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Wirtschaft: Ulrich Berger

(Geb. 1944)||Er war maßlos. Wagner-Opern mochte er aber auch wegen ihrer Pausen.

Er war maßlos. Wagner-Opern mochte er aber auch wegen ihrer Pausen. Nach dem Selbstmord der Mutter musste er lernen, alleine durchs Leben zu kommen, durchs Kinderheim, durch die fünfziger Jahre in Ost-Berlin. Er war ein heller Junge, der die Musik liebte, das Theater, die Oper. Immer wieder half ihm die Oper durch schwierige Zeiten. Die Staatsoper Unter den Linden nahm ihn als Ballettschüler auf.

Abends fuhr er mit der S-Bahn in den Westen, zu den Vorstellungen der Städtischen Oper im Theater des Westens. Am liebsten Richard Wagner. Das hatte neben der Leidenschaft auch einen praktischen Grund: Wagner-Opern waren lang, hatten zwei Pausen. Erste Pause: Lage sondieren. Zweite Pause: Kontakte anbahnen. Mit diesen gebildeten, reichen, älteren Herren. Die sich verzehrten nach so hübschen Jungs wie Uli einer war, so ein blondes ätherisches Wesen, mit den eleganten, weichen Bewegungen eines Ballettschülers. Dann wurde er eingeladen in ein edles Restaurant, zu feinem Essen und angeregt gebildeter Konversation. Über die Inszenierung, Musik, Literatur, die Kunst.

Der 16-jährige Uli sammelte Bildung und Wissen. Und eine Menge Erfahrungen. Er ging mit den gebildeten Herren nach Hause und bekam am nächsten Tag ein überaus großzügig bemessenes Taxigeld. Einer der Herren ließ Uli in einem Modehaus am Ku’damm neu einkleiden. Die Mauer 1961 bedeutete für Uli das Ende der Wagner-Opern im Westen.

Er machte Abitur und Karriere an der Komischen Oper als Regieassistent. Bis der Intendant eine Intrige spann, weil Uli sich weigerte, sein Liebhaber zu werden.

Ein paar Jahre arbeitete er als Küchenjunge bei der Speisewagengesellschaft Mitropa. Da lernte er vom ehemaligen Leibkoch Wilhelm Piecks das Kochen. Und fand in der Gastwirtschaft eine neue Leidenschaft. Er bekochte seine Freunde und kellnerte eine Weile auf Hiddensee.

Dann studierte Uli noch Design, machte ein Diplom, und dann kam noch ein Studium: Philosophie an der Humboldt-Universität. Und wieder lag eine glänzende Karriere vor ihm: Dozent an der Akademie der Wissenschaften, vorgesehen für die große Professoren-Laufbahn. Bis eines Tages die Parteisekretärin mit hochrotem Kopf durch die Akademie lief und japste: „Der Berger, der Berger! Der Berger beantwortet die Grundfrage der Philosophie idealistisch!“ Der Berger lachte sich kaputt: „Diese Parteitante!“

Tatsächlich hatte er nicht viel übrig für Marxismus und Dialektischen Materialismus, er beschäftigte sich lieber mit Logik und Erkenntnistheorie. Und fiel in Ungnade bei der Partei: Entzug der Lehrerlaubnis, Publikationsverbot. Ende der Akademikerlaufbahn.

Warum also nicht zurück zur Kunst?

Uli nahm alte Theaterkontakte auf, wurde Gastdozent an der Musikhochschule Hanns Eisler, gab „Dramatischen Unterricht“. Und haderte schwer mit den Zuständen in der DDR. 1983 floh er über Ungarn in den Westen.

In West-Berlin knüpfte Uli neue Kontakte. Das konnte er gut: Menschen überzeugen, mitreißen. Freie Universität, Berliner Senat, einflussreiche Frauen. Schnell hatte er einen gut dotierten Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der FU. Dort vergraulte er die meisten Studenten schnell mit seinen Anforderungen. Die übrig gebliebene Hand voll versammelte sich zum Seminar in seiner Charlottenburger Wohnung. Einmal die Woche, abends von sechs bis Mitternacht. Anschließend Nachbearbeitung in der Kneipe nebenan. Da debattierten sie und soffen bis morgens um vier.

In allem sei Uli maßlos gewesen, sagen die Freunde. Vielleicht ein Grund, weswegen es nicht geklappt hat mit den regelmäßigen wissenschaftlichen Publikationen, die die Uni von ihren Dozenten erwartete. Sein Anspruch an die eigene Arbeit war ja auch maßlos. Ein Buch wollte er schreiben, ein großes Projekt über die Entwicklung der Philosophie in der DDR. Natürlich wurde daraus nichts. Und eine weitere grandiose Professorenkarriere war gescheitert.

Warum nicht wieder zurück zur Kunst? Eine kleine Theaterproduktion? Er konnte Laienschauspieler für seine Pläne begeistern, sie arbeiteten ohne Geld, und 1986 brachten sie die erste Theaterproduktion auf die Bühne. „Die Liebe zu den drei Orangen“, ein Commedia-dell-Arte-Stück. Text und Regie: Uli Berger. Zwölf Aufführungen in verschiedenen Spielstätten. Kleine Bühnen, Kellertheater, Jugendheime.

