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Sorgfältige Handlese ist eine wichtige Voraussetzung für guten Wein. 2010 waren gesunde Trauben wie auf dem Foto in Deutschland rar. Foto: dpa-Zentralbild

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Weinernte: Unreif in den Winterschlaf

Das schlechte Wetter in diesem Jahr führt zu massiven Einbußen bei der Weinernte. Doch die Qualität muss nicht leiden.

Mehr als ein Jahrzehnt lang sind Deutschlands Winzer vom Wetter verwöhnt worden. Mit Ausnahme der Blitzfäulnis 2006 lief alles wie gewünscht. Der Klimawandel lieferte gute und ausgezeichnete Ergebnisse am laufenden Band, das Ausnahmejahr 2003 galt vielen schon als zu heiß für Weißwein. 2010 ist diese Serie abgebrochen: Überall in Deutschland, vor allem in den nördlichen Weinregionen, werden Erinnerungen an das letzte saure Jahr 1996 wach. Und auch die Erträge dürften kaum mehr als drei Viertel des langjährigen Durchschnitts erreichen. Etwa sieben Millionen Hektoliter werden erwartet, die kleinste Ernte seit 25 Jahren. Der Fassweinpreis ist bereits erheblich gestiegen, die Flaschenpreise werden vermutlich folgen.

Es hätte kaum schlimmer kommen können, denn das Weinjahr 2010 war von extremen Witterungsschwankungen geprägt. Nach dem langen Winter trieben die Rebstöcke nur zögernd aus, und nasskaltes Wetter während der Blüte im Juni reduzierte den Traubenansatz. Dann kam der sehr heiße Juli, in dem der Entwicklungsrückstand mit rasantem Rebenwachstum weitgehend aufgeholt wurde, doch die gestressten Reben bildeten mehr Laub und weniger Trauben als sonst. Dann bremste der nasse August mit Kühle und den höchsten Regenmengen seit Beginn der Wetteraufzeichnungen die weitere Reifeentwicklung erneut, und es breitete sich bereits erste Fäulnis aus. Vor allem in der Pfalz kamen zudem heftige Hagelschläge nieder, die den Ertrag in dieser Region besonders stark beeinträchtigten.

Der September brachte keine wesentliche Besserung, und der relativ schöne Altweibersommer kam für viele Winzer zu spät, weil sie sich unter dem Druck der Fäulnisentwicklung entschieden, nicht voll ausgereifte und mithin säurebetonte Trauben einzubringen, um nicht die komplette Ernte zu verlieren – ein Pokerspiel, bei dem die Nervenstärkeren nur manchmal gewinnen. Das unter Winzern derzeit meistgenannte Wort lautet deshalb „Entsäuerung“. Die jüngeren unter ihnen haben mit dieser Methode überhaupt keine Erfahrung – sie ist zugelassen, wurde aber lange nicht angewendet; dabei wird überschüssige Säure durch Zugabe von Kalk gebunden. Während ausgereifter Most von Riesling-Trauben neun bis zwölf Promille Säure enthält, sind es diesmal zwölf bis über 17. Im Referenzweinberg in Lorch wurden Mitte Oktober in den Beeren 86 Grad Oechsle und 16 Promille Säure gemessen. Zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres waren es 94 Grad Oechsle und weniger als zehn Promille Säure.

Der Winzer Dirk Würtz berichtete kürzlich in seinem Weblog: „Ein Stillstand in der Entwicklung ist zu verzeichnen, wie ich ihn in dieser Art noch nicht gesehen habe. Die Rebe wirft ihre Blätter ab und hat sich in den ,Winterschlaf’ begeben. Und das im Oktober . . . Manche Beeren sehen so aus, wie sie normalerweise Anfang November aussehen. Schön lila, dünne Schale, vollreif eben. Beißt man allerdings hinein, ist das Zeugs einfach nur sauer und unreif.“ In vielen Weingütern hängt der spät reifende Riesling noch bis maximal Ende Oktober – Prinzip Hoffnung.

Die EU hat bereits eine Ausnahmeregelung verkündet, nach der diesmal die Anreicherung des Mostes um bis zu 3,5 Volumenprozent Alkohol erlaubt ist. Das heißt: Dünne Moste dürfen mit so viel Zucker versetzt werden, dass nach der Gärung diese zusätzliche Alkoholmenge im Wein ist. In Deutschland ist das zwar nur für Qualitätsweine ohne Prädikat zulässig, doch in diese Kategorie fallen auch die „Großen Gewächse“, der Qualitätsmotor des deutschen Weinbaus generell.

Im Jahrgang 2010 gilt also noch stärker als in normalen Jahren die Regel, dass nur die ganz penibel arbeitenden Winzer gute Qualitäten auf die Flasche bringen. Seit dem Augustregen kam es im Weinberg vor allem darauf an, faule Beeren immer wieder auszusortieren und überschüssiges Laub zu entfernen, um die Durchlüftung zu verbessern. Das kostet Geld, und so ist es keine Überraschung, dass hier wohl wieder die kapitalstarken Betriebe die Nase vorn haben, jene, die den Aufwand mit hohen Flaschenpreisen an ihre Kunden weitergeben können.

Und es kommt stärker als sonst darauf an, die gelesenen Trauben schnell zu verarbeiten, auch das ist teuer. Der Rheingauer Vorsitzende des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter, Wilhelm Weil, hat die Kelterkapazitäten für sein mit 80 Hektar sehr großes Gut bereits verdoppelt – nicht erst jetzt, sondern nach und nach, weil er beobachtet hat, dass das Zeitfenster für eine optimale Ernte generell immer kleiner werde, weil die Trauben schneller reiften. „So grandios wie der 2009er wird der Jahrgang nicht werden“, sagt Weil, gibt sich aber dennoch optimistisch, was die Qualitäten angeht. Dieser Optimismus scheint nach Süden hin zuzunehmen. Uli Maile, der Chef der Lauffener Weingärtner, Deutschlands größter Einzel-Winzergenossenschaft, sagt: „Wir haben tolle Qualitäten, alle im Prädikatsbereich.“ Allerdings bei 30 bis 40 Prozent weniger Trauben . . .

Im Osten ist es teilweise noch schlimmer gekommen. Peter Bohn vom Weingut Schloss Proschwitz in Meißen beziffert die Ausfälle je nach Sorte auf bis zu 50 Prozent, denn der Betrieb wurde im August auch noch vom ersten Hagel seit 20 Jahren heimgesucht – und von der Sonne nicht verwöhnt. „Qualitätsweine und Kabinette wird es geben“, sagt Bohn, „Spät- und Auslesen aber wohl nicht“. Am Rande Berlins herrscht sogar Katastrophenstimmung: Der Werderaner Wachtelberg brachte gerade acht Tonnen Trauben. 24 hatte sich der Winzer Manfred Lindicke noch vor Wochen erhofft.

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