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Der VW-Skandal hat der gesamten Automobilbranche zugesetzt.

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VDA-Chef Matthias Wissmann über den VW-Skandal: „Tricks widersprechen unserem Selbstverständnis“

Der Präsident des deutschen Autoverbandes VDA, Matthias Wissmann, über den VW-Skandal, die Anti-Diesel-Lobby und staatliche Hilfen für Elektroautos.

Herr Wissmann, überzeugt Sie das Krisenmanagement bei Volkswagen?

Mein Eindruck ist, dass die neue VW- Führung jetzt alle technischen Fragen konsequent klärt und harte Konsequenzen aus den Abgasmanipulationen zieht. Das Ziel ist erkennbar: Lückenlose Aufklärung, vollständige Transparenz und neu geordnete Strukturen im Konzern.

Beim Thema CO2 gab es Entwarnung, das Diesel-Problem glaubt VW beherrschen zu können. Alles halb so wild also?

Der Abgas-Skandal hat den VW-Konzern, die Industrie und die Öffentlichkeit natürlich sehr getroffen. Anfang November kam das CO2-Thema hinzu, das Volkswagen ja selbst bekannt gegeben hat. Hier gab es ja nun erfreulicherweise Entwarnung. Es ist nachvollziehbar, dass VW in einem Klima der Verunsicherung damals entschieden hat, lieber zu viel als zu wenig an die Öffentlichkeit zu geben. So baut man langsam wieder Vertrauen auf. Auch bei der Stickoxidfrage kommt das Unternehmen voran. Aber auch wenn sich manche Befürchtung nicht bewahrheitet, bleibt klar: Software-Tricks und gefälschte Emissionsangaben widersprechen dem Selbstverständnis der Industrie.

Sie sprechen von der „beeindruckenden Ingenieurskunst“ deutscher Autobauer, wenn es um die Reduzierung von Abgasen und Verbrauch geht. Fühlen Sie sich persönlich von VW getäuscht?

Natürlich war auch ich betroffen, als uns die Nachrichten während der IAA erreicht haben. Wenn man von der Ingenieursleistung in 600 Mitgliedsunternehmen überzeugt ist, dann ist man bestürzt, wenn man feststellt, dass in so einem bedeutenden Unternehmen bei der Schadstoffemission manipuliert wurde.

Matthias Wissmann (66) ist seit 2007 Präsident des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie. Der VDA vertritt die Interessen von 600 Unternehmen, die Automobile und Zubehör produzieren.
Matthias Wissmann (66) ist seit 2007 Präsident des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie. Der VDA vertritt die Interessen von 600 Unternehmen, die Automobile und Zubehör produzieren.

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VW hat eine einfache Lösung zur Beseitigung der Mängel präsentiert. Man fragt sich, warum getrickst werden musste.

Klar, auf den ersten Blick scheint das merkwürdig. Die Erklärung allerdings ist einfach: technischer Fortschritt. Zum damaligen Zeitpunkt waren die heutigen Technologien noch nicht verfügbar. Außerdem: Neben dem Bauteil, das in seiner Einfachheit tatsächlich überrascht, kommt natürlich noch eine umfangreiche Software-Applikation hinzu.

Inzwischen gibt es ähnliche – wenngleich dementierte – Vorwürfe gegen Opel. Bosch steht in den USA unter Anklage. War VW tatsächlich ein Einzelfall?

Die anderen Hersteller haben erklärt, dass es Software-Manipulationen in Form so genannter „Defeat Devices“ bei ihnen nicht gibt. Die Unterscheidung ist wichtig: Illegale Manipulationen von Abgaswerten sind etwas anderes als reguläre, technisch bedingte Unterschiede von Labormessungen und Emissionen im Straßenverkehr. Diejenigen, die den Diesel und die deutsche Automobilindustrie unter Generalverdacht stellen wollen, versuchen aber immer wieder, emotionale Punkte zu machen, indem sie Labor- und Straßenwerte in einen Topf werfen.

Manche sagen, die Autoindustrie habe eine zu große Nähe zur Politik und zu den Kontrollbehörden. Wie viel Verantwortung für den nun entstandenen Vertrauensschaden trägt der Verband?

Keine. Denn wir haben an den Manipulationen nicht mitgewirkt und auch sonst nie unlautere Forderungen gestellt. Wir sind ebenso betroffen wie andere auch. Im Gegenteil: Der VDA dringt in Europa seit Jahren auf die Einführung realistischerer Testverfahren, die jetzt hoffentlich rasch auf den Weg gebracht werden.

Der Appell war offenbar nicht laut genug. Der Vorwurf lautet: Man hat bei den Abgastests nicht so genau hingeschaut. Die Tests nach den Standards des noch gültigen, aber veralteten europäischen Fahrzyklus' NEFZ werden vom Kraftfahrtbundesamt und unabhängigen technischen Diensten wie Dekra, TÜV und anderen überwacht. Natürlich sind Fehler nie vollständig auszuschließen. Aber die Verfahren sind nach einer umfangreichen EU-Verordnung bis ins Detail festgelegt.

Ruiniert der VW-Skandal das gute Image deutscher Autoingenieure?

Ich war gerade in Asien und in den USA und ich habe niemanden gehört, der die Fehler bei VW auf die deutsche Industrie insgesamt überträgt. Das Qualitätssiegel „Made in Germany“ wird nicht in Frage gestellt. Aber verständlicherweise gibt es massive Kritik daran, dass hier Integritätsregeln und die Grundsätze verantwortungsvoller Führung verletzt wurden.

Ist der Diesel in den USA unverkäuflich?

