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Unternehmer Claus Hipp: Des Schöpfers Kost

Babybrei, immer wieder Babybrei. Claus Hipp hat seinen Namen zur Marke gemacht. Seine Firma wird seit Jahren mit Preisen überhäuft. Und der Patron? Fühlt sich mit 75 nicht ausgelastet. Er ist Messdiener der Frauenkirche, malt abstrakte Gemälde und lehrt Kunst.

Ihre Türme erheben sich knapp 100 Meter über der Stadt. Sie ist das Wahrzeichen Münchens, die Frauenkirche. Und Sitz des Erzbischofs noch dazu. Ein einziges abstraktes Gemälde hängt darin. Gemalt hat es ein Unternehmer. Der macht mit Karotten- und Bananenbrei 600 Millionen Euro Umsatz im Jahr.

Glaube, Malerei, Babybrei – wie passt das zusammen?

Über Claus Hipp steht nur Gott. Verkörpert durch Jesus am Kreuze, hinter ihm an der Wand. Wie in jedem Zimmer der Firma Hipp. Im Produktionsraum, wo ein Holzkreuz nicht erlaubt wäre, hängt eines aus Stahl. So blickt der Höchste auf das hinab, was auch der Unternehmer täglich vor Augen hat, wenn er sich in Pfaffenhofen an seinem mächtigen Nussbaumschreibtisch setzt. Stifte liegen verstreut, ein Zettelwust neben einem Gläschen Aprikosenbrei, Hipps persönliche Lieblingssorte.

Von hier aus, vom Dach des Firmensitzes, lenkt Claus „Dafür stehe ich mit meinem Namen“ Hipp die Geschicke des 2000-Mann-Unternehmens. Der Chef sieht genau so aus wie in der Werbung: weißer Haarkranz, freundliches Lächeln und, natürlich, Trachtenjanker samt Lederweste. Er sagt: „Ich muss den Leuten nicht beweisen, dass ich noch eine andere Jacke habe.“

Hipp hat seinen Namen zu einer Marke gemacht. Weiter kann man es als Unternehmer in diesem Land kaum bringen. Gerade erst hat seine Firma den Corporate Social Responsibility-Preis der Bundesregierung für ihre soziale Verantwortung erhalten. Der Patron bittet zur Sitzgruppe. Antikes Mobiliar, die Polster ziert ein samtenes Streifenmuster. Die großen Fenster erlauben einen Blick auf bayerische Idylle, Pfaffenhofen. Auch das Firmengelände kann er von hier oben überschauen, sein Lebenswerk. Er hat es geschafft, die Gläschen mit der bunten Herzchenschrift zum Synonym für Bio-Babybrei zu machen.

Jedoch, damit ist die Marke Hipp auch ausdefiniert. Produkte für andere Zielgruppen anzubieten, von dieser Idee hat sich der Firmenlenker verabschiedet. Er musste einsehen: Senioren wollen keine Kost, auf der „ab 80 Jahren“ geschrieben steht und Sportler kaufen lieber Produkte mit Gewinner-Image. Also Babybrei. Immer wieder Babybrei.

Hipp schläft ein, wenn er unterfordert ist. Er kann das. Im Sitzen, ohne Lehne. Augen zu. Und weg. „Als ich IHK-Präsident war, musste ich mir die vielen Reden anhören. Die waren oft sterbenslangweilig. Da hatte ich ein Notizbuch dabei.“ Hipp grinst: „Die anderen dachten, ich höre den Vorträgen aufmerksam zu und mache mir Notizen – aber in Wirklichkeit…“

In Wirklichkeit geht es um Lebenszeit.

Vor wenigen Tagen ist Claus Hipp 75 Jahre alt geworden. In der Kantine gab es für alle Mitarbeiter ein Geburtstagsmenü mit Austernpilz-Salat und Entenbraten. Das war’s. Alter sei ja kein besonderes Verdienst, sagt Hipp. Ob es nicht allmählich an der Zeit wäre, abzutreten? Seine fünf Kinder arbeiten alle im Unternehmen, zwei Söhne bereits in der Geschäftsführung. „Solange meine Kinder mich hier brauchen, bin ich da“, sagt Hipp. Und zwar täglich. Ab halb sechs. „Das ist ziemlich früh, aber auf dem Land fängt man eben früh an. Es ist nicht so, dass mir das leicht fällt.“

Hipp hat Verpflichtungen. Dazu zählt, täglich in aller Herrgottsfrüh nach Herrnrast zu fahren, zu einer alten Wallfahrtskirche. Hipps schwarzes BMW-6er-Cabrio schiebt sich gemächlich durch die Ortschaft. Am Rückspiegel baumeln seine Glücksbringer: eine georgische Flagge, ein Rosenkranz und ein kleiner Holzanhänger, der einem Steuerrad ähnelt. Hipp fährt exakt 50 Stundenkilometer. Er hat noch einen alten Mercedes, der mit Pflanzenöl betrieben wird. Doch steht der ungenutzt in der Garage, weil Hipp nicht mehr mit Bio-Sprit fahren will, sagt er. Das bringe Menschen in Not, nehme ihnen die Nahrungsmittel weg. Am liebsten nimmt er sowieso das Rad.

