zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Unternehmen machen Spagat beim Internethandel

Der Boom des elektronischen Handels stellt für viele große Unternehmen eine quälende Herausforderung dar.Sie sind versucht, einen großen Teil des Geschäftes ins Internet zu verlegen, befürchten aber, mit dieser neuen Verkaufsform die Handelsvertreter und Vertriebsmitarbeiter im Stich zu lassen, die lange Zeit die Kassen klingeln ließen.

Der Boom des elektronischen Handels stellt für viele große Unternehmen eine quälende Herausforderung dar.Sie sind versucht, einen großen Teil des Geschäftes ins Internet zu verlegen, befürchten aber, mit dieser neuen Verkaufsform die Handelsvertreter und Vertriebsmitarbeiter im Stich zu lassen, die lange Zeit die Kassen klingeln ließen.

Ein Heer von 500 Vertretern und ein Dutzend Vertriebsgesellschaften sorgt im Geschäftsbereich medizinische Produkte von Hewlett Packard jährlich für einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar weltweit.Lange Zeit handelte es sich dabei um ein Geschäft, das von Personen abhängt.Ein Geschäft, in dem das persönliche Treffen, Händeschütteln und Produktvorführungen Kundenbindung hergestellt haben, die zu großen Einnahmen führten.Jetzt wollen führende Krankenhausketten ihren gesamten Bedarf nur noch an einem Ort, dem Internet, einkaufen, sagt James Cyrier, der Marketing- und Verkaufsdirektor für medizinische Produkte bei Hewlett Packard.Mit ein paar Mausklicks könnten diese Kunden von Ultraschallgeräten bis Elektroden alles kaufen, ohne jemals einen Handelsvertreter zu sehen.Cyrier ist von dem Konzept angetan, aber wenn er es zu schnell umsetzt, riskiert er einen Aufstand seiner traditionellen Vertreter und den Vertriebsmitarbeiter, die nicht auf ihre Provision verzichten wollen.

Hunderte von Herstellern sehen sich dem gleichen Dilemma gegenüber.Das Internet könnte das effektivste Verkaufsinstrument seit der Erfindung des Telefons werden.Denn es erlaubt den Firmen, Millionen potentieller Kunden schnell und billig zu erreichen.Doch der Electronic Commerce oder E-Commerce, wie der Handel über das Internet im Fachjargon heißt, gefährdet die Arbeitsplätze von denen, die im direkten Vertrieb oder Verkauf arbeiten und die immer noch 90 Prozent oder mehr der Auftragseingänge der meisten Firmen erledigen.Das Resultat: Die Unternehmen versuchen, aus dem Potential des Internets Gewinn zu schlagen, ohne die traditionellen Verkaufskanäle zu sabotieren.Es sind üblicherweise die großen Unternehmen in wettbewerbsintensiven Branchen, die am meisten unter dem Dilemma leiden, sagt Vish Krishna, Dozent an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der University of Texas in Austin, der sich auf Internet-Anwendungen spezialisiert hat.Diese Unternehmen haben das meiste zu verlieren, erklärt er, weil sie ein Vermögen ausgegeben haben, um die traditionellen Vertriebskanäle zu beherrschen.Jegliche Veränderung ist eine Bedrohung für ihre Unternehmenskultur und für die Gewinne im nächsten Quartal.Das Internet zu ignorieren ist keine echte Alternative, da der Online-Verkauf die Kosten um bis zu 15 Prozent senken kann, indem Verwaltungsaufwand und Verkaufsprämien reduziert werden.Diese mögliche Effizienz zieht ganze Heerscharen von Existenzgründern ins Internet.Wenn die etablierten Unternehmen keine Autos, Katheter oder Porzellan über das Internet verkaufen, gibt es doch die gute Chance, daß ein Jungunternehmer genau das tun wird.Diejenigen, die zögern, gehen das Risiko ein, daß sie "amazonisiert" werden und ihr Geschäft an einen Newcomer verlieren - so verloren Buchhandelsketten an Boden gegenüber der Amazon.com.

Das hat zur Folge, daß die Produzenten sich auf unbeholfene Kompromisse mit dem Vertrieb einlassen: Sie eröffnen Internet-Vertriebskanäle, die keine Unruhe stiften.So erstellen einige Unternehmer Internet-Seiten, ohne es bekannt zu machen oder bieten nur einen Teil der Waren im Internet an.Andere setzen die Preise im Internet höher an, so daß traditionelle Händler sich durch Rabatte einen Vorsprung sichern können.Einige Hersteller beruhigen sogar Händler und Verkäufer, indem sie ihnen einen gewissen Prozentsatz der Internet-Verkäufe zuschreiben, egal ob sie daran beteiligt waren oder nicht.Die Bayerischen Motorenwerke nähern sich dem Internethandel so, daß die Händler nicht Nachteile befürchten müssen.Der deutsche Autohersteller hat eine allgemeine Web-Site und 20 länderspezifische Internet-Seiten eingerichtet hat, die für das Unternehmen und die Marken werben.Besucher dieser Seiten können sich über BMW-Produkte informieren, ihr eigenes Automodell online erstellen und einen Kreditantrag an die Finanzabteilung des Unternehmens schicken.Was das Verkaufen angeht, hat BMW alles dafür getan, die Internet-Seiten so zu gestalten, daß sie für die traditionellen Händler werben.Wenn Besucher der Web-Site ein Auto kaufen wollen, können sie ihre Postleitzahl eingeben und erhalten den Namen und die Adresse der Händler in ihrer Nähe.

