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Kürzer fürs Kind. Viele Frauen in Teilzeitjobs wollen eigentlich länger arbeiten, sagt das Statistische Bundesamt.

© picture alliance / dpa

Ungenutztes Arbeitskräftepotential in Deutschland: 7,4 Millionen Menschen stehen bereit

In Deutschland suchen viel mehr Bürger einen Job, als die Statistik Glauben macht – vor allem Frauen in Ostdeutschland. Doch es fehlt an Kinderbetreuung und an Unterstützung für ältere Arbeitnehmer.

Der Aufschwung, der hohe Bedarf an Fachkräften, die Demografie: Seit ihrem Amtsantritt Ende 2009 konnte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) stetig die frohe Botschaft sinkender Arbeitslosenzahlen verkünden. 2011 waren es erstmals seit 1992 weniger als drei Millionen Menschen, die einen Job suchen – so sagt es die offizielle Statistik.

Doch die geht an der Realität vorbei, wie eine Umfrage des Statistischen Bundesamtes zeigt, die am Mittwoch vorgestellt wurde. Demnach wünschen sich in Deutschland derzeit 7,4 Millionen Menschen im Alter von 15 bis 74 Jahren einen Job oder möchten mehr arbeiten. Die Statistiker nutzten bei der Auswertung Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation (Ilo), die von der deutschen Arbeitmarktstatistik abweichen. So wird nach Ilo-Berechnungen nicht mehr als arbeitslos gezählt, wer eine Stunde pro Woche arbeitet. In Deutschland ist es möglich, arbeitslos gemeldet zu sein und einer Nebentätigkeit von bis zu 15 Wochenstunden nachzugehen.

Das „ungenutzte Arbeitskräftepotenzial“ setzt sich aus verschiedenen Gruppen zusammen: Da sind die 2,5 Millionen Erwerbslosen, die aktiv eine Beschäftigung suchen. Hinzu kommen aber fast zwei Millionen Teilzeitbeschäftigte und 1,7 Millionen Vollzeitbeschäftigte die gerne mehr arbeiten würden. Und schließlich bleibt die sogenannte „Stille Reserve“ von 1,2 Millionen Menschen, die kurzfristig keinen Job annehmen können oder wollen – zum Beispiel, weil sie erkrankt sind oder Angehörige pflegen.

Bildergalerie: Wer aus der Statistik fällt

„Die einzelnen Formen des ungenutzten Arbeitskräftepotenzials unterscheiden sich teilweise deutlich zwischen den Geschlechtern“, fanden die Statistiker heraus. Besonders Frauen würden demnach gerne mehr arbeiten, sie machen 72 Prozent der knapp zwei Millionen Unterbeschäftigten in Teilzeit aus. Die Ursachen hierfür unterscheiden sich wiederum nach der Herkunft: Frauen im Osten nehmen häufig Teilzeitjobs an, weil sie keine Vollzeittätigkeit finden. In Westdeutschland wählen Frauen die kürzere Arbeitszeit eher aus „ persönlichen oder familiären Gründen wie beispielsweise aus Kinderbetreuungsverpflichtungen“, schreiben die Statistiker. Der Wunsch nach Mehrarbeit ist daher bei ostdeutschen Frauen stärker als bei westdeutschen.

Bei den Vollzeitbeschäftigten (mindestens 32 Wochenstunden) ist das Bild andersherum: Hier sind es mit 73 Prozent in erster Linie Männer, die gerne mehr arbeiten würden. Sie wollen ihre Arbeitszeit jedoch meist nur um wenige Stunden erhöhen, schreiben die Statistiker.

Obwohl die 7,4 Millionen mit Blick auf den Fachkräftmangel eine erstaunlich hohe Zahl sind, hat sich das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial im Vergleich zum Vorjahr verringert: 2010 lag die Quote noch bei 19,7 Prozent, 2011 waren es 17 Prozent. Das gilt aber nicht für die Stille Reserve: Die Zahl derjenigen, die keinen Job annehmen können oder wollen, ist Schätzungen der Statistiker zufolge um ein Prozent gestiegen.

Experten fordern in Anbetracht des Fachkräftemangels schon seit langem, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern und ältere Arbeitnehmer stärker zu fördern. „Wenn es eine qualitativ und quantitativ bessere Kinderbetreuung gibt, dann werden auch mehr Frauen Vollzeit arbeiten“, sagte Hartmut Seifert, Arbeitsmarktexperte am gewerkschaftseigenen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Der Staat müsse daher für mehr Kindertagesstätten und Ganztagsschulen sorgen.

Zugleich relativierte das Institut die Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes mit einer eigenen Studie. Derzufolge gibt es zugleich weit mehr Beschäftigte, die gern weniger arbeiten wollen und entsprechende Lohneinbußen in Kauf nehmen würden. „Könnten alle Arbeitnehmer so arbeiten, wie sie wollen – die einen länger, die anderen kürzer – dann würden unter dem Strich zwei Millionen zusätzliche Arbeitskräfte benötigt“, sagte Seifert.

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