Am Fuße des Herrnraster Hügels hält Hipp an. Eine Herde Rotwild grast linker Hand auf einer umzäumten Weide. Hipp deutet auf einen Hirsch mit mächtigem Geweih. „Ein Zwölfender ist dabei, wunderbares Tier.“ Die Herde gehört zu Hipps Familienhof; genauso wie etliche Pferde. Beim Ausreiten hatte er vor Jahrzehnten die baufällige Kirche entdeckt, auf eigene Kosten ließ er sie renovieren. Hipp sperrt sie täglich auf, prüft, ob das ewige Licht brennt, er betet. Sehr kalt ist es in dem kleinen Kirchenschiff und einsam.

Warum ist es eine Ausnahme, sich in der Wirtschaft so selbstbewusst zu seinem Glauben zu bekennen? „Weil Vertrauen in Gott vielleicht mit persönlicher Schwäche gleichgesetzt wird“, sagt Hipp. „Ich bin froh, dass ich mich in schwierigen Situationen an Gott wenden kann.“

Welche Situationen?

„Natürlich habe ich Feinde.“ Er senkt den Blick, scharrt mit den Füßen, unangenehmes Thema. Auch bei Hipp

Der Hunger, die Muttermilch und eine Idee.

Es gibt Menschen, die den großbäuerlichen Aufzug des Patriarchen possierlich finden und darüber spotten, dass er sonntags in der Frauenkirche den Ministranten gibt. Hipp ist das egal. Die zehn Gebote sind für ihn Basis der Unternehmensführung. Das, wofür der Begriff Nachhaltigkeit in Mode gekommen ist, betreibt Hipp schon seit Jahrzehnten. Er hat sich für den biologischen Landbau stark gemacht, lange bevor Bio zur Marke wurde. „Der spinnt, der Hipp“, wurde er angefeindet von Vertretern der konventionellen Landwirtschaft. Heute kann er die Auszeichnungen kaum mehr zählen, die er erhalten hat.

Einen Kratzer hat das Image im vergangenen Jahr verpasst bekommen. Das Unternehmen erhielt den „Goldenen Windbeutel 2012“ für die „dreisteste Werbelüge“. In einer Teesorte für Babys war zu viel Zucker enthalten. Hipp nahm das Produkt vom Markt, änderte die Rezeptur. Im Oktober dieses Jahres musste Hipp sich dann des Vorwurfs erwehren, Gengemüse verwendet zu haben. Es ging um äußerst geringe Spuren von mit CMS veränderten Pflanzen. Das Unternehmen bezeichnet den Vorwurf als aufgebauscht, zumal es sich bei CMS nicht einmal um echte Gentechnik handele. Hipp hat sich aber daran gewöhnt, dass bei seiner Firma ganz genau hingeschaut wird. Schließlich habe man eine Vorbildfunktion. Die Bundesregierung hat Hipp im selben Jahr jedenfalls noch den Nachhaltigkeitspreis verliehen. Freut Hipp, keine Frage. Und doch ist dieses Nachhaltigkeits-Ding auch nur so ein Trendbegriff für etwas, das er als christliche Verantwortung versteht.

Wie könnte er vergessen, dass es am Anfang um Leben und Tod ging? Das waren noch Zeiten, da Kinder starben, wenn sie zu schwach für den Hunger waren, und Eltern meist tatenlos zusehen mussten. Großvater Joseph, ein Konditor, stand vor eben diesem Problem. Seine Frau Maria hatte nicht genug Muttermilch, um die Zwillinge zu stillen. Da zerstieß er Zwieback zu Pulver, rührte es mit der spärlichen Muttermilch zu einem Brei an und rettete seinen beiden Kindern das Leben.

Fünf weitere Kinder folgten. Keines musste mehr Hunger leiden. Sohn Georg machte aus dem Handwerksbetrieb eine industrielle Produktion, zu der gehörte bald auch ein eigener Bauernhof. 1968 starb Georg Hipp. Der erst 29-jährige Junior musste die Nachfolge antreten. Den Hof der Familie führte er schon, seit er 18 war. Nun übernahm Claus Hipp die Leitung eines damals schon mehrere hundert Mann starken Unternehmens. Er stellte sich vor die Belegschaft und verlas mit zitternder Stimme den Abschiedsbrief des Vaters. „Ich riss mich zusammen“, sagt er. Der Vater hatte ihn zum Kronprinzen erzogen. Und der praktizierte nun in großem Maßstab, was er im bäuerlichen Rahmen gegen den Widerstand des eigenen Verwalters schon durchgesetzt hatte: Ökologisch ist besser.

