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Wirtschaft: Angelos Spyrantis

(Geb. 1932)||Er verließ die Heimat, um zu studieren. Aber was ist schon ein Studium?

Er verließ die Heimat, um zu studieren. Aber was ist schon ein Studium? Für ihn war die Couch mehr als ein kommodes Möbel. Sie war provisorische Schlafstätte, Ort zum Zeitunglesen und vor allem: ein Katapult aus der Zeit. Auf einem Foto sieht man ihn ausgestreckt auf ihr liegen, die Arme über der Brust verschränkt, zufrieden lächelnd, die Augen geschlossen, sanft träumend.

Es gab Nächte, in denen er, erschöpft von der Arbeit und tief in die Polster versunken, vom sanften Klacken aufschreckte: „Warum machst du den Fernseher aus?“, fragte er seine Frau. Den Sendeschluss hatte er verschlafen. Oder die langen Samstagnachmittage, an denen sich die Couch in eine Trainer- und Kommentatorenbank verwandelte. Gern hätten die übrigen fünf Familienmitglieder mal einen Spielfilm gesehen. Nichts zu machen. Samstag war Sporttag.

Auf dem Land, nördlich von Thessaloniki war er aufgewachsen. Barfuß stromerte er als Kind über Mais- und Tabakfelder und lernte, ohne Sattel zu reiten. Nach dem Abitur schickte ihn der Vater zum Chemiestudium nach Österreich. Angelos sollte es besser haben.

In Wien lernte er die Vorzüge seiner griechischen Herkunft kennen. Die Mädchen waren hingerissen von seinen dunklen Augen, der schlanken Figur, den lockigen Haaren und seinem munteren Charakter. Zum Studieren kam er unregelmäßig. 1956 folgte er den Jobofferten der studentischen Arbeitsvermittlung nach West- Berlin und immatrikulierte sich an der Technischen Universität.

Eine Begegnung in der S-Bahn warf den Studienplan erneut um: die Frau seines Lebens. Sie sah recht erwachsen aus, war aber erst knapp sechzehn. Problematischer war ihr Vater, ein glühender Deutscher. Angelos, der inzwischen auf der Flucht vor dem griechischen Militärdienst nach Ost-Berlin gezogen war, nutzte jeden gemeinsamen Kinobesuch, um die als Anstandsdame begleitende Mutter zu bezirzen.

Sein Plan ging auf. Doch es kam der 13. August 1961. Das erste Kind befand sich zur Obhut bei den Schwiegereltern im Westen, als die DDR die Berliner Grenzübergänge schloss. Schreiend und heulend vor Verzweiflung standen Angelos und die erneut Schwangere vor den Grenzern. Die ließen sie nicht nach West-Berlin. Die Schwiegereltern mussten das Kind in den Osten bringen.

Ende 1968 stellte die nun sechsköpfige Familie einen Ausreiseantrag. Die Behörden versuchten, die Eheleute gegeneinander auszuspielen – umsonst. Nach kurzem Intermezzo in Griechenland kehrten sie nach West-Berlin zurück.

Sein Studium hat Angelos nie abgeschlossen. Er arbeitete stattdessen für eine Tiefbaufirma und zeigte den studentischen Aushilfskräften, wie man asphaltiert, Straßenschilder aufstellt und Leitplanken montiert.

Als seine Frau zu beruflichem Erfolg kam, freute er sich: „Prima, dann haben wir mehr Geld!“ Vielleicht hatte sie eine andere Form der Anerkennung erwartet. Die beiden lebten sich auseinander, 1990 wurde die Ehe geschieden. Angelos lernte eine Griechin kennen, sie wollte ihn heiraten, doch er lehnte höflich ab. Erst als sie 2002 an Krebs erkrankte, gab er ihrem Wunsch nach. Er hatte die Ringe gekauft, als sie starb.

Seine eigene Diagnose nahm er gefasst auf: Lungenkrebs. Er kümmerte sich um alle Formalitäten, verschenkte seine Möbel, unterzog sich den Chemotherapien und zog nach Steglitz zu seiner jüngsten Tochter, einer Ärztin. Im letzten Sommer war er lange in Griechenland, um seine Verwandten noch einmal zu besuchen. In seinem Heimatdorf wurde zu seiner Ankunft gerade das Marienfest gefeiert. „Ich habe ihn nie so ausgelassen tanzen gesehen wie dort“, sagt die Tochter.

Zurück in Steglitz bot sie ihm ihr Schlafzimmer an, damit er es bequem habe. Er zog die Couch im Wohnzimmer vor.

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