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Piraten, Entführung – was Keira Knightley in „Fluch der Karibik“ aushalten muss, sprengt die Reklamationsregeln des deutschen Reiserechts. In der „Frankfurter Tabelle“ zur Reisepreisminderung tauchen solche Reisemängel – zum Glück – nicht auf. Foto: Cinetext

© Disney/Cinetext

Urlaub: Perfektionisten und Querulanten

Jedes Jahr dasselbe: Kaum ist der Urlaub zu Ende, beginnen die Reklamationen. Worüber sich die Deutschen beschweren und warum.

Freitagnachmittag, der Schnellzug von London-Paddington nach Cornwall ist brechend voll. Alle Sitzplätze sind reserviert, Reisende stehen im Gang, Koffer türmen sich auf der Gepäckablage. Dennoch ist es ruhig im Zug. Man arrangiert sich. „Sorry“, „thank you“, kein Problem.

Zwei Wochen später in Deutschland. Es gibt noch viele freie Plätze im ICE von Berlin nach Köln. Trotzdem sind die Fahrgäste im Stress. Mit ihren Rollkoffern stürmen sie durch die Waggons, als gelte es, vor einem Tsunami zu flüchten. Zwei flotte Mittvierzigerinnen, die sich im Zug kennengelernt haben, machen es sich auf ihren Plüschsesseln bequem und tauschen Horrorgeschichten über die Bahn aus. Typisch deutsch?

Heute müssen die Kinder in Berlin und Brandenburg wieder zur Schule. Die Zeit des Reisens ist vorbei, die Zeit der Reklamationen beginnt. Jedes Jahr werden die Reiseveranstalter mit zehntausenden Beschwerden überhäuft. Sind die Deutschen ein Volk von Nörglern?

„Nein“, sagen die Großen der Branche. „Die Beschwerdequote liegt zwischen zwei und drei Prozent“, berichtet Thomas-Cook-Sprecherin Nina Kreke. „98 Prozent der Urlauber kehren zufrieden aus dem Urlaub zurück“, heißt es auch bei Europas größtem Reiseveranstalter, der Tui. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn seit längerem bemühen sich die Reiseprofis, aufkommenden Ärger schon im Keim zu ersticken – am Urlaubsort. Zuständig sind die Reiseleiter vor Ort. Sie sorgen, falls nötig, für einen Wechsel des Hotelzimmers, einen Umzug in ein anderes Haus – oder versuchen, die Kunden mit Reisegutscheinen zu versöhnen. Das funktioniert: 80 Prozent der reklamierenden Gäste würden „noch während ihrer Reise“ zufriedengestellt, betont Tui-Sprecherin Kathrin Spichala.

Im Internet erfahren Millionen, wie schlecht alles war

Unzufriedene Kunden, die Freunden, Kollegen und Nachbarn nach ihrer Rückkehr erzählen, wie schlecht das Hotel war, wie mies das Essen und wie blöd die anderen Gäste, können die Reiseveranstalter nicht gebrauchen. „Wenn der Urlaub gut war, erzählt man das drei Leuten, wenn’s schlecht war, zwölf“, weiß Karl Born von der Hochschule Harz. In Internetzeiten teilt man seinen Ärger sogar mit Tausenden, sagt Born. Der Mann weiß, wovon er spricht. Von 1992 bis 2000 war der Tourismusprofessor im Vorstand der Tui fürs Beschwerdemanagement zuständig. „Bei schweren Fällen habe ich die Leute zu Hause angerufen“, erinnert sich Born, „da waren die Menschen mit einem Mal viel friedfertiger.“

Die Bewertungen, die Reisende auf Internetplattformen wie Holiday Check oder Tripadvisor abgeben, erzählen von Enttäuschungen, Kränkungen („das Rezeptionspersonal sprach nur dann Deutsch, wenn sie Geld von einem wollten“) oder nacktem Entsetzen („der Pool war einfach ekelhaft, Essensreste, Flaschen, Kleidungsstücke, alles schwamm da drin“). So etwas stört natürlich auch Reisende aus anderen Ländern. „Aber deren Toleranz ist größer“, sagt Ulrich Reinhardt. Der Professor ist wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen, dem früheren BAT Freizeit-Forschungsinstitut, und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Urlaubsverhalten der Deutschen. Er weiß: In kaum einem anderen Land sind die Erwartungen an den Urlaub so hoch wie in Deutschland. „Der Urlaub soll perfekt sein“, berichtet Reinhardt, „man arbeitet 50 Wochen und träumt 50 Wochen lang vom Urlaub.“ Dumm nur, dass viele Leute in den „zwei magischen Wochen“ nicht abschalten können, sondern sich an der Erledigung ihr Urlaubsprogramms – Besichtigungen, Fotos, Ausflüge – abarbeiten. „Viele kommen gestresster nach Hause, als sie abgefahren sind“, weiß Reinhardt. Denn zum Genießen nehmen sie sich immer weniger Zeit, vielleicht fehlt auch das Geld. Gerade einmal elf bis zwölf Tage dauert heutzutage eine durchschnittliche Urlaubsreise, nur die Hälfte der Deutschen verreist überhaupt länger als fünf Tage im Jahr, hat Reinhardt herausgefunden.

Den Deutschen fehlt die Gelassenheit

Auch der hohe Lebensstandard daheim kann zum Urlaubsfluch werden, berichtet der Professor. Dann nämlich, wenn man sich nicht über das malerische Meer freut, sondern sich darüber ärgert, dass man das Wasser aus dem Hahn nicht zum Zähneputzen nehmen kann. Dass den Deutschen die Gelassenheit fehlt, findet auch Karl Born. Sie würden „auffällig schnell“ mit dem Anwalt drohen, und auch der Anteil der „lächerlichen Beschwerden“ sei überproportional hoch.

Tatsächlich lesen sich die Gerichtsakten zu Reiserechtsfällen manchmal wie Drehbücher zu Comedy-Shows. Etwa wenn Urlauber Krokodile streicheln und für die anschließenden Bisswunden den Reiseveranstalter haftbar machen wollen. Oder die Anordnung der Wurstscheiben auf dem Frühstücksbuffet dokumentieren, um zu beweisen, dass ihnen alte Ware angedreht wird.

Sind die Deutschen also doch ein Volk von Querulanten? Einige Urlauber würden durchaus mit der „Frankfurter Reiserechtstabelle“ durchs Hotel laufen, um zu schauen, wie sie sich später einen Teil des Reisepreises zurückholen können, sagt Born. Allerdings sei das eine Minderheit. Nach Meinung von Verbraucherschützern eine nicht nennenswerte Minderheit. „Die meisten Beschwerden sind berechtigt“, sagt Eva Klaar. Die Reiserechtsexpertin der Verbraucherzentrale Berlin hat gut zu tun, Tendenz steigend. Dass die Beschwerden zunehmen, hat ihrer Meinung nach einen einfachen Grund: „Die Leute kennen ihre Rechte heute einfach besser als früher“, sagt sie.

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