Heute liegt Hipps Marktanteil bei knapp 50 Prozent – und das, obwohl die Produkte etwa 20 Prozent teurer sind als die von Konkurrenten wie Alete und Milupa. 6000 Bauern aus Deutschland, Kroatien, Österreich, Russland, Ungarn, der Ukraine und der Schweiz beliefern Hipp, alle Bio. „Biologischer Landbau ist bei uns kein Marketingtrend, sondern Verantwortung vor der Schöpfung – für Tiere und für Pflanzen“, sagt Hipp. Schon als kleiner Junge hat er gelernt, dass er nicht unbedacht mit den Menschen oder der Natur umgehen darf. Hipp greift sich ans Haar, zieht daran: „So fühlt sich das für Pflanzen an, wenn man sie ausrupft, hat meine Mutter mir als Kind gesagt.“

Seine Mitarbeiter genießen seit 1999 die Vorzüge einer „Ethik-Charta“. Darin ist die Rede von fairen Beziehungen zu Lieferanten, Wertschätzung der Ideen von Mitarbeitern, Verpflichtung zur Familienförderung. Es ist darin auch eine Absage an die Sonntagsarbeit formuliert. Heutzutage nennt man das Corporate Social Responsibility.

Seine Familie malt seit Generationen.

Hipp, der progressive Konservative. Sein Freund Toni Meggle, der mit der Kräuterbutter, sagt über ihn, dass kaum einer „ein solches Prestige in der Unternehmerlandschaft“ habe. Hipp sitzt im Aufsichtsrat bei Meggle. Er zählt zu jenem Schlag Firmenoberhäupter, die sich nicht gern reinquatschen lassen. Über den Regulierungswahn und die „überbordende Verwaltung“ in Deutschlands Wirtschaft kann er sich furios ereifern. Hipp hält seine Unternehmensphilosophie auch in Büchern fest. Sie tragen Titel wie „Das Hipp-Prinzip“ oder „Agenda Mensch“. Gerade erst ist „Achtung! Anstand“ erschienen. Dieser Titel ist ihm etwas peinlich. Das sei ein Vorschlag des Verlages gewesen. „Es liegt mir fern, den Anstandsfingerzeiger zu machen.“ Was er eigentlich ausdrücken wolle, sei vielmehr eine Sache der Haltung, der Herzensbildung.

Jeden Abend nach der Arbeit setzt sich Claus Hipp in sein Cabrio und fährt ins Atelier, auch eine Art Kirche, ein Wallfahrtsort der Intuition, eingerichtet in einem alten Forsthaus. Er zieht den Trachtenjanker aus und einen Malerkittel an und widmet sich dem Leben in seiner metaphysischen Form. „Er ist kein Mensch, der in Grenzen denkt und handelt“, sagt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. „Er ist 20 Jahre älter als ich, aber er hat viel mehr Energie. Er ist nie erschöpft, weil er schöpft.“

Hipp selbst, der Mann, der bei Unterforderung unweigerlich wegnickt, drückt es so aus: „Wer kreativ ist und viele Interessen hat, bestenfalls noch musische, den langweilt das Einzelne nicht so sehr.“

Wobei dieses Einzelne sich in seinen Gemälden auflöst. Hipp malt abstrakt. „In der gegenständlichen Kunst“, meint er, „ist alles gesagt: Wenn ein Bild ‚röhrender Hirsch im Sonnenuntergang’ heißt, dann ist darauf ein röhrender Hirsch im Sonnenuntergang zu sehen. Die gegenstandslose Kunst bietet noch Freiheiten.“

Hipps Gemälde werden in Galerien in New York und St. Petersburg gezeigt, sie hängen in der Bayerischen Architektenkammer und eben in der Frauenkirche, in Berlin ist ein Bild von mehr als 15 Quadratmetern in der Industrie- und Handelskammer zu sehen. „Meine Familie malt seit Generationen“, sagt er. „Es gibt Landschaftsmaler, Kirchenmaler, Porträtmaler in unserem Stammbaum. Das geht zurück bis in die Gotik.“ Hipp war Meisterschüler an der Münchner Kunsthochschule, heute unterrichtet er selbst an der Staatlichen Kunstakademie in Tiflis, Georgien. Mit seinen Studenten entwirft er Bühnenbilder für die Oper. Sein Vater, selbst künstlerisch begabt, hatte für das gegenstandslose, dekorative Spiel mit Farbflächen wenig Verständnis. Aber professioneller Künstler wollte er eh nicht werden: „Ich wäre gezwungen, marktgerecht zu arbeiten“, sagt er, „müsste manches malen, nur um es zu verkaufen. “

Die meisten seiner Bilder tragen keinen Titel. Wenn er sich vor die großformatigen Leinwände setzt, dann arbeitet er an der Auflösung der Welt. Dann geht es ihm um Groß gegen Klein, David gegen Goliath, Kosmos und Chaos. „Am wichtigsten ist es, Spannung zu erzeugen. Wenn die Elemente falsch gesetzt sind, erkennt man das sofort. Es entsteht ein Muster, ein Teppich von Formen.“ Und was ist ein Teppich anderes als die Wiederholung des Immergleichen, als die Ermüdung schlechthin?

Was also taten Sie mit Ihrem Notizbuch, Herr Hipp, wenn die Müdigkeit Sie übermannte?

„In Wirklichkeit habe ich Georgisch gelernt.“

Erschienen auf der Dritten Seite.

Claudia Beckschebe[Pfaffenhofen]

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