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Wirtschaft: "Unsere Kollegen haben die Faxen dicke"

Hasso Düvel ist als Bezirksleiter der IG Metall für Berlin, Brandenburg und Sachsen zuständig. In Berlin und Brandenburg lässt die Gewerkschaft gerade über einen Streik abstimmen.

Hasso Düvel ist als Bezirksleiter der IG Metall für Berlin, Brandenburg und Sachsen zuständig. In Berlin und Brandenburg lässt die Gewerkschaft gerade über einen Streik abstimmen. Hans Werner Busch ist Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, in dem die regionalen Verbände der Metallindustrie zusammengefasst sind.

Herr Busch, Sie bewerten ebenso wie Herr Düvel den neuen Entgeltrahmentarif, der die Benachteiligung von Arbeitern beenden soll, als "Jahrhundertwerk". Warum ist das gelungen und die Lohnrunde gescheitert?

Busch: Das zu erklären ist schwierig. Es war immer klar, dass beides verbunden werden muss, weil beides aus dem Verteilungsspielraum zu finanzieren ist. Nun hat die IG Metall einen Punkt eingesackt und kümmert sich nicht mehr um den Stil der Verhandlungen. Sie kehrt zu den alten Gewohnheiten zurück: Rabatz machen.

Düvel: Das finde ich überhaupt nicht. Beim Thema Entgeltrahmentarif sind wir relativ einig. Der Crash bei der Suche nach einer passenden Lohnzahl hängt damit zusammen, dass unsere Kollegen langsam die Faxen dicke haben von "Billigabschlüssen". Wenn sie die letzten zehn Jahre zurückrechnen, dann haben sie real weniger in der Tasche. Gleichzeitig waren die Gewinne wirklich nicht schlecht. Und jetzt geht es um den Verteilungsspielraum 2002.

Nach Ansicht der IG Metall ist der über vier Prozent groß.

Düvel: Wir veranschlagen den verteilungsneutralen Spielraum bei vier bis 4,5 Prozent, die Arbeitgeber deutlich darunter.

Busch: Die Trendrate der Produktivität wird auf zwei Prozent veranschlagt, die Inflationsrate im Frühjahrsgutachten auf 1,5 Prozent. Das macht 3,5 Prozent.

Sie haben 3,3 Prozent angeboten. Lohnt ein Streik wegen zwei Zehntelpunkten, die zu 3,5 noch fehlen?

Busch: Es kann nur das inflationsfrei verteilt werden, was auch erwirtschaftet wird. Und das ist der Produktivitätszuwachs. Was darüber hinaus geht, erhöht zwangsläufig die Kosten der Unternehmen. Die Firmen müssen sich dann etwas einfallen lassen. Ich will überhaupt nicht mit Beschäftigungsabbau drohen, aber auszuschließen ist das nicht.

Alle Möglichen Gutachter Warnen Vor Einem Abschluss Über 3,5 Prozent. Hat Die Ig Metall Bessere Argumente Als Der Volkswirtschaftliche Sachverstand?

Düvel: Es gibt mindestens genauso viel volkswirtschaftlichen Sachverstand, der nicht gegen uns spricht; der wird nur nicht abgefragt. Die Nachfragetheoretiker gewinnen wieder an Boden, die neoliberale Linie beginnt zu bröckeln. Und dafür gibt es gute Gründe.

Busch: Jetzt bin ich gespannt.

Düvel: Schauen Sie sich das europäische Umfeld an, zum Beispiel Frankreich.

Busch: Sie begeben sich aufs Glatteis.

Düvel: Überhaupt nicht. Die Franzosen haben die Arbeitszeit verkürzt, sie hatten in den letzten fünf Jahren höhere Lohn-und Gehaltsabschlüsse als wir. Und der französische Staat spart sich nicht kaputt, sondern hilft mit öffentlichen Investitionen, die Konjunktur zu beleben. Alles in allem haben wir dort eine deutlich höhere Nachfrage und die Investitionstätigkeit ist wie bei den Amerikanern gut. Wir Deutschen sind aber Schlusslicht bei den Investitionen in Europa. Die moderaten Lohnabschlüsse bei uns haben nicht zu mehr Investitonen und zu mehr Arbeitsplätzen geführt.