"Was das Verkaufen von so etwas komplexen wie einem Auto angeht, ist das über das Internet nicht machbar", sagt Tobias Nickel, ein Sprecher von BMW."Es nützt uns am meisten, wenn wir für unsere Händler werben und ihnen helfen." An einigen Orten ist BMW weiter gegangen.Es hat im Internet Möglichkeiten für die Händler geschaffen, die Off-Line nicht existieren.In Großbritannien hat BMW beispielsweise eine Datenbank für gebrauchte Autos eingerichtet.Dort tragen die 160 BMW-Händler in Großbritannien die Daten der Fahrzeuge ein.Besucher der Internet-Seite können die Datenbank nach Modell, Farbe oder Region durchsuchen und bekommen eine Wegbeschreibung für den in Frage kommenden Händler.

Unternehmen versuchen wesentlich, den anstehenden Wandel im Verkauf - der größte seit langem - mit einem Zuckerguß zu überziehen.Die Vorstände der Unternehmen beteuern, daß elektronischer Handel nur ein weiterer Weg ist, um Kunden zufrieden zu stellen.Aber Vertreter und Verkäufer fragen sich im Stillen, ob sie nicht eines Tages als Relikte einer vergangenen Ära beseite geschoben werden.

Hewlett-Packard hat sich bei seinen Arzneiprodukten dafür entschieden, daß der Handel über das Internet nicht ignoriert werden kann.In den nächsten Monaten wird eine Web-Site eingerichtet, die es großen Käufern wie Columbia HCA Healthcare Corporation und der Premier Hospital Allianz erlaubt, ihre Aufträge direkt über das Internet laufen zu lassen.Zu Beginn werden die Preise gewissenhaft mit denen anderer Vertriebskanäle abgestimmt, sagt Cyrier von Hewlett-Packard.Die Online-Bestellungen könnten dann immer noch Provision für die Verkäufer abwerfen, die diese Kunden normalerweise betreuen.

"Wir werden bei der Umsetzung lernen", sagt Cyrier."Wir haben eine große Direkt-Vertriebs-Mannschaft, die persönlich in die Krankenhäusern geht.Es wäre sehr demotivierend für sie, wenn Kunden einen Auftrag über das Internet vergeben würden und sie dafür kein Geld sehen.Gleichzeitig kann der Verkauf online Kosten sparen.Vielleicht werden wir die Ersparnisse an den Kunden weiterleiten."

Der Kampf zwischen alten und neuen Verkaufsmethoden ist in der Computerindustrie und der High-Tech-Branche am intensivsten.Dort ist elektronischer Handel längst eine Multi-Milliarden-Dollar-Alternative zum traditionellen Verkauf.In Round Rock in Texas kassiert Dell Computer Corporation 2,2 Mrd.Dollar jährlich - das sind 14 Prozent der PC-Verkäufe - von Kunden, die ihre Bestellung direkt über das Internet aufgeben.Das hilft Dell, die Lagerbestände klein und die Kosten niedrig zu halten.Damit haben sie einen Wettbewerbsvorteil über konkurriende PC-Hersteller wie Compaq Computer in Houston."Wir können es uns nicht leisten, Marktanteile zu verlieren", sagt Enrico Pesatori, Compaqs Vize-Direktor für Marketing.In den vergangenen Monaten hat Compaq auf ihrer eigenen Web-Site Computer zu Tiefstpreisen direkt an kleine Unternehmen oder private Nutzer verkauft.PC-Händler sind ernsthaft besorgt über diesen Umschwung: "Damit verlieren wir einen unseres Umsatzes", sagt Richard Wong, Chef von Sefco Computers, San Francisco."Die Kunden fragen uns immer noch nach Angeboten für die Installation von Computern in kleinen Unternehmen, aber wir bekommen die Aufträge nicht mehr", sagt Wong.Compaqs Internet-Seite sei im Durchschnitt pro Maschine um 50 Dollar günstiger.

Übersetzt und redigiert von Michèle Schmitz (EU), Sigrun Schubert (Internethandel), Karen Wientgen (Europäische Unternehmen und Arbeitgeberverband).

GEORG ANDERS

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false