zum Hauptinhalt
Frenzel

© dpa

Tui: Strand statt Steinkohle

Als Preussag förderte sie Kohle, als Tui fliegt sie Touristen in die Sonne – vom Wandel eines deutschen Konzerns.

Berlin - „Wir zaubern den Menschen ein Lächeln ins Gesicht“ – das verspricht der Tourismuskonzern Tui. Doch bei der Hauptversammlung am vergangenen Mittwoch grinste nur das Tui-Logo über der Rednertribüne. Zu guter Laune gibt es wenig Grund: Das Unternehmen ist hoch verschuldet, die Aktie schwächelt seit Jahren, und der Chef Michael Frenzel kämpft mit dem norwegischen Großaktionär John Fredriksen um die Macht. Der warnt, die Tui könne zerschlagen werden, finde sich nicht bald frisches Kapital.

Das wäre das Ende einer beispiellosen Geschichte, die bis ins Jahr 1923 zurückreicht. Damals hatte Preußen aus seinen Bergwerken und Eisenhütten eine staatliche Aktiengesellschaft geschmiedet – die Preussag. Nach dem Zweiten Weltkrieg wandelte sich das Unternehmen wie ein Chamäleon: Die Preussag hat Kohle gefördert, Zahnbürsten verkauft und sich 2002 als Reisekonzern Tui neu erfunden.

Die Vergangenheit der Preussag ist wie ein Spiegelbild der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Sie hat die Wandlungen des Landes mitgemacht: den Aufbau nach dem Krieg, den Abschied von der Kohle, die Anfänge der sozialen Marktwirtschaft, die Ära von Massenkonsum und Ölpreisschock. Als ihre alten Geschäftsfelder wegbrachen, wagte sie den Sprung in die Dienstleistungsbranche.

Im Mai 1945 hätten wohl nur die wenigsten geglaubt, dass es die Preussag nach 65 Jahren noch geben würde. Deutschland lag am Boden, ebenso die Preussag. Fünf Siebtel ihrer Substanz war vernichtet oder besetzt. Den restlichen Werken drohte die Demontage. Zudem startete das Unternehmen mit einer moralischen Last in die Nachkriegszeit. Die Bomben, die am ersten Kriegstag auf Polen fielen, stammten aus einem Preussag-Werk. Man verdiente gut am Geschäft mit dem Tod: 1943 erzielte die Preussag den höchsten Gewinn ihrer Geschichte. Die Alliierten gaben ihr eine Mitschuld und übernahmen die Kontrolle. Erst 1951 konnte sie wieder eigenständig handeln. Wie die Deutschen verdrängte auch die Preussag ihre braune Vergangenheit: „Noch in den 1960er Jahren wurden die Jahre 1933 bis 1945 als wirtschaftliche Blüte der Preussag glorifiziert“, berichtet die Firmenchronik. Die Entnazifierung galt nur dem Logo: Das Hakenkreuz verschwand von der Brust des Preussag-Adlers. Ansonsten blickte man nach vorn, nicht zurück.

Der beginnende Kalte Krieg half der Preussag auf die Beine: Die Amerikaner sahen die Bundesrepublik nun als Verbündeten, der aufgerüstet werden musste. Das verschlang Kohle, Blei und Rohöl – alles Dinge, die die Preussag produzierte. Möglich machte den Aufschwung der Marshall-Plan. Als Rohstoffhersteller wurde die Preussag besonders gefördert. Die 1953 eingeführte Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl eröffnete dem Unternehmen neue Absatzmärkte.

Dennoch spürte der Konzern das langsame Sterben der deutschen Steinkohle. Mitte der 50er Jahre fraß ein einzelnes Bergwerk in Barsinghausen den gesamten Konzerngewinn auf. 1955 zog die Preussag die Reißleine und schloss es. Die Belegschaft protestierte: Über der Rentabilität stehe der Mensch. Vergeblich.

Barsinghausen war der Auftakt für das Zechensterben, das bald das Ruhrgebiet erfasste. Das Wirtschaftswunder fand im verarbeitenden Gewerbe und in der Konsumbranche statt, nicht in der Schwerindustrie. Das merkten auch die ehemaligen Preussag-Leute aus Barsinghausen. Sie produzierten nun Kolbenringe für Autos und Plätzchen für die Massen.

Der enorme Aufschwung, den die Bundesrepublik bis zur ersten Rezession 1967 erlebte, war auch ein Erfolg der „sozialen Marktwirtschaft“ des CDU-Mannes Ludwig Erhard. Er fand, der Staat solle nur den Rahmen setzen und sich ansonsten heraushalten. Die Wirklichkeit Anfang der fünfziger Jahre sah anders aus: 50 Prozent des Grundkapitals aller Kapitalgesellschaften gehörten dem Staat. Die Preussag war ein Teil des Imperiums, und Erhard war entschlossen, das zu ändern. „Er wollte den Deutschen die Marktwirtschaft ins Hirn pflanzen und sie dazu erziehen, ökonomisch zu denken“, sagt der Koblenzer Historiker Bernhard Stier. Das ging nur durch eine Teilhabe am System, durch Privatbesitz. Mit dem Slogan „Wohlstand für alle – Eigentum für jeden“, machte Erhard 1957 Wahlkampf für Adenauer. Die CDU gewann.