Busch: Wir sind uns schnell einig, dass von der Lohnpolitik allein nicht die wirtschaftliche Entwicklung abhängt. Niedrige Löhne sind nicht automatisch Garant für eine Aufwärtsentwicklung, das behauptet ja auch niemand. Aber Investitionsentscheidungen haben eine Menge mit Psychologie zu tun. Und in einer Situation, wo wir uns für einen neuen Entgeltrahmentarif ziemlich angestrengt haben und viel Überzeugungsarbeit in den eigenen Reihen leisten mussten...

Düvel: Das wird auch anerkannt.

Busch: ...in dieser Situation macht die IG Metall einen Arbeitskampf. Das passt nicht und wirkt verheerend auf die Psychologie.

In den letzten zwei Jahren hatte sich das Verhältnis zwischen IG Metall und Gesamtmetall verbessert. Steht das jetzt auf dem Spiel? Sie sprechen bei Gesamtmetall von "Erpressung" durch die IG Metall, gegen die man sich nun wehren wolle.

Busch: Es lohnt sich für den Flächentarif zu kämpfen, und wir tun das auch. Die befriedende Wirkung des Flächentarifs, der den Verteilungskampf aus den Betrieben raushält, ist es Wert, dass der Tarifvertrag weiter funktioniert. Die internationale Verflechtung und fortschreitende Differenzierung der Wirtschaft setzt voraus, dass man auch die Art der Auseinandersetzung verändert. Das hat nichts mit Schmusekurs zu tun, aber wir wollen die Verteilungskonflikte friedlich lösen. Hart in der Sache, aber ohne Rabatz auf der Straße.

Warum kann die IG Metall nicht so geräuschlos und flott einen Tarifabschluss machen wie die IG Bergbau, Chemie, Energie?

Düvel: Es geht im Kern darum, dass wir als IG Metall sehr seismografisch damit umgehen, was unsere Mitglieder wollen. Der Abschluss in Nordrhein-Westfalen vor zwei Jahren hat in der Mitgliedschaft hohe Unzufriedenheit ausgelöst. Die Leute sehen nämlich, wie die Betriebe laufen, die kriegen mit, was an Gewinnen fließt. Und sie nehmen sehr genau wahr, wie ab einer bestimmten Etage inzwischen zügellos abkassiert wird. Alles in allem sagen die Mitglieder: Jetzt ist Schluss, jetzt wollen wir endlich eine Tariferhöhung, von der auch real was übrigbleibt.

Und das geht nur mit Streik?

Düvel: Nach meiner Auffassung hätte man das vor gut zwei Wochen in der entscheidenden Verhandlungsrunde zu Ende bringen können. Aber was da als Lösungsmodell auf dem Tisch lag, ging eben nicht. Also müssen wir jetzt eine Lösung aus dem Streik heraus suchen.

Busch: Viele stört doch, dass die IG Metall schon von Arbeitskampf gesprochen hat, als überhaupt noch keine Forderung auf dem Tisch lag. So etwas erschwert eine vernünftige Lösung des Konflikts.

Düvel: Ihre mangelnde Kompromissbereitschaft hat den Konflikt verschärft. Als die Wirtschaft noch nicht so globalisiert war wie heute, hatten wir weniger Diskrepanzen. Da wurde auch von Ihrer Seite die Bedeutung einer starken Binnennachfrage nicht geleugnet.

Busch: Das leugnen wir auch heute nicht.

