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Wirtschaft: Über den Lohn hinaus

Schon seit 1837 wird über eine Gewinnbeteiligung von Arbeitnehmern diskutiert. Bis jetzt ohne Ergebnis

Berlin - Es waren wenige Zeilen im Redemanuskript, mit denen Angela Merkel beim CDU-Parteitag in Dresden für Aufsehen sorgte. „Gerade in globalen Zeiten müssen wir neue Wege für mehr Beteiligungsgerechtigkeit finden“, sagte die Bundeskanzlerin. „Deshalb beraten wir auf diesem Parteitag das Konzept des Investivlohns.“ Die Idee lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Arbeitnehmer bekommen einen Teil ihres Gehalts nicht aufs Konto überwiesen, sondern in Form einer Beteiligung am Unternehmen. Das Konzept der Kapitalpartnerschaft ist nichts Neues. Der Investivlohn ist eine Debatte mit Konjunktur in Deutschland: Immer wenn sich Vermögen anhäufte, wurde darüber gestritten, wie es zu verteilen wäre. Doch aus dem Investivlohn ist bis heute nichts geworden.

1837

Franz Joseph Buß war 34 Jahre alt, als er vor die Zweite Kammer des Badischen Landtags in Karlsruhe trat. In seiner „Fabrikrede“ kritisierte er die nachteiligen Folgen der Industrialisierung im Deutschen Reich. Buß diskutierte dabei eine „Unerhörtheit“ vor dem Parlament: Mit dem Blick auf das wirtschaftlich weiter entwickelte England verlangte er, auch in Deutschland über die Gewinnbeteiligung von Arbeitnehmern zu reden.

1848

Monate hatte Johann Heinrich von Thünen auf Gut Tellow in Mecklenburg an seinem Gewinnbeteiligungsmodell gearbeitet, ehe es ausgereift schien. Thünen wollte die Ertragsüberschüsse an seine Landarbeiter nicht bar auszahlen. Stattdessen legte der Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler eine Alterskasse für seine Arbeiter an. Bis zu ihrem Ausscheiden brachten es die Landarbeiter so auf ein bescheidenes Vermögen. Zudem zahlte Thünen seinen Arbeitern die jährlichen Zinserträge aus.

1874

Als sich 1873 der „Verein für Socialpolitik“ in Frankfurt am Main gründete, ging es Sekretär Adolf Held um höhere Ziele. Er wollte den „sozialen Frieden“ im Deutschen Reich wiederherstellen. Ein Jahr nach Gründung gab Held daher ein Gutachten „Über die Beteiligung der Arbeiter am Unternehmensgewinn“ in Auftrag.

1898

Am Durchblick mangelte es Ernst Abbe zeitlebens nicht: Der Optiker verwirklichte viele sozialpolitische Visionen. Als Direktor der Carl-Zeiss-Werke in Jena beteiligte er seine Arbeitnehmer an den Gewinnen des Unternehmens. „Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, dass die Arbeiterschaft über die Löhne hinaus an den ökonomischen Erfolgen der Unternehmerschaft ihren Anteil hat“, sagte Abbe.

1929

Die Weltwirtschaftskrise bereitete der Idee der Gewinn- und Kapitalbeteiligung ein jähes Ende. Arbeitnehmer wie Arbeitgeber begegneten den Konzepten fortan mit Skepsis.

1951

Die Wirtschaftswunderjahre gaben Karl Arnold, dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, die Sicherheit, die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik in Frage zu stellen. Die westdeutsche Wirtschaft brummte, die Investitionen stiegen stetig – allein der durchschnittliche Stundenlohn eines Industriearbeiters blieb unverändert bei etwa einer Mark. Arnolds „Zwei-Pfennig-Plan“ war einfach, konnte aber nicht überzeugen. Zwei Pfennig pro Stunde sollten die Mitarbeiter an eine überbetriebliche Kasse abführen, zwei weitere sollte das Unternehmen zur Anlage beisteuern.

1954

„Wohlstand für alle“, das war Erwin Häussler nicht genug. Der katholische Laienfunktionär forderte während eines Tarifkonflikts in Nordbaden „Eigentum für alle“. Der Stuttgarter Landtagsabgeordnete entwickelte deshalb das Modell des „Investivlohns“: Ein Großteil des Lohnes sollte an die Mitarbeiter ausgezahlt werden, ein kleiner Teil für Investitionen in einem überbetrieblichen Fonds, der „Investment-Treuhand-Gesellschaft“, angelegt werden. Im Gegenzug sollten die Mitarbeiter Aktien oder andere Teilhaberrechte erhalten.

1961

Das Vermögensbildungsgesetz, besser bekannt als „312-Mark-Gesetz“, wurde 1961 vom Bundestag verabschiedet. Der steuerlich begünstigte Höchstbetrag von 312 Mark sollte Arbeitnehmer ermutigen, Belegschaftsaktien zu kaufen. Heute sind nach mehreren Anpassungen des Freibetrages 135 Euro abgabenfrei. Auch das von Ludwig Erhard auf den Weg gebrachte Belegschaftsaktiengesetz, das später im Einkommenssteuergesetz aufging, sollte Mitarbeiter ermuntern, in Unternehmen zu investieren.

1984

Norbert Blüms Handschrift wird im 1984 verabschiedeten Vermögensbeteiligungsgesetz erkennbar. In der derzeit gültigen Fassung wird eine Kapitalbeteiligung an Unternehmen von 400 Euro jährlich gefördert. Die staatliche Sparzulage für Arbeitnehmer beträgt seit 2004 18 Prozent.

2005

Ende des Jahres sagte Bundespräsident Horst Köhler in einem Interview: „Ich halte die Zeit für gekommen, die Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer oder ihre Beteiligung am Produktivvermögen wieder auf den Tisch zu bringen.“

Manuel Köppl

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