zum Hauptinhalt
Präsident Obama muss eine Wahlschlappe fürchten.

© AFP

USA: Die europäische Krankheit

Für Amerikaner zählt bei der Kongresswahl am Dienstag eigentlich nur ein Thema: die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise samt ihren Auswirkungen für den Arbeitsmarkt.

Die sind freilich eng verbunden mit den anderen Folgen der Krise, der Zwangsversteigerung von Eigenheimen und den begrenzten Krediten für privaten Konsum.

Offiziell ist die „große Rezession“ seit mehr als einem Jahr vorüber. Statistisch endete sie im Juni 2009. Seither wächst Amerikas Volkswirtschaft wieder. Doch auf dem Jobmarkt ist das nicht zu spüren. Die Arbeitslosenrate verharrt knapp unter zehn Prozent – doppelt so hoch wie in normalen Zeiten. Das Wachstum bleibt zaghaft. Mindestens 2,6 Prozent wären nötig, um die Arbeitslosenrate konstant zu halten, und deutlich über drei Prozent, um sie zu senken. Seit Beginn der Erholung sind sogar mehr Jobs verloren gegangen als neu geschaffen wurden, rechnet die „New York Times“ vor. Langzeitarbeitslosigkeit ist für die USA eine neue Erfahrung. Sie galt bisher als „europäische Krankheit“.

Der Arbeitsmarkt in den USA leidet unter einer dreifachen negativen Dynamik. Die Schicht, die die Konjunktur durch Investitionen und Konsum am ehesten wieder anschieben könnte, die Mittelklasse, lebt in anhaltender Furcht vor dem ökonomischen Absturz. Das gilt für Selbstständige wie für abhängig Beschäftigte. Viele Familien geben selbst das vorhandene Geld nur zögerlich aus. Deshalb kommen auch die Geschäfte vieler Kleinunternehmen nicht wieder in Gang. Stabilisierende Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld, die in Deutschland Entlassungswellen in der Krise verhindert haben, gibt es in den USA nicht. Hinzu kommt: Die Hilfe für Arbeitslose ist viel geringer und die staatliche Vermittlung in neue Jobs bescheiden. Die Immobilienkrise begrenzt zudem die Mobilität. Amerikaner können nicht mehr so leicht dorthin ziehen, wo die Jobs sind, weil sie ihr Eigenheim am alten Standort nicht zu akzeptablen Preisen verkaufen können.

Zweitens sind die verfügbaren Haushaltseinkommen heute, inflationsbereinigt, niedriger als vor zehn Jahren. Über Jahrzehnte waren es Amerikaner gewohnt, dass Einkommen und Lebensstandard steigen. Das gilt nicht mehr. Das durchschnittliche Familieneinkommen 2009 betrug 49 777 Dollar, im Jahr 2000 waren es noch 52 301 Dollar. Das „Wall Street Journal“ spricht von einer „verlorenen Dekade“.

Drittens gehorcht die jüngste Rezession nicht der Erfahrung von früher, wonach auf die schlechten Monate eine um so lebhaftere Erholung folgt und die USA dabei an der Spitze stehen. Konjunktureinbrüche von bis zu 3,2 Prozent gab es in fast jedem Jahrzehnt nach 1945. Die 18 Monate dauernde Rezession von Dezember 2007 bis Juni 2009 war jedoch die längste und tiefste. Die Wirtschaftsleistung sank um 4,1 Prozent, vernichtete 7,3 Millionen Jobs. Im Herbst 2010 liegt das Bruttoinlandsprodukt immer noch unter dem Wert vor der Krise. Deshalb kommt der Arbeitsmarkt nicht wie gewohnt in Schwung. Christoph von Marschall

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false