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Größer als die Kathedrale in Palma soll das werden, was Claassen in auf der Insel aufbauen will.

© Moritz Döbler

Utz Claassen: Auf Mallorca ganz groß rauskommen

Als Sympathieträger gilt er nicht gerade. Sondern als Rechthaber, als Provokateur, als Millionenscheffler. Utz Claassen wusste schon mit 17 Jahren, dass er Topmanager werden will. Jetzt ist er 47 - und hat einen neuen Plan.

Immer, wenn er an der Kathedrale von Palma vorbeifährt, spürt er diese Wehmut, diesen Schmerz. Der gotische turmlose Klotz am Hafenrand, das größte Bauwerk von Mallorca, erinnert ihn an die Zeit, in der niemand an ihm zweifelte. Er war 15, als er mit seinem Vater Folkert und seiner Mutter Margrit das erste Mal auf die Insel kam. Drei Tage Fahrt lagen hinter ihnen, der Bus hatte in Freiburg, Nimes und Barcelona gehalten, dann setzten sie mit der Fähre über. Die erleuchtete Kathedrale war von weitem zu sehen. Utz Claassen stand an der Reling und war glücklich.

Gut drei Jahrzehnte später setzt er alles daran, dass ein noch größeres Bauwerk auf der Insel entsteht: eine Multifunktionsarena für bis zu 30 000 Zuschauer samt Hotel, Shopping-Center und Hubschraubershuttle für die VVIPs: Very Very Important Persons, die Allerwichtigsten. Das Stadion, auf den Schaubildern ein riesiges knallrotes Rechteck, soll die neue Heimat des Erstliga-Fußballklubs RCD Mallorca werden, bei dem er als Investor eingestiegen ist – aber nicht nur das: „Lady Gaga und Kylie Minogue treten in Barcelona auf, aber auf Mallorca nicht. Millionen von Touristen kommen hierher, denen sollte man mehr bieten als Strand und Ballermann.“ In fünf Jahren feiert der RCD 100-jähriges Bestehen, dann soll das Stadion stehen und der Verein „eine paneuropäische Sportmarke“ sein.

Utz Claassen, inzwischen 47, dreht ein großes Rad, wieder einmal. In der Präsidentenloge des gerade zwölf Jahre alten jetzigen Stadions steht er mit einem Glas Diätcola zwischen Honoratioren und Mallorca-Promis auf dem blanken Laminatboden. Die langen grauen Haare fallen über den Hemdkragen, ein Vollbart bewuchert das Gesicht. Er ist schmaler als früher, der Nadelstreifenanzug mit dem breiten Revers wirkt etwas zu groß. Die Manschettenknöpfe zieren das Emblem der Universität von Oxford, wo er einst studierte, die Füße stecken in schwarzen Hermès-Lederslippern. Eine große goldene Uhr prunkt am linken Handgelenk und am rechten natürlich das Goldkettchen, das er vom Vater zum 25. Geburtstag bekam. „Ich würde es nicht einen Tag meines Lebens nicht tragen. Und wenn ich nur hätte Vorstandschef werden können, indem ich das Goldkettchen nicht getragen hätte, hätte ich auf den Job verzichtet“, sagte er einmal.

Auf den Job verzichtet: Das hat er vor einem Jahr bei Solar Millennium. Nach 74 Tagen warf er hin, über die Gründe äußert er sich „einzig und allein im Interesse des Unternehmens“ öffentlich nicht, wie er später sagte. Neun Millionen Euro bekam er zum Amtsantritt, 100 000 Euro Monatsgehalt waren ausgemacht, und gerade versucht er, vor Gericht eine Abfindung von sieben Millionen Euro zu erstreiten. Dass solche Summen Unmut hervorrufen, ficht ihn nicht an. Vertrag ist Vertrag. Und die Rechnung mit dem großen Hoffnungsträger ging ja auch zunächst auf: Im ersten Monat nach Bekanntgabe seiner Berufung stieg der Aktienkurs von Solar Millennium um die Hälfte und der Wert des Unternehmens damit um fast 190 Millionen Euro. „Als ausgewiesener Freund der Kernenergie bin ich fest davon überzeugt, dass solarthermische Kraftwerke in Zukunft an die Stelle der Kernkraftwerke treten können, müssen und werden“ – diese markige Ansage machte er in jener Zeit.

Der nächste Prozesstermin ist am 9. September. Eine außergerichtliche Einigung schließen beide Seiten inzwischen aus und überziehen sich stattdessen mit neuen Klagen: Das Erlanger Unternehmen fordert das zum Amtsantritt gezahlte Geld zurück, er legt mit einer Schadenersatzklage wegen Rufschädigung nach. Außenstehende können das alles längst nicht mehr durchblicken. Was ist wahr, was angemessen – man kann Zweifel haben, ob die Fakten jemals geklärt werden können. Die Schriftsätze sind inzwischen Tausende Seiten stark. Um Geld kämpfen die Kontrahenten, aber vor allem um ihren Ruf. Ein junges Technologieunternehmen mit hochfliegenden Plänen steht gegen einen Manager, der nicht gerade als Sympathieträger gilt.