So begeistert waren Ulis Schauspieler, dass sie weitermachen wollten, unbedingt, eine neue Produktion. „Gut“, hat Uli da gesagt, „dann machen wir eben ein eigenes Theater auf!“

Der „Schauplatz“ in der Kreuzberger Dieffenbachstraße war ein ehemaliger Laden mit einer großen Front ungeputzter Fenster. Dahinter eingestaubte Grünpflanzen, nikotingeschwängerte, schwarze Vorhänge, Sperrmüllmobiliar. 20 bis 30 Sitzplätze. Und ob sie nun besetzt waren oder nicht, Uli und seine Truppe steckten all ihre Energie und Leidenschaft in jede einzelne Aufführung: Diderot, Rilke, Lorca, Cocteau, Friederike Kempner, Friedhelm Kändler, Martin Betz.

Auch wenn mit dem Theater kein Geld zu verdienen war, das ABM-Geld kaum ausreichte und irgendwann ganz gestrichen wurde. Geld war Uli egal, schließlich ging es um die Sache, ums Theater, um die Kunst. Und jede einzelne Vorstellung wurde gefeiert. Da haben sie gesoffen bis morgens um vier. Und wenn mal kein Publikum kam, haben sie sich gleich einen netten Abend gemacht.

Als das Geld knapp wurde, hat Uli seine gediegen gutbürgerliche Wohnung aufgegeben, und ist mit seinem Kompagnon Christoph in ein Hinterzimmer des „Schauplatzes“ gezogen. „Club der Rotnasen“ hat die Schriftstellerin Felicitas Hoppe die beiden genannt, wenn sie nach der Vorstellung hinter ihrer Bar standen, für ihre Gäste Flasche um Flasche öffneten, sich die Köpfe heiß und die Nasen rot debattierten. Und kein Ende vor morgens um vier.

Die Zeiten wurden immer schlechter fürs kleine Theater. Die Bildungsbürger, die früher gerne Ausflüge gemacht hatten in den verwegenen Kreuzberger Schuppen, blieben plötzlich aus. Und die Studenten hatten immer weniger Geld, das sie nach der Vorstellung in der Hinterzimmerbar hätten versaufen können. Die Rotnasen saßen jetzt alleine an ihrem Tresen. Bis morgens um vier. Und mussten irgendwann aufgeben, weil der Getränkeverkauf, der ihre Haupteinnahmequelle war, gar nicht mehr lief.

In den „Schauplatz“ zog ein Weinladen, Uli und Christoph zogen nach Treptow. Zwei scheußliche Jahre. Absturzphase: Abgehangen, abgesoffen. Und wieder aufgetaucht mit einem neuen Theaterversuch in Kreuzberg. Im „El Loco“, Kreuzbergstraße. Doch die Räume, in denen sie noch ein einzigartiges Jahrtausendsilvester gefeiert hatten, erwiesen sich fürs Theater als ungeeignet. Ende, Pleite, aus.

Warum also nicht wieder zurück zur Wissenschaft? Zum Akademischen? Zur Philosophie?

Uli und Christoph studierten noch mal, sie wandten sich jetzt der „Ökonomie“ zu. Und entdeckten die Internetzeitschrift „Telepolis“ als Plattform für ihre Essays und Aufsätze zu Wirtschaft, Philosophie und Theater, die sie in ihrer kleinen Wohnung in der Baerwaldstraße gemeinsam erarbeiteten. Geld ließ sich auch damit kaum verdienen. Aber es gab ihnen etwas zu tun, eine Aufgabe. Ein Resultat der tage- und nächtelangen Debatten. Immer noch bis morgens um vier.

Wie schlecht die Zeiten auch sein mochten, Uli blieb optimistisch: „Schließlich haben wir uns von den Arschlöchern in der DDR nicht verbiegen lassen, da können uns jetzt auch diese neoliberalen Arschlöcher nicht unterkriegen!“ Und Uli feierte weiter große Feste, wann immer es etwas zu feiern gab. Dann kochte er seine Fünf- Gänge-Menüs, dekorierte den Tisch mit Kerzen und altem Geschirr. Und zu Weihnachten schmückte er den Baum. Ein Weihnachtsbaum musste sein, fand Uli. Und wenn das Geld nicht reichte, haben sie einfach einen geklaut.

Und immer noch ging Uli leidenschaftlich gerne in die Oper. Zog dazu seine besten Sachen an, Anzüge aus feinstem Kammgarn, edle Stoffe, beste Fabrikate. Die hatte er penibel ausgewählt bei seinen Streifzügen durch die Second-Hand-Läden ums Kottbusser Tor. Da drehte er sich elegant vorm Spiegel und begutachtete sich: Doch, so könnte er sich sehen lassen in der Oper.

Irgendwann hat er Blut gespuckt: Lungenkrebs. Er ließ mehrere Chemotherapien über sich ergehen, wurde immer schwächer.

Auf dem Friedhof am Südstern noch einmal Richard Wagner. Zu Uli Bergers Ende die Ouvertüre von Tannhäuser.

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