Am Donnerstag erklärten der neue VW-Chef Matthias Müller (rechts) und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, die Lage sei weniger schlimm als gedacht.
Am Donnerstag erklärten der neue VW-Chef Matthias Müller (rechts) und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, die Lage sei weniger schlimm als gedacht.

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Sie bereiten gerade die wichtige Automesse in Detroit vor. Business as usual?

Das VW-Thema spielt – wie vorher die Rückrufaktionen von Toyota und GM – in den US-Medien eine große Rolle. Darauf muss VW in Detroit reagieren. Aber auch wir als Verband werden natürlich auf die Erschütterungen auf dem wichtigen US-Automarkt eingehen, aber uns trotz allem nicht vom Diesel verabschieden. Denn gerade für die oft langen Strecken in den USA kann der Antrieb attraktiv sein. Detroit wird aber auch wieder unsere Stärke im Premiumsegment zeigen: Audi, BMW, Mercedes, Porsche sind in den USA sehr erfolgreich unterwegs.

Ist der Diesel in den USA unverkäuflich?

Im Gegensatz zu Europa – wo jedes zweite neuverkaufte Auto ein Diesel ist – wird der US-Markt vom Benziner dominiert. Der Dieselmarktanteil liegt dort bei lediglich drei Prozent. Keine Frage, der Gegenwind ist stärker geworden. Es gibt eine große Anti-Diesel-Lobby, die sich jetzt bestätigt fühlt. Sie übersieht leider, dass der moderne Euro-6-Diesel niedrigste CO2-Werte und Schadstoffemissionen aufweist. Für den Handel, das Handwerk, für Firmenflotten ist der Diesel der mit Abstand ökonomischste Antrieb.

Ohne höhere Rabatte werden die Diesel-Verkäufe einbrechen – auch in Europa.

Bislang sieht es nicht danach aus. Der Diesel ist beliebt: Jeder zweite Neuwagen in Europa ist ein Diesel. In Deutschland ist der Anteil an den Neuzulassungen im November sogar gestiegen. Zugegeben, das sind noch Momentaufnahmen. Je schneller die Unklarheiten bei VW beseitigt werden, desto geringer werden die Auswirkungen auf den Markt sein.

Experten fordern einen Paradigmenwechsel der Hersteller. Der Diesel werde an Bedeutung verlieren, bei Kleinwagen sogar verschwinden. Sehen Sie das auch so?

Der Diesel ist zusammen mit dem Benziner die Brücke in eine Zeit, in der wir vor allem alternative, nicht-fossile Energieträger nutzen werden. Beide Antriebe haben noch Effizienzpotenziale, die es zu heben gilt. Der moderne Diesel verbraucht rund 20 Prozent weniger als ein vergleichbarer Benziner. Deswegen ist er für die Erreichung der CO2-Klima-Ziele der EU unerlässlich. Aber das langfristige Ziel sind Null-Emissions-Fahrzeuge, also Elektroautos, die – so hoffen wir – im kommenden Jahrzehnt kostengünstiger und effizienter werden und sich am Markt durchsetzen. Der Diesel ist bis auf weiteres enorm wichtig – aber er ist nicht das Ende des automobilen Alphabets.

Viele sehen Chancen für die Elektromobilität – vorausgesetzt der Staat hilft nach. Subventionen für Konzerne, die gerade mit illegalen Tricks Schlagzeilen machen?

Ich rate zunächst vom Plural ab. Es geht um ein Unternehmen, das einen groben Fehler gemacht hat und nun die Konsequenzen zieht. Wenn wir der Elektromobilität die Gasse bahnen wollen, müssen wir auch schauen, dass die hervorragenden Produkte – 29 deutsche Serien- Modelle werden Anfang 2016 angeboten – am Markt angenommen werden.

Ohne den Staat geht es nicht?

Die Industrie tut alles, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen. Wir verdienen in den kommenden Jahren keinen Euro daran. In Ländern, die staatliche Starthilfe geben, steigen die Zulassungszahlen. In den Niederlanden, in Norwegen, in Großbritannien, in den USA, in China. Nur in Deutschland kommt der Markt nicht in Schwung. Wir plädieren nicht für Dauerhilfen, sondern für einen auf wenige Jahre begrenzten Startimpuls.

Die Kanzlerin hat versprochen, dass darüber noch 2015 entschieden wird – zum Beispiel über Sonderabschreibungen für Unternehmen. Rechnen Sie noch damit?

Die Kanzlerin und viele in der Koalition treiben das Thema voran. Ich hoffe, dass daraus die entsprechenden Entscheidungen erwachsen – spätestens Anfang kommenden Jahres. Vorschläge dazu liegen seit langem auf dem Tisch. Sie müssen jetzt endlich umgesetzt werden.

Auch direkte Kaufprämien für private Käufer, wie sie der Bundesrat fordert?

Mindestens ein Instrument sollte eingesetzt werden: Sonderabschreibung, Absetzungsmöglichkeiten bei der privaten Einkommensteuer oder andere monetäre Anreize. Ohne einen solchen Impuls kommen wir nicht auf eine Million E-Autos auf deutschen Straßen im Jahr 2020.

Hätten Sie die Politik früher in die Pflicht nehmen müssen?

Wir sind seit der Gründung der NPE, also der Nationalen Plattform aus Politik, Wissenschaft, Gewerkschaften und Unternehmen, mit allen Beteiligten im engen Dialog. Die Politik hat in den vergangenen fünf Jahren viel in Forschung und Entwicklung investiert, rund eine Milliarde Euro. Gleichzeitig hat die Industrie etwa 17 Milliarden Euro eingesetzt. Es ