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Für eine Handvoll Euro: Lebensversicherungen werfen weniger Rendite ab.

© Arno Burgi/dpa

Unternehmen müssen Rechenschaft ablegen: Versicherer im Krisencheck

Reicht die Kapitaldecke, um Großschäden zu zahlen? Die Berichte legen das nahe. Aber viele Versicherer haben die Zahlen schön gerechnet.

Versicherungen sollten vor allem eines sein: stabil. Kunden, die 20 Jahre oder länger in eine Lebensversicherung einzahlen, wollen sicher sein, dass sie am Ende der Laufzeit nicht mit leeren Händen dastehen. Am Montag war für die Versicherten der rund 350 deutschen und von tausenden europäischen Versicherungsunternehmen daher der Tag der Wahrheit: Nach den neuen europäischen Aufsichtsregeln („Solvency II“) mussten die Versicherer Farbe bekennen, wie dick und krisensicher ihre Kapitalpuffer sind. Im Fokus stehen vor allem die Lebensversicherer. Sie leiden besonders unter den niedrigen Zinsen, die sie für ihre Kapitalanlagen bekommen. Denn auf der anderen Seite müssen sie Kunden, deren Verträge schon sehr lange laufen, hohe Garantiezinsen zahlen. Ende März 2016 hatten drei Lebensversicherer – mit allerdings übersichtlicher Marktbedeutung – trotz Übergangsregeln die kritische Solvabilitätsquote von 100 Prozent gerissen.

Was sagt die Quote?

„Die Probleme der betroffenen Unternehmen sind gelöst“, versichert Frank Grund, der bei der Finanzaufsicht Bafin für Versicherungen zuständig ist. „Wir gehen davon aus, dass diesmal alle Lebensversicherer die Solvenzquote nach Solvency II einhalten“, meint der oberste Versicherungsaufseher. Die Solvenzquote gibt Aufschluss darüber, wie ein Versicherer ein Schadensereignis verkraften kann, wie es statistisch gesehen nur alle 200 Jahre vorkommt. Eine Quote von 100 Prozent gilt als kritisch und ist für die Finanzaufsicht ein Grund, genauer hinzuschauen.

Wie die Versicherer rechnen

Bei der Allianz, der Marktführerin, muss sie das nicht tun. Der Finanzchef der Allianz Deutschland, Burkhard Keese, beziffert die Solvabilitätsquote für die Lebensversicherung auf 379 Prozent, die Reserven sind also fast vier Mal so hoch wie nötig. Die zum Munich Re-Konzern gehörende Ergo Leben kommt auf 328 Prozent, die Victoria Leben sogar auf 683 Prozent. Allerdings haben beide Unternehmen Gebrauch von Übergangsmaßnahmen gemacht, was bis zum Jahr 2031 erlaubt ist. Ohne diese Entlastung hätte die Ergo Leben nur 100 Prozent erreicht, die Huk Leben hätte statt der ausgewiesenen 282 Prozent nur 109 Prozent geschafft.

100 Seiten für den Bericht

Sowohl die Versicherungsaufsicht als auch der Versicherungsverband GDV warnen deshalb davor, eine Rangliste anhand der neuen Daten aufzustellen. Hinzu kommt nämlich auch noch, dass die Versicherer unterschiedliche Berechnungsmethoden anwenden dürfen. „Ein Unternehmensvergleich allein auf Basis der Bedeckungsquoten ist daher wenig aussagekräftig“, betont Axel Wehling, Mitglied der GDV-Geschäftsführung. Verbraucher dürften aber wohl schon wegen der Menge der Daten gar nicht erst auf die Idee kommen, auf eigene Faust große Vergleiche anzustellen. So legte allein die Huk Coburg für jede ihrer Töchter mehr als 100 Seiten vor. Die Berichte sind daher eher Stoff für die Aufsicht und für Analysten. Die Bafin kündigte an, sich jetzt einen Überblick verschaffen zu wollen. Anfang Juni will die Behörde dann eine Einschätzung abgeben, wie es um die Branche steht. Auch Verbraucherschützer lassen das Material analysieren. „Die Kapitalstärke ist entscheidend für die Wahl des Versicherers“, sagte der Chef des Bundes der Versicherten, Axel Kleinlein, dem Tagesspiegel.

Die Zinszusatzreserve wird zum Problem

Während die Bafin bislang in der Branche kurz- und mittelfristig keinen Pleitekandidaten sieht, ist Kleinlein weniger optimistisch. Er befürchtet, dass es Unternehmen gibt, die unter der Zinslast in die Knie gehen. Denn die Versicherer haben nicht nur Mühe, hohe Zinsen zu erwirtschaften, sie müssen auch noch Geld für eine Zinszusatzreserve zurücklegen, um Rücklagen zu bilden. Das, was einst als Schutz der Kunden in Niedrigzinszeiten gedacht war, wird zum Bumerang. 64 Milliarden Euro haben die Unternehmen bereits gespart, ab 2018 sollen es für vier bis fünf Jahre weitere 20 bis 25 Milliarden Euro pro Jahr sein. Selbst der Bafin wird das zu viel. Sie plädiert für eine Lockerung.

Kunden bekommen weniger

Auch Kleinlein fordert gegenzusteuern. Die Leidtragenden seien die Kunden, deren Verträge immer weniger Rendite bringen. Nach einer GDV-Übersicht liegt die durchschnittliche Gesamtverzinsung bei Lebensversicherungen in diesem Jahr bei 3,40 Prozent, vor sieben Jahren waren es noch 4,90 Prozent gewesen.

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