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Löscher

© ddp

Unternehmen: Trotz Schmiergeldaffäre Milliardengewinn

Hauptversammlung in kritischen Zeiten: Der Korruptionsskandal verunsichert Siemens. Dennoch steigen Umsatz und Gewinn des Konzerns - und die Sehnsucht der Mitarbeiter nach einem Ende der Skandale.

Die beste Nachricht für Siemens geht in der Rede von Aufsichtsratschef Gerhard Cromme fast unter. Nach einer Litanei von Formalien und Personalien gibt er am Donnerstagmorgen in der Münchner Olympiahalle bekannt: Die amerikanische Börsenaufsicht SEC und das US-Justizministerium seien einverstanden, „in Kürze mit uns Gespräche zu führen mit dem Ziel eines umfassenden und fairen Vergleichs“. Applaus der rund 8000 anwesenden Aktionäre. Mehrere Monate sollten die Verhandlungen dauern, es gehe um einen Präzedenzfall. „Wir wissen nicht, wann ein Vergleich geschlossen werden kann“, fügt Cromme hinzu. Aber die Gespräche könnten – „so hoffe ich“ – im Februar beginnen.

Die Hoffnung ist wieder da bei Siemens. Die Hoffnung, dass der Industriekonzern seine Korruptionsaffäre in den Griff bekommt und Ruhe einkehrt in das aufgewühlte Unternehmen mit rund 400 000 Mitarbeitern. Zwar dürfte ein Vergleich mit der US-Justiz – sie ist zuständig, weil Siemens an der Wall Street notiert ist – mit einer Milliardenstrafe enden. Doch für die Hauptversammlung wirkt Crommes Ankündigung wie eine Beruhigungspille. Auch die guten Quartalszahlen machen Eindruck und beflügeln den Aktienkurs. Zudem legt der Konzern erstmals alle sechs Bereiche offen, in denen die dubiosen Zahlungen von insgesamt 1,3 Milliarden Euro geflossen sind. Die Kommunikationssparte ist mit 449 Millionen Euro am stärksten betroffen.

Mehr als ein gewöhnliches Unternehmen

Nach einem grausamen Jahr immer neuer Enthüllungen über Schmiergeldzahlungen, nach der Auswechslung des Vorstands- und des Aufsichtsratsvorsitzenden, nach der Neuordnung der Kerngeschäfte in drei Zentralbereiche und dem Ben Q-Debakel hätte es bei der Hauptversammlung leicht Krawall geben können. Denn Siemens ist mehr als ein gewöhnliches Dax-Unternehmen. Siemens ist ein Symbol, der Konzern „hat besondere Bedeutung für Deutschland“, wie es die Erben des Gründers Werner von Siemens in einer Erklärung formulieren, die Cromme verliest.

Die Familie, mit gut sechs Prozent größter Einzelaktionär, meldet sich zu Wort – schon das eine Sensation. Obendrein bekommt die neue Siemens-Führung von ihr ausdrücklich „in allen Punkten“ volle Unterstützung. Das Erbe von Werner von Siemens, den Geist des genialen Erfinders, die von ihm vermittelten, 160 Jahre alten Werte gelte es zu bewahren. „Um so mehr haben uns die Missstände, die zutage gekommen sind, betroffen und traurig gemacht und schockiert“, heißt es in der Erklärung.

„Siemens gibt Antworten“ – diese Rückbesinnung steht in den Endlosschleifen der Bühnendekoration. Doch statt Antworten haben frühere Vorstände und Top-Manager eine Menge Fragen provoziert und die Industrie-Ikone in den Dreck der Korruption gezogen. „Die Folgen ihres Verhaltens haben unser Unternehmen in die schwerste Krise der vergangenen Jahrzehnte gebracht“, sagt Peter Löscher, der seit Sommer 2007 amtierende Vorstandschef. „Wir werden noch Jahre brauchen, bis wir diese Krise endgültig überwunden haben.“ Es gehe nicht um Einzelfälle, sondern um ein weltweites Korruptionsnetz. Angespannt, mit versteinerter Miene ist Löscher ans Rednerpult getreten. Es ist seine erste große Rede vor den Siemensianern – er liest sie Wort für Wort vom Teleprompter ab. Erst nach einiger Zeit bekommt seine Stimme Farbe. Dennoch will der Funke nicht richtig überspringen. „Mir geht es um ein sauberes Geschäft immer und überall und um Spitzenleistung auf höchstem ethischen Niveau“, wiederholt er sein Mantra. „Erste Priorität“ habe das Thema Compliance: die Durchsetzung von Recht und Gesetz im Unternehmen. Löscher ist der einzige aus dem Vorstand, den die Aktionäre am Abend entlasten werden. Bei allen anderen wird die Entlastung vertagt.

Forderung nach restloser Aufklärung

„Ich glaube ihm“, sagt ein Jungaktionär. „Vertrauenerweckend“ sei Löschers Kampfansage an die Verantwortlichen der Korruptionsaffäre. Es müsse restlos aufgeklärt, aber irgendwann auch ein Strich gezogen werden. Doch so weit sind noch nicht alle Aktionäre. „Wer ist für die Affäre verantwortlich und wer übernimmt Verantwortung?“, fragt Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. „Warum hat nicht einer der Ex-Vorstände die Courage, zuzugeben, was man eigentlich nicht mehr leugnen kann?“

Das ist die Frage nach „Mr. Siemens“ Heinrich von Pierer, von 1992 bis 2005 Vorstandschef und danach Aufsichtsratsvorsitzender. Auch er wird am Donnerstag nicht entlastet. Im April 2007 nahm er – schwer beschädigt – seinen Hut, wenig später ging Löschers Vorgänger Klaus Kleinfeld. In der Olympiahalle sind sie nicht zu sehen. Für beide gelte die Unschuldsvermutung, sagt Cromme ebenso wie Daniela Bergdolt. „Aber es darf keine Freibriefe geben“, ruft sie. DWS-Fondsmanager Henning Gebhardt erntet viel Beifall für die Bemerkung, die größte deutsche Fondsgesellschaft sei „schwer irritiert“, dass die Gehälter von Ex-Siemens-Vorständen, „die womöglich für Milliardenschäden verantwortlich sind“, 2007 um 30 Prozent gestiegen sind.

Draußen auf den Fluren wächst unterdessen die Unruhe. Schlangen bilden sich an den Imbissständen. „Früher waren die Leute stolz, wenn sie bei Siemens arbeiten durften – das ist Vergangenheit“, sagt ein Belegschaftsaktionär an einem Stehtisch. 30 Jahre hat er bei Siemens gearbeitet, zuletzt in der Zentrale am Wittelsbacher Platz. Dass die Ex-Vorstände nichts von Schmiergeldern erfahren haben wollen, kann er nicht glauben. „Jeder wusste doch, wie das Geschäft im Ausland läuft.“

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