zum Hauptinhalt
 Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (rechts, SPD) lässt sich in der Fabrik des Außenwerbers Wall von Geschäftsführer Patrick Möller eine digitale Anzeige erklären.

© Rainer Jensen/dpa

Unterwegs mit Brandenburgs Wirtschaftsminister Gerber: Auf dem Sprung ins digitale Zeitalter

Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber bemüht sich um eine industriefreundliche Politik. Kleine Firmen lockt er mit einem Digitalisierungsgutschein, große mit höheren Fördersätzen, als Berlin sie bietet.

Ein Dialog wie aus einer Hochglanzbroschüre des Ministeriums: „In Brandenburg hat die Industrie einen höheren Stellenwert als in Berlin“, sagt der Unternehmer aus Birkenwerder. „Das sehe ich auch so“, antwortet der Minister aus Potsdam. „Wir machen eine industriefreundliche Politik.“

Albrecht Gerber, Minister für Wirtschaft und Energie des Landes Brandenburg, besucht in Birkenwerder die Metallfirma Körber & Körber, die Präzisionsteile nach Maß für alle möglichen industriellen Anwendungen fräst. Seit Ende der 1970er Jahre hatte Vater Körber in Reinickendorf Teile für die Autoindustrie produziert, zuletzt mit rund 200 Leuten. 2010 verkaufte er die Firma und startete neu in Birkenwerder in einer modernen Halle, die Heideldruck aufgrund der Strukturkrise in der papierverarbeitenden Industrie nach wenigen Jahren geräumt hatte. Eine idealer Standort in unmittelbarer Nähe der Autobahn und mit deutlich höheren Fördersätzen als in Berlin. Rund fünf Millionen Euro haben Vater und Sohn Körber in neue CNC-Maschinen investiert – jedenfalls einen Teil davon, denn die Fördersätze machten vor einigen Jahren noch 50 Prozent aus. Heideldruck übrigens hatte den Standort nach zehn Jahren und zwei Tagen aufgegeben – mindestens zehn Jahre mussten vergangen sein, sonst hätte Heideldruck Fördergelder zurückzahlen müssen.

Kleine Firmen bekommen einen Digitalisierungs-Gutschein

Der Minister ist an diesem Vormittag nicht nach Birkenwerder gekommen, um sich über den Verbleib von Steuergeldern zu informieren. Gerber besucht vielmehr Unternehmen, „die den Sprung ins digitale Zeitalter vollzogen haben“. Wie es sich für einen guten Sozialdemokraten gehört, schlägt auch Gerbers Herz für die Industrie. Und Industriepolitiker sehen sich gefordert im Zeitalter der Industrie 4.0. „Wir sind bestrebt, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Unternehmen den Weg in die digitale Zukunft erleichtern“, sagt Gerber.

Vor allem für kleine Firmen hat sich das Land den Digitalisierungsgutschein einfallen lassen, mit dem Beratungsleistungen im Wert von 50 000 Euro oder Anschaffungen bis zu 500 000 Euro kofinanziert werden. Und an der BTU Cottbus- Senftenberg richtete die Landesregierung für knapp zwei Millionen Euro ein „Innovationszentrum Moderne Industrie Brandenburg (IMI)“ ein, inklusive Modellfabrik und „Innovationslabor“.

Eine Firma baut ein digitales Behandlungssystem für Diabetiker

Rund 60 Firmen haben das IMI bislang in Anspruch genommen. Die Potsdamer Emperra GmbH, 2008 von dem Kinderarzt Janko Schildt gegründet, gehört nicht dazu. Mit Risikokapital von der Investitionsbank des Landes Brandenburg, von Bosch, Peppermint und der Beteiligungsgesellschaft Sachsen-Anhalt hat Schildt ein digitales Behandlungssystem für Diabetiker entwickelt. Patient und Arzt sind mit Blutzuckermessgeräten und sogenannten smarten Insulinpens drahtlos in der Cloud verbunden. Das System ermöglicht die „lückenlose elektronische Erhebung von gespritzten Insulindosen, gemessenen Blutzuckerwerten, eingegebenen Broteinheiten sowie deren automatische Übertragung“. Im Ergebnis kann die Insulintherapie präziser gesteuert werden. Bedarf dazu gibt es reichlich, denn rund die Hälfte der Diabetiker erreicht nicht das Therapieziel, weil es nicht gelingt, die Blutzuckerwerte optimal zu steuern.

Mit dem System „Esysta“ von Emperra ist das möglich. Die Behandlung von rund 200 bei der AOK Nordost versicherten Diabetikern war erfolgreich, inzwischen finanziert diese AOK, ebenso die IKK Berlin-Brandenburg, das System, weil sich die Kassen Einsparungen versprechen: Es sollte weniger Notfallbehandlungen von Diabetikern geben.

Rund zehn Millionen Euro hat die Entwicklung in den vergangenen Jahren gekostet, in einer gerade laufenden Finanzierungsrunde versuchen die Emperra-Verkäufer weitere 15 Millionen Euro einzutreiben. Kinderarzt Schildt, der immer noch im Bergmann-Klinikum arbeitet, wünscht sich für die Zukunft, dass Ärzte „Leistungen für die digitale, telematische Betreuung vergütet bekommen“ und dafür wiederum die Krankenkassen entsprechende rechtliche Grundlagen. „Der Markt ist heiß“, heißt bei Emperra über das aktuelle Geschehen in der Venture Capital Szene. Schildt und der neue, aus Dänemark stammende CEO Bent Johnsen sind optimistisch, in den nächsten Wochen die Millionen an Risikokapital zu bekommen. Denn bis der Markt so richtig Erlöse und Deckungsbeiträge bringt, dürfte noch einige Zeit vergehen.

Wall produziert in Velten City Light Boards

Wall ist seit Langem hochprofitabel. Der Stadtmöblierer, der seit ein paar Jahren zum französischen Konzern JCDecaux gehört, hängt zwar immer noch Plakate an den Straßenrand, die von hinten beleuchtet werden. Doch die analoge Welt wird zunehmend verdrängt von der digitalen, den City Light Boards, die vom Leitstand im brandenburgischen Velten elektronisch mit Werbebotschaften bespielt werden. Geschäftsführer Patrick Möller erzählt Wirtschaftsminister Gerber, dass er in diesen Tagen reichlich Glückwunschschreiben zum 25. Betriebsjubiläum unterschrieben hat. 1992 hatte Wall den Zuschlag für die Ausstattung mit öffentlichen Toiletten vom Land Berlin und die Werberechte im öffentlichen Raum bekommen.

Der Vertrag ist inzwischen ausgelaufen, aber Toiletten werden in Velten immer noch gebaut. Allein für Stockholm sind 50 Stück der behindertengerechten, vollelektronischen Anlagen in Arbeit. Die Toilettenbecken sehen aus wie Keramik, sind aber aus einem unzerstörbaren Aluminiumguss. Für die Schweden gibt es auch einen Wickeltisch in der Toilette. „Wir sind eine Edelmanufaktur“, sagt Möller über die Produktion in Velten mit ihren rund 250 Mitarbeitern, darunter 30 Entwickler und 25 Azubis. Er appelliert an den Politiker, doch bitte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die qualifizierten und gut bezahlten Arbeitskräfte zu berücksichtigen. Doch da ist Gerber der falsche Ansprechpartner: Über die Aufstellung von Toiletten, Wartehallen und Werbeflächen an den Straßen der Hauptstadt entscheidet der Berliner Senat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false