Düvel: Wenn ich mir ansehe, wer in diesem Land Geld ausgibt, dann sind das vor allem die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen. Und wenn ich mir anschaue, wer Steuern bezahlt - viele große Konzerne zahlen seit Jahren keine Steuern mehr -, dann muss mir mal einer erklären, wie unser Gemeinwesen funktionieren soll, wenn nicht genau die Leute Geld in die Finger bekommen, die das Gemeinwesen und die Sozialkassen hauptsächlich finanzieren.

Busch: Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, belastet das die Sozialkassen. Und wenn wir zu hoch abschließen, dann besteht die Gefahr der steigenden Arbeitslosigkeit.

In einer Woche beginnt der Streik, dann steigen mit jedem Tag die Erwartungen der Streikenden und wird ein Kompromiss schwieriger. Lässt sich die Eskalation noch verhindern?

Düvel: Auf der Basis Ihres Angebots konnten wir nicht abschließen. Wir gehen nicht in unsere Tarifkommissionen und vor die Mitglieder und lassen uns da abschlachten für ein Ergebnis, dass sie nicht akzeptieren.

Busch: Ich will ja nicht bestreiten, dass da so eine Stimmung vorhanden ist und entwickelt wurde. Aber die IG Metall versteht sich doch nicht nur als eine Mitgliederorganisation sondern äußert sich zu vielen Themen im Sinne von gesamtgesellschaftlicher Verantwortlichkeit. Im aktuellen Tarifstreit gibt es plötzlich die absolute Abhängigkeit von der Meinung der Mitglieder.

Muss ein Schlichter helfen?

Düvel: Der Zeitpunkt ist falsch. Zwischen Urabstimmung und Streikbeginn wird nicht verhandelt.

Busch: Womöglich ist die Differenz so groß, dass es ohne einen Schlichter nicht geht. Wir wollen 3,3 Prozent, 190 Euro für zwei Monate und eine Laufzeit von 15 Monaten. Auf der anderen Seite stehen die vier Prozent der IG Metall. Die Differenz von 0,7 Prozent macht für die Metallindustrie ungefähr 1,4 Milliarden Euro aus. Diese 1,4 Milliarden Euro kann man nicht ohne weiteres den Betrieben aufhalsen. Das ist ausgeschlossen, es geht einfach nicht.

Also muss erstmal ein paar Tage gestreikt werden, bis ein Kompromiss wieder möglich wird?

Düvel: Selbst eine festgefahrene Situation wie die gegenwärtige ist kein Weltuntergang. Es gibt für alle einen hohen Einlassungszwang, eine Lösung zu erreichen.

Busch: Da stimme ich zu. Aber ich finde es auch mehr als leichtsinnig, mit Berlin und Brandenburg ein Gebiet für den Arbeitskampf auszusuchen, wo die wirtschaftliche Situation extrem labil ist.

Düvel: Wir wollen in dieser zugespitzten Tarifsituation verhindern, dass der Osten weiter abgekoppelt wird. Wir wollen weitere Angleichungsschritte. Bei einer längeren Laufzeit des Vertrags - die Arbeitgeber haben 24 Monate vorgeschlagen - würde auch die Frage der Wochenarbeitszeit berührt, denn die Kollegen im Osten arbeiten immer noch drei Stunden länger als die Wessis. Wir wollen ab 2003 den Angleichungsprozess hin zur 35-Stunden-Woche.

Und die Ostbetriebe vertragen einen Streik?

Düvel: Die durchschnittlichen Lohnstückkosten sind in der Metall- und Elektroindustrie im Osten heute geringer als im Westen. Wir sind besser. 2001 ist die Produktivität um vier Prozent stärker gestiegen als im Westen. Wenn Konzerne in ihren ostdeutschen Filialen erhebliche Sondergewinne erzielen und diese auf Dauer zementieren wollen, dann müssen die sich nicht wundern, wenn wir so ein Tarifgebiet aussuchen.

Herr Busch[Sie bewerten ebenso wie Herr Düve]

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