieten“, sagt Jahn.

Ob Brauerei oder Autohersteller – die Unternehmen betonen auch, dass es bei einer Investition nicht allein um die Lohnfrage geht. Hyundai sagt, dass man den Standort Osteuropa einer chinesischen Lösung vorgezogen habe, um die 35-prozentige Einfuhrsteuer zu umgehen, mit der die EU alle außerhalb ihrer Grenzen hergestellten Fahrzeuge belegt. Und glaubt man den Analysten, dürfte es nicht zu einem fluchtartigen Abwandern von Jobs kommen. Die Löhne in den neuen EU-Ländern liegen immer noch 25 Prozent unter dem EU-Durchschnitt. Bevor diese Lücke geschlossen ist, werden den Ökonomen zufolge noch 15 bis 20 Jahre vergehen.

Texte übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Indien), Tina Specht (Osteuropa), Svenja Weidenfeld (Steuern), Matthias Petermann (Aventis) und Christian Frobenius (Polen).

Dan Bilefsky

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