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Aktivist. Jürgen Resch wirft der Industrie Vertuschung beim Diesel vor.

© imago/Jürgen Heinrich

Umwelthilfe-Chef Jürgen Resch: Der Mann, der die Autoindustrie vor Gericht zermürbt

Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, hat vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart einen neuen Teil-Sieg gegen die Autoindustrie erstritten. Wer ist der Mann? Ein Porträt.

Jürgen Resch holt aus. Im Gespräch über die Schlachten, die die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in mehr als 40 Jahren geschlagen hat, wird der Bundesgeschäftsführer ausführlich. „Mein Lieblingsbegriff sind die konzentrischen Kreise“, sagt der 57-Jährige. „Wir nehmen uns ein Thema vor, bei dem wir Regelungsbedarf sehen, wir bleiben dabei – und gehen in die Tiefe.“ Pestizide, schwefelfreier Kraftstoff, Umweltzonen, Rußpartikelfilter, Dosenpfand – Resch spannt weite Bögen in die Vergangenheit, um zu demonstrieren, wie lang der umweltpolitische Atem der DUH ist. „Wir machen es nicht flach.“

Reschs Erfolgsbilanz findet ihren vorläufigen Höhepunkt an einem Wochenende im September 2015: Europas größter Autobauer gibt zu, die Abgasreinigung bei Millionen Dieselfahrzeugen manipuliert zu haben. Der VW-Skandal ist in der Welt – und Jürgen Resch steht als Ankläger der Autoindustrie auf der großen Bühne. „Für uns war das keine Genugtuung“, behauptet er. Nachdem er die Meldungen aus Wolfsburg gehört hatte, sah er sich in seinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt. „Wir hatten ja schon lange über den Diesel gesprochen.“ Die letzte Diesel-Kampagne, die auf zu hohe Abgaswerte vieler Automodelle im Alltagsbetrieb hingewiesen hatte, war gerade ein paar Tage alt, als die VW-Bombe platzte. Bärbel Höhn, die grüne Umweltpolitikerin, gratulierte Resch mit den Worten: Ihr habt uns jahrelang damit genervt – und jetzt stellt sich das alles als wahr heraus.

Den VW-Skandal zum Diesel-Skandal gemacht

Aber was ist wahr und was ist Lüge? Die anderthalb Jahre, die seit Bekanntwerden des VW-Dieselskandals vergangen sind, haben gezeigt, dass die Grenzen verschwimmen. Reschs Kritiker, manche kann man auch als Feinde bezeichnen, werfen ihm vor, die deutsche Autoindustrie – und mit ihr die Bundesregierung – unter Generalverdacht zu stellen. Freunde und Unterstützer glauben wie Resch, dass Volkswagen kein Einzelfall ist, sondern dass alle Autohersteller tricksen – und die staatliche Aufsicht versagt. „Wir reklamieren für uns, dass wir mit unseren Untersuchungen den VW-Skandal zu einem Diesel-Skandal gemacht haben“, sagt Resch. „Das kann ich auch belegen“ ist eine weitere seiner Lieblingsformulierungen.

Daimler und BMW weisen Reschs Betrugsvorwürfe zurück – mit allen Mitteln. Resch spricht von einem „sehr, sehr harten Diskurs“. Besonders heftig ist die Auseinandersetzung mit Daimler. Die DUH glaubt, mit eigenen Tests belegt zu haben, dass der Stuttgarter Konzern bei einigen Diesel-Modellen ebenfalls die Grenzen des Erlaubten überschritten hat. Eine juristische Schlammschlacht über die Veröffentlichung der Testergebnisse im Fernsehen schließt sich an. Daimler lässt den Medienanwalt Christian Schertz alle Register ziehen. Resch fühlt sich „maximal bedroht“, auch persönlich. Daimler und Schertz wirft er vor, die „ersatzlose Vernichtung der DUH“ zu planen, eine Schadenersatzklage in Millionenhöhe steht im Raum. „Ich bin auch ein Mensch. Da schlafe ich teilweise auch wirklich schlecht“, sagt Resch.

Vermittlungsversuch mit Daimler scheiterte

„Wir können Tests der Umwelthilfe häufig nicht rekonstruieren und bewerten, weil uns wesentliche Testparameter nicht mitgeteilt werden“, erwidert Daimler-Sprecher Jörg Howe. „In den Medien wird dies aber häufig unterschlagen.“ Die DUH sei „ein Player, keine Frage“. Sie sei international gut vernetzt und sie arbeite mit anderen Nicht-Regierungsorganisationen zusammen. „Sie sind einfach die lautesten.“

Ein Treffen von Howe und Resch in der DUH- Zentrale am Bodensee bleibt Ende 2015, wenige Wochen nach dem VW-Skandal, ohne Ergebnis. „Mir ging es darum, die Position von Herrn Resch zu verstehen, den ich bis dato persönlich nicht kannte“, sagt Howe. Doch der Vermittlungsversuch scheitert – zumindest öffentlich.

