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Wirtschaft: Überflieger mit bodenständigem Geschäft

Der frühere BMW- und Jaguarmanager Wolfgang Reitzle setzt beim Maschinenbauer Linde ehrgeizige Renditeziele

Frankfurt (Main)/Berlin (ro/alf). Wolfgang Reitzle hat ein klares Ziel. Aus dem „Rohdiamanten Linde“ will er einen „lupenreinen Brillanten“ schleifen. Alles andere wäre für den ehemaligen Star der internationalen Autoszene viel zu wenig. Bei seiner ersten Bilanzpressekonferenz als Vorstandschef des Maschinen und Anlagebauers verkündet er am Donnerstag aber auch unangenehme Wahrheiten: Der Schleifprozess wird Folgen haben, deutlich mehr als 1000 Arbeitsplätze wird Linde streichen, wahrscheinlich werden im Gabelstapler-Bereich Werke geschlossen. Die Kältetechnik wird möglicherweise sogar verkauft.

Für 2003 verspricht der neue Mann an der Spitze des Wiesbadener Unternehmens ein besseres Ergebnis als im Vorjahr. Allerdings unter der Annahme, dass der Irak-Krieg nicht zu einer weltweiten Wirtschaftsflaute führt und Deutschland in die Rezession schliddert. Im Januar und Februar lag der Umsatz zwar leicht unter Vorjahresniveau, der Auftragseingang erhöhte sich allerdings um fast fünf Prozent.

Seit knapp einem Jahr ist Reitzle bei Linde. Der überraschende Wechsel von der Spitze der Premier Automotive Group von Ford, die die Marken Jaguar, Volvo, Land Rover, Lincoln und Aston Martin umfasst, zu dem hessischen Mischkonzern gab Rätsel auf. Es wurde gemutmaßt, dass Reitzle die Nähe zu seiner Lebensgefährtin, der ZDF-Moderatorin Nina Ruge gesucht habe oder künftig in Süddeutschland mehr Golf spielen wolle.

Reitzle gilt als brillanter Automann, der über viele Jahre die Forschung bei BMW leitete. Er verließ gemeinsam mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Bernd Pischetsrieder Anfang 1999 den Münchener Konzern, als sich abzeichnete, dass er wegen Widerständen der Arbeitnehmer nicht auf den Chefposten befördert würde. Nachdem er mehrere Angebote aus der Autobranche hatte, entschied sich Reitzle für den Führungsposten bei der Luxuswagensparte von Ford. Nach nur drei Jahren stieg er wieder aus. Spekulationen zufolge gab es Unstimmigkeiten zwischen der in London ansässigen Premier Automotive Group und der Ford-Zentrale in Detroit. Womöglich sind aber auch weiter gehende Ambitionen Reitzles in Detroit abschätzig beschieden worden.

Inzwischen, nach knapp einem Jahr bei Linde, erweist sich Reitzle nicht nur als profunder Kenner des Unternehmens, sondern auch der jeweiligen Märkte. Geschätzt wird die sachliche Art, wie er sie am Donnerstag bei seiner ersten Bilanzpressekonferenz demonstrierte: Eine betont nüchterne, aber klare Rede, keine Floskeln und Zurückhaltung dort, wo keine klaren Aussagen möglich sind. Vor allem aber nennt Reitzle Ziele: Das Gasgeschäft, mit einem Umsatzanteil von 56 Prozent und einem Gewinnanteil von 80 Prozent der wichtigste Bereich bei Linde, soll weiter nach vorne gebracht werden, unter anderem durch den verstärkten Einsatz von Gasen im Gesundheitsbereich und die Erschließung neuer Geschäftsmöglichkeiten durch Helium. Gerade baut Linde in Algerien eine neue Heliumverflüssigungsanlage. Daneben sollen die Kosten bis 2004 um 150 Millionen Euro gedrückt werden. Bedeutend mehr als die bisher genannten 1000 der rund 17000 Arbeitsplätze werden im Bereich Gabelstapler gestrichen. Nicht alle 17 Werke in Europa werden überleben.

2002 war der Linde-Umsatz um 1,2 Prozent auf 8,72 Milliarden Euro gesunken, der Gewinn vor Steuern war vor allem wegen des Staplergeschäftes sogar um 20,4 Prozent auf 356 Millionen Euro geschrumpft. Nur dank niedriger Steuerzahlungen blieb der Jahresüberschuss mit 240 Millionen Euro auf Vorjahreshöhe. Die Rendite sank auf sieben Prozent. Reitzle strebt mindestens zehn Prozent an.

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