Die Preussag wurde zum Testfall für Erhards Volkskapitalismus: 30 Prozent des Konzerns sollten über die Börse an Kleinanleger verkauft werden. Vierzig Jahre bevor Manfred Krug die Telekom anpries, warben 100 Zeitungen, Fernsehen und Radio für das Papier. Die Reaktion war gewaltig: Statt wie geplant 300 000 Aktien à 100 Mark wurden dreimal so viele ausgegeben. Am Ende waren 200 000 Deutsche stolze Neuaktionäre. Viel Glück brachte die Volksaktie nicht. Als 1971 die Dividende erstmals ausfiel, tobten die Aktionäre: „Diese schwindsüchtige, schrumpfende Volksaktie sollte man in Volksschwindel umbenennen“, schrieb einer.

Das Problem der Volksaktie: Die Preussag war altmodisch. Sie setzte auf Bergbau, während die Profite mit Waren für die Wohlstandsgesellschaft gemacht wurden. Zwischen 1950 und 1970 stieg der durchschnittliche Monatslohn von 213 auf 881 Mark. Die Deutschen mussten nicht länger ihr ganzes Geld für Essen und Miete ausgeben, sie konnten sich Luxusgüter leisten, Autos etwa. In den 60er Jahren folgte die Preussag dem Trend: Sie baute ihr Ölgeschäft aus und begann, chemische Grundstoffe für die Industrie herzustellen. Selbst Hautcremes, Zahnbürsten und Mundwasser kamen ins Programm. „Damit vollzog die Preussag nach, was sich an der Veränderung der Lebensweise längst abzeichnete“, sagt Stier. Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft hatte begonnen. 1950 arbeitete nur jeder Dritte in diesem Sektor, 1980 jeder Zweite.

Aber der Umbau war teuer. Als Anfang der 70er Jahre die Arbeitskosten rapide anstiegen, wurde klar, dass sich die Preussag verzettelt hatte. Sie war ein Krämerladen ohne Profil. Die Rettung brachte erst der Ölpreisschock 1973: Plötzlich verdiente die Preussag wieder Geld. Das brauchte sie dringend für die Sanierung: Sie trennte sich von der Kosmetik und konzentrierte sich auf Logistik, Chemie, Energie und Metall.

Die 80er Jahre brachten Stabilität, aber die Globalisierung machte sich bemerkbar: Der Bergbau war nicht mehr konkurrenzfähig. 1987 schloss die Preussag ihre Mine in Rammelsberg am Harz. Die letzte Lore verpackte der Künstler Christo.

Die Revolution beginnt, als Michael Frenzel 1994 zum Vorstand berufen wird. Er will die Preussag in die „Nachrohstoffzeit“ führen. 1997 übernimmt er die Reederei Hapag-Lloyd und sichert sich einen Anteil am Reiseunternehmen Tui. „Preussag wird heute noch immer assoziiert mit Kohle, Grundstoffe, schwarz, dunkel. Einen blauen Himmel bekommt man in das Bild nicht rein“, sagt Frenzel. Den blauen Himmel sieht er in der Touristik. „Mit der Übernahme bekommen wir den Schub: hin zu einem Technologie- und Dienstleistungskonzern.“

Der „Urlaubszar“, wie ihn eine Zeitung nennt, geht mit Einsatz an die neue Aufgabe und testet Hotels schon mal persönlich. Er stockt den Anteil an der Tui weiter auf, im Mai 2000 schnappt er sich den britischen Reiseanbieter Thomson. Im Juni 2002 wird auch der Name geändert: Preussag heißt jetzt Tui. 70 Prozent des Umsatzes bringt da schon der Tourismus.

Vom Förderturm zum Ferienmacher – das Unternehmen ist in der Dienstleistungsgesellschaft angekommen. Aber der Umbau hatte seinen Preis. Die Schulden sind hoch, Anfang 2009 muss Frenzel die Mehrheit von Hapag-Lloyd verkaufen. Auch auf Druck der Aktionäre, denn eines hat der Umbau nicht gebracht: Kursgewinne. Seit dem Jahr 2000 hat die Aktie vier Fünftel ihres Wertes verloren.Im Konzern war die Containersparte zum Fremdkörper geworden.

Für den Historiker Stier gibt es keine Alternative zum Radikalumbau: Man könne ja nicht einfach den Laden auflösen und den Aktionären ihr Geld zurückgeben. „Die Preussag ist ein Beispiel für die Notwendigkeit von Wandel – und dass er nicht reibungslos abläuft.“ Das gelte auch für die Bundesrepublik: Die Geschichte der Preussag sei auch eine Geschichte eines langen Abschieds vom Bergbau, der Deutschland einst groß gemacht hat. Und gewiss ist: Wäre die Tui noch die alte Preussag, hätte sie die globale Krise noch schwerer getroffen – und ihr vielleicht den Todesstoß versetzt.

Joachim Telgenbüscher

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false