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Wirtschaft: US-Stromkrise: Elektrizitätsnotstand in Kalifornien

Kalifornien ist dunkel. Im Winter.

Kalifornien ist dunkel. Im Winter. Das ist noch weniger verständlich, als wenn der Stomnotstand im Sommer ausgebrochen wäre. Denn die Winter an Amerikas Westküste sind mild. Im heißen Sommer aber laufen die stromschluckenden Klimaanlagen auf Hochtouren. Trotzdem war der Stromnotstand vorhersehbar. Doch niemand wollte es glauben. Jetzt sitzt der Schock tief in einem Land, das aus der Erfahrung lebt, es könne seine Elektrizität ohne jegliche Beschränkung jederzeit aus der Steckdose beziehen: Die Stromversorger stehen vor dem Konkurs, Silicon Valley fürchtet um seine Internet-Provider, und der neue Präsident George W. Bush hat sein erstes innenpolitisches Problem.

Ein Schuldiger ist schnell gefunden. Seine Name lautet: Deregulierung und Liberalisierung. Der Notstand, so heißt es jetzt, soll der Welt eine Lehre sein, das kalifornische Beispiel ja nicht nachzuahmen. Tatsächlich hat der Westküstenstaat vor sieben Jahren beschlossen, die Monopole der Energieerzeugung und -versorgung zu sprengen mit dem Versprechen, Strom werde für den Verbraucher billiger und die Versorgung verlässlicher. Wozu sonst soll Wettbewerb auch gut sein: Produkte und Dienstleistungen werden besser und billiger. Seit zwei Jahren ist der Strommarkt in Kalifornien liberalisiert, aber das Gegenteil des Versprechens ist eingetreten: Die Energieversorger laufen zum Konkursrichter, weil sie ihre hohen Schulden nicht mehr bezahlen können. Und aus der Streckdose des Verbrauchers kommt kein Saft mehr.

Kein Wunder, sagen die Kritiker der Dergegulierung. Strom ist ein öffentliches Gut. Hätte man es nie dem Markt überlassen, wären die Wohnzimmer hell und die Welt heil. Zürück zum regulierten Strommarkt, lautet die Konsequenz. Dieser Schluss ist so populär wie falsch. Nicht die Deregulierung ist schuld am Desaster, sondern die Tatsache, dass Deregulierung inkonsequent, dilettantisch und bürokratisch umgesetzt wurde wurde. Die Deregulierung ist in die Hand unfähiger Regulierer gefallen, die dem Wettbewerb nicht wirklich vertrauen. Der Hauptfehler besteht nach übereinstimmendem Urteil der Fachleute darin, dass man die Großhandelspreise zwar frei gegeben hat, dem Endverbraucher aber weiterhin feste Preise garantierte. Dahinter steckte der Wille, den Kleinkonsumenten zu schützen, müsse er doch sonst befürchten, dass Großunternehmen mit ihrer Marktmacht einen hohen Diskount durchsetzen können - zu Lasten der Privathaushalte.

Diese Inkonsequenz ist die Wurzel des heutigen Übels. Nicht ganz unerwartet stieg Mitte der 90er Jahre die Nachfrage nach elektrischer Energie. Die brummende New Economy frisst mehr Strom als man den kleinen Chips zutraut. Nachdem die dilettantischen Deregulierer aber Stromerzeuger und -versorger getrennt hatten, nutzten die Kraftwerke ihre Macht, in Zeiten großer Nachfrage die Enerie künstlich zu verknappen. Der Strompreis für die Megawattstunde lag Ende Dezember bei 1 500 Dollar; ein Jahr zuvor waren es noch 30 Dollar. Das stürzte die Enerieversorger in die Schuldenkrise, da sie steigende Preise nicht an die Endverbraucher weitergeben durften. Der Effekt: Bei Southern California Edison addieren sich die Schulden auf fast 600 Millionen Dollar.

Eine simple Überlegung zeigt, was ohne solch unsinnige Vorschriften passiert wäre. Steigende Nachfrage müsste auf freien und wirklich deregulierten Märkten zunächst tatsächlich zu höheren Strompreisen der Privathaushalte führen. Als Konsequenz daraus würden selbst Kalifornier sorgsam mit Energie umgehen und über Alternativen nachdenken. Das käme selbst Zeitgenossen zupass, die nicht gerade als Deregulierungsanhänger geboren wurden. Solange der Endpreis reguliert bleibt, gibt es keinen Anreiz zum Energiesparen. Steigende Nachfrage in wirklich deregulierten Märkten wäre aber zugleich ein Anreiz für Energieerzeuger, neue Kraftwerke zu bauen und die Kapazitäten auszuweiten. Das wiederum würde den Strompreis beim Endkunden verbilligen - der erwünschte Deregulierungseffekt träte ein. Fazit einer kalifornischen Krise: Nicht Liberalisierung ist schlecht. Aber eine schlechte Liberalisierung taugt nichts.

Rainer Hank

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