Lagerdenken aufgeben. Daimler-Chef Dieter Zetsche trat im November auf dem Bundesparteitag der Grünen in Münster auf.
Lagerdenken aufgeben. Daimler-Chef Dieter Zetsche trat im November auf dem Bundesparteitag der Grünen in Münster auf.

© picture alliance / dpa

Als Resch und Daimler-Chef Dieter Zetsche im November beim Grünen-Parteitag in Münster als Redner auftreten, dreht der DUH-Chef auf: Den deutschen Autobauern wirft er „kriminelle Energie“ vor und eine „konspirative Kumpanei mit dem Kraftfahrt-Bundesamt“. Resch, der keiner Partei angehört, trifft den Nerv der Öko-Partei. „Es geht nicht ums Schummeln, sondern um vorsätzlichen Betrug“, ruft er in die Halle. Dem Staat entgingen jedes Jahr 2,2 Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Resch: „Politik, Regierung und Behörden werden durch die drei großen Automobilkonzerne ferngesteuert.“ Zetsche kontert betont moderat: Es gelte, „alte Feindbilder hinter uns zu lassen“ und das „Lagerdenken“ aufzugeben.

Reschs eigenes Lager, die Umwelt- und Verbraucherlobby, hat ein durchaus ambivalentes Verhältnis zur DUH. Reschs Rechthaberei geht manchen auf die Nerven. Er sei hartnäckig, heißt es, aber unbeliebt. Die Verbraucherzentralen wollen sich gar nicht zur Umwelthilfe äußern, die Stiftung Warentest sieht die DUH nicht als Konkurrenz, weil sie keine Produkte oder Dienstleistungen testet. „Wir kommen uns nicht in die Quere“, sagt eine Sprecherin. Kontakte gebe es kaum. Die Meinung der DUH-kritischen Umweltaktivisten hat sich seit Dieselgate zu Reschs Gunsten gedreht. Beharrlich wie er sei, habe er beim Diesel seine größte Bestätigung gefunden. Der ökologische Verkehrsclub VCD sieht eine „Umweltbewegung“ auf dem Vormarsch: „Wir bohren die dicken Bretter, die DUH ist gut bei Klagen und Kampagnen.“

1400 zivilrechtliche Verfahren pro Jahr

Genau damit machen sich Resch und seine rund 100 Mitarbeiter aber auch angreifbar. Als „Abmahnverein“ wird die Umwelthilfe kritisiert, die nicht dem Gemeinwohl verpflichtet sei, sondern ihren Spendern – auch aus der Industrie. „Der Dieselskandal war nicht mehr als ein Glücksfall für den Verein“, sagt ein Vertreter der Autoindustrie. 1400 zivilrechtliche Verfahren strengt die DUH nach Reschs Angaben jährlich an, 1100 werden außergerichtlich geklärt, 300 gehen vor Gericht. Hinzu kommen 50 öffentlich-rechtliche Streitfälle. Resch spricht von „Marktüberwachung“ eines Vereins, dessen Finanzen regelmäßig geprüft und testiert würden. Ja, räumt er ein, die DUH bekomme auch Spenden aus der Industrie, 80 000 Euro von Toyota zum Beispiel. Die Japaner finanzieren seit vielen Jahren den „Dienstwagencheck“ des Vereins. „Das ist kein Geheimnis“, sagt Resch. Geld verdiene man nicht damit, weil die Einnahmen stets in neue Tests und Kampagnen flössen. Knapp 17 Prozent des Etats von zuletzt 8,1 Millionen Euro stammen von Spendern, der größte Posten (38 Prozent) sind Projektzuschüsse und der Verbraucherschutz (30 Prozent).

Daimler neuester Diesel beeindruckt auch die DUH

Dennoch lebt die DUH davon, ihre Schlachten vor den höchsten Gerichten zu führen – auch beim Diesel. So gelang es, das erste Diesel-Fahrverbot in Stuttgart durchzusetzen. In 15 anderen Städten klagt die DUH ebenfalls. „Wer klärt solche Streitfälle im demokratischen System? Gerichte!“, sagt Resch. Wenn die Autokonzerne etwa behaupteten, die Abgasreinigung abschalten zu dürfen, um den Motor zu schützen, werde man dies vor Gericht widerlegen. „Meine Informanten sagen, wenn das Ding vor dem Europäischen Gerichtshof landet, geht das zu 100 Prozent in Eurem Sinne aus“, sagt Resch. Mehr als 30 Rechtsgebiete „kontrolliere“ die DUH inzwischen. Kampagnen seien dabei Mittel zum Zweck: „Wir skandalisieren nicht um des Skandals Willen.“

Im Streit mit Daimler versuchen beiden Seiten, die Wogen zu glätten. Der Autobauer stellte der DUH im vergangenen Jahr seinen neuesten Diesel-Motor der Baureihe OM 654 für Tests zur Verfügung. Die Abgaswerte weit unter den gesetzlichen Grenzwerten beeindruckten auch Jürgen Resch. „Das zeigt“, sagt er, „Sie haben nicht einen Fanatiker vor sich, der da draußen immer nur den Teufel sieht.“

Dieser Text erschien erstmals im März 2017 in "Tagesspiegel Agenda".

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