Das liegt auch daran, dass er schon bei seinem vorherigen Arbeitgeber mit einem Rundum-Sorglos-Paket ausschied. Als er 2007 als Vorstandschef des Energiekonzerns EnBW abtrat, hatte er Ansprüche von 400 000 Euro jährlich bis zum Jahr 2026, bis die eigentliche Altersversorgung greift. „Mein Ruhegehalt bewegt sich, gemessen an der absoluten Höhe, im Rahmen des Üblichen, in Relation zum Gehalt ist es sogar unterdurchschnittlich“, sagte er damals. Doch dass jemand nichts mehr tun muss und dafür sieben Millionen Euro kassieren soll – das erregte die Gemüter. Daran änderte sich auch nichts, als er sich schließlich, nach einem Rechtsstreit, mit einmalig 2,5 Millionen Euro zufriedengab. Doch für Claassen ist die Empörung nicht nachvollziehbar. „Sollte ich einen schlechteren Vertrag annehmen als Manager in vergleichbaren Positionen, nur weil ich jünger bin?", fragt er.

Mit dieser Vorgeschichte fällt es Claassen schwer zu zeigen, dass es ihm eben nicht ums Geld geht. Dabei hat er angekündigt, alle Millionen, die er jetzt einklagen will, in eine Stiftung zur Erforschung erneuerbarer Energien fließen zu lassen. „Noch nie in meinem Leben bin ich so behandelt worden“, sagte er über die Zeit bei Solar Millennium, ohne die finstere Andeutung mit Fakten zu belegen. Doch statt das Kapitel so schnell wie möglich zu beenden, wie es die meisten anderen Manager täten, zieht er in den Kampf für das, was er als Gerechtigkeit empfindet.

Auch nach seinem Ausstieg bei EnBW war das so. Vor dem Landgericht Karlsruhe musste er sich verantworten, weil das Unternehmen als WM-Sponsor Freikarten an Politiker verschenkt hatte. Für die Staatsanwaltschaft ein Fall von Korruption. Andere Verdächtige in dem Komplex erwirkten die Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung von 2500 Euro. Nicht so Claassen. „Es wäre egal gewesen, ob die 25 000 Euro fordern oder 2,50. Das ist für mich Ablasshandel“, sagte er damals und setzte sich einem 21-monatigen Strafprozess aus. Am Ende stand tatsächlich ein glatter Freispruch.

Der Kampf gegen die Zweifel an ihm, das ewige Rechthabenwollen: Es sind die Konstanten im Leben des Utz Claassen, der sich inzwischen seinen Namen als Markenzeichen hat schützen lassen. Es war schon ganz am Anfang so, als er mit 18 Jahren in einem hellblau-gelb geringelten Poloshirt und weißen Lederstiefeln die öffentliche Bühne betrat. Fernsehmoderator Joachim Fuchsberger hatte ihn zu „Auf los geht’s los“ eingeladen, weil der junge Wirtschaftsstudent zuvor mit einer Durchschnittsnote von 0,7 das beste Abitur aller Zeiten abgelegt hatte.

Auf der braunen Ledercouch sollte er neben Heinz Schenk und Alfred Biolek für Auflockerung sorgen, und das tat er auch. „Ich bin der Meinung, jetzt mögen mir alle Wissenschaftler böse sein: Wir haben zu viele Leute in Deutschland, die nur denken – und zu wenige, die was können“, sagte er. Doch statt Applaus brandete Gelächter auf. Von dem Schnösel mit Oberlippenflaum wollte sich niemand etwas sagen lassen, selbst wenn er recht haben sollte. „Ich war immer der Klassenbeste“, sagt er. Dabei hat ihn niemand getriezt. Weder Mutter noch Vater haben je nach seinen Schularbeiten gesehen. Die Oma versprach ihm fünf Mark für jede Eins und zwei Mark für jede Zwei, von da an hatte er nur noch Einsen. Eine Weile wollte er Architekt werden, „um das zu bauen, was ich als schön empfinde“. Doch kurz vor dem Abitur war die Sache klar: „Mit 17 wollte ich Topmanager werden, ohne eigentlich richtig zu wissen, was der überhaupt macht.“

