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Der Aufschwung der letzten Jahre ist bei vielen Amerikanern nicht angekommen.

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USA vor der Wahl: Bei wem der Aufschwung nicht angekommen ist

Die US-Wirtschaft wächst, mehr Amerikaner haben einen Job. Trotzdem sind viele frustriert. Denn der Aufschwung kommt bei ihnen nicht an.

Von Carla Neuhaus

Die Europäer schütteln ungläubig den Kopf. Wie kann jemand wie Donald Trump Präsidentschaftskandidat werden? Wie kann jemand wie er eine realistische Chance auf das höchste Amt der USA haben? Dabei muss man sich nur die US-Wirtschaft anschauen, um das zu verstehen. „It’s the economy, stupid“: Das wusste bereits Bill Clinton und schaffte es mit diesem Wahlspruch ins Weiße Haus. Heute steht die US-Wirtschaft eigentlich sehr gut da. Doch die Betonung liegt auf „eigentlich“.

Die USA erleben den Zahlen nach einen Aufschwung, die Finanzkrise scheint vergessen. Um 2,9 Prozent ist die US-Wirtschaft im dritten Quartal gewachsen. Die Arbeitslosenquote ist so niedrig, dass manche Ökonomen bereits die Vollbeschäftigung ausrufen. Und doch hat jemand wie Trump Erfolg. Mit seiner Parole von mehr Protektionismus. Mit seinem Versprechen, um jeden Preis Jobs zurück in die USA zu holen. Mit der Aussicht auf weniger Steuern für Erben und die Abschaffung der Krankenversicherungspflicht.

Der Grund: Bei vielen Amerikanern kommt der Aufschwung nicht an.

Jobs sind vor allem im Niedriglohnsektor entstanden

Zwar haben heute sehr viel mehr US-Bürger einen Job als kurz nach Ausbruch der Finanzkrise. Doch das heißt nicht, dass all diese Amerikaner auch eine gut bezahlte Stelle haben. Ein Großteil der neuen Jobs ist im Niedriglohnsektor entstanden, gleichzeitig sind Industriejobs weggefallen. Auch finden viele Menschen nur eine Teilzeitstelle oder schlagen sich als Dauerpraktikanten durch. Etliche haben deshalb Schwierigkeiten, ihre Rechnungen zu bezahlen. In einer Umfrage der  Notenbank Fed gaben kürzlich 46 Prozent der Amerikaner an, Probleme zu bekommen, sollten sie unerwartete Ausgaben von 400 Dollar haben. Fast die Hälfte der US-Bürger hat also nicht genug Geld für den Fall auf der Seite liegen, dass das Auto oder die Waschmaschine kaputtgeht.

Die Kehrseite des Wachstums der USA ist daher ein neuer Schuldenberg. Mit 15 000 Dollar ist jeder Amerikaner bereits im Schnitt in den Miesen. Das Beunruhigende an dieser Entwicklung: Wie in den Jahren vor Ausbruch der Finanzkrise fangen die Banken in den USA schon wieder an, die Kredite zu bündeln und als komplexe Anlageprodukte am Finanzmarkt zu verkaufen. Nur dass hinter diesen dubiosen Papieren diesmal weniger Immobiliendarlehen stehen, sondern mehr Kreditkartenschulden und Autokredite. Klar ist: Ein solches Leben auf Pump geht nicht endlos gut. Zumal die US-Wirtschaft nur gerade deshalb wächst, weil die Verbraucher mehr Geld ausgeben, als sie verdienen. Ihr Konsum macht inzwischen 70 Prozent der Wirtschaftsleistung der USA aus. Unter den OECD-Ländern gibt es gerade einmal zwei Staaten, deren Wirtschaft noch stärker von den Ausgaben der Verbraucher abhängt als die USA: Das sind die Türkei und Griechenland.

Was bleibt also nach acht Jahren Barack Obama? Einerseits hat er durchaus etwas erreicht. Auch wenn die Löhne niedrig sind, hat er doch die Arbeitslosigkeit von zehn auf fünf Prozent gedrückt. Er hat dafür gesorgt, dass 20 Millionen Menschen eine Krankenversicherung bekommen. Er hat der kriselnden Autoindustrie geholfen, die Banken gerettet und ihnen strengere Regeln verpasst. Er hat sich für den Klimaschutz eingesetzt.

Die Ungleichheit in der Gesellschaft ist größer geworden

Andererseits hat Obama aber verpasst, die Wirtschaft nachhaltig umzubauen. Denn ein Grundproblem hat sich unter seiner Präsidentschaft nur noch verschärft: die Ungleichheit in der Gesellschaft. Durch die niedrigen Löhne, die prekäre Beschäftigung und die hohen Schulden hat sie stark zugenommen. Obwohl also mehr Amerikaner einen Job haben, werden die Armen ärmer, die Reichen reicher. „Anders als in Europa steigt die Ungleichheit in den USA nicht nur bei den Vermögen, sondern auch bei den Löhnen“, sagt Guido Baldi vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. So verdienten die 25 bestbezahlten Hedgefondsmanager der USA im vergangenen Jahr mehr als alle 158 000 Kindergarten-Erzieher des Landes, rechnete kürzlich Hillary Clinton vor. Die Folge: Gemessen am sogenannten Gini-Koeffizienten ist die Ungleichheit unter den OECD-Staaten inzwischen nur in Mexiko noch größer als in den USA.

Haben die Amerikaner lange an dem Traum festgehalten, vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen zu können, wächst nun der Frust über die ungleiche Verteilung von Löhnen und Vermögen. 2011 demonstrierte erstmals eine Gruppe namens „Occupy Wall Street“ im New Yorker Finanzdistrikt gegen die wachsende Ungleichheit. 2016 ist sie ein zentrales Thema im Wahlkampf. „Make America great again“, damit wirbt Trump. Und es kommt bei den Menschen an.

Auf Obamas Nachfolger kommt viel Arbeit zu

Obama hat das Problem der Ungleichheit zwar durchaus erkannt – er hat aber wenig dagegen unternommen. In einem Meinungsbeitrag für das britische Magazin „Economist“ schreibt er nun: „Volkswirtschaften sind erfolgreicher, wenn sie die Lücke zwischen Arm und Reich schließen.“ Seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin trägt er deshalb auf, mehr Geld für Bildung auszugeben: Er schlägt den Ausbau frühkindlicher Förderung vor, wünscht sich mehr Investitionen in High Schools, bezahlbare Studienplätze und mehr berufliche Weiterbildung.

Auch wenn die Wirtschaft in den USA im Vergleich zu Europa stark wächst, liegen die Wachstumsraten doch noch lange nicht auf Vorkrisenniveau. Ein Grund dafür ist die schwache Arbeitsproduktivität. Trotz digitalen Fortschritts können Amerikaner pro Arbeitsstunde nicht sehr viel mehr Güter und Dienstleistungen produzieren. Ist für die USA eigentlich ein Produktivitätswachstum von zwei Prozent normal, lag es zuletzt gerade einmal bei 0,6 Prozent. Das klingt technisch, hat jedoch konkrete Auswirkungen auf den Lebensstandard. Denn nur bei einem ausreichend hohen Produktivitätswachstum können die Konzerne höhere Löhne zahlen. Nur mit höheren Löhnen können die Menschen sich mehr leisten und sozial aufsteigen. Und nur dann haben die USA eine Chance, die Ungleichheit zu bekämpfen.

Warum die Arbeitsproduktivität so gering ist, darauf haben Ökonomen bislang wenige Antworten. Klar ist: Für die weitere Wirtschaftsentwicklung sind das keine guten Vorzeichen. Für den nächsten US-Präsidenten bedeutet es: viel Arbeit.

Zum Weiterlesen:
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