Heute weiß kaum jemand genau, was Utz Claassen macht. Der RCD Mallorca hat ihn wieder in die Schlagzeilen gebracht, dabei ruhen seine größten wirtschaftlichen Hoffnungen auf seinem Unternehmen Syntellix. Das Kunstwort hat er sich selbst ausgedacht, es steht für Synthese und Intelligenz. Implantate aus Materialien, die sich im Körper selbst abbauen, will er bald auf den Markt bringen, einige Patente hat die Firma schon. Wenn zum Beispiel ein Hüftgelenk durch eine Prothese ersetzt wird, hat der Patient bisher noch eine zweite Operation zu ertragen, damit die eingesetzten Nägel wieder entfernt werden. „Eine Operation statt zwei, das heißt weniger Komplikationen, weniger Infektionen, weniger Kosten“, sagt Claassen. Die Implantate sind in der klinischen Erprobung, und der Gründer und Aufsichtsratsvorsitzende sieht sich kurz vor dem Ziel. Das Unternehmen arbeitet mit Wissenschaftlern zusammen und wird von Robert Schavan geleitet, einem Bruder der Bundesforschungsministerin. „Ein reiner Zufall, wir haben ein Jahr lang gesucht und in ihm den besten Produktmanager der Branche gefunden“, sagt Claassen.

Die Superlative gehen ihm nie aus. Das Talent des Stürmerstars Samuel Eto’o will er schon ganz früh erkannt haben, sein längster Abschlag beim Golf soll über 400 Meter erreicht haben, und im Kennzeichen seines Autos verbergen sich die Lettern „IQ“. Die Lust an der Provokation paart sich mit gefühlter Überlegenheit.

Nun also Mallorca. „Die Insel hat das Potenzial, das Paradies Europas zu sein“, sagte er. Bis Utz Claassen dafür gesorgt hat, sind allerdings noch viele Hürden zu überwinden. Vorerst steht der RCD unter dem Diktat des Konkursverwalters und kann keinen Cent ohne dessen Zustimmung ausgeben. So kommt selbst der Kinderklub nur schwer in Gang, den Claassen gerne sehen würde. Denn in der Präsidentenloge sind Kinder nicht vorgesehen, selbst wenn es sich um seine fünfjährige Tochter Calaya Colleen handelt.

Von dem Geld, mit dem er gerne einen deutschen oder britischen Spieler verpflichten würde, ganz zu schweigen. Mit 70 Schaubildern und 120 Vorschlägen ist er im Verwaltungsrat aufgetreten, und jetzt tingelt er über die Insel, um Werbung für seine Sache zu machen. Harte Arbeit ist das. Im Studio des deutschen Radiosenders 95,8 ruckelt er auf einem blauen Drehstuhl hin und her, die Bandscheibe muckt. Durch die schmierigen Fenster sieht man den Yachthafen. Auf Bitten der Moderatorin spricht er geduldig eine „Station-ID“ nach der anderen ins Mikro, so dass er in den nächsten Wochen immer wieder zu hören sein wird: „Hallo, Hola! Hier ist Utz Claassen. Immer wenn ich auf Mallorca bin, höre ich das Inselradio, denn ich will ja wissen, was los ist.“

Geld verdient er auf Mallorca noch nicht. „Es ist ein Projekt, aber es ist nicht auszuschließen, dass es sich irgendwann rechnet“, sagt er. „Liverpool war nicht im Rahmen des Möglichen. Rot-Weiß Essen hätte ich nie gemacht, weil mein Herz für Hannover 96 schlägt.“ Das beruhte zeitweise nicht auf Gegenseitigkeit: Als Präsident des Vereins musste er 1997 mit Bodyguards ins Stadion kommen, weil ihn Fans bedrohten.

Fußball begleitete seine Karriere von Anfang an. Als Seat-Chef sponserte er den spanischen Fußballverband, bei EnBW mehrere Klubs und die WM. „Sobald ich laufen konnte, habe ich das mit dem Ball getan“, erzählt er. Und der Vater war immer dabei. Folkert Claassen war zwar fast 50 Jahre älter als er, aber kickte häufig mit ihm und den Nachbarjungs.

„Wir haben nie ein böses Wort gewechselt“, sagt er, der einzige Sohn aus zweiter Ehe, über seinen Vater. „Er hatte immer gute Laune.“ In einem Waisenhaus in Emden war er aufgewachsen, hatte es bis zum Stadtdirektor von Schöningen, einer niedersächsischen Kleinstadt, gebracht. Als der Sozialdemokrat nicht so besoldet werden sollte wie seine Vorgänger mit Jura- Abschluss, drohte er mit Klage und bekam Recht. Er ist schon lange tot, starb im Krankenhaus. Die Ärzte waren schuld, eine falsche Medikation, sagt der Sohn.

Jetzt liegt seine Mutter seit Wochen im Krankenhaus. 86 Jahre ist sie alt, passionierte Bridgespielerin. Und schuld ist indirekt ihr Sohn: Er hatte sie nach Mallorca eingeladen, um ihr alles zu zeigen. Nach der Rückkehr wollte sie den Koffer wieder auf den Schrank räumen und fiel von der Leiter. Eine dreifache Beckenfraktur zog sie sich zu, die nicht richtig heilen will. Nächste Woche wird entschieden, ob sie operiert wird. Utz Claassen ist mit ihren drei Ärzten in engem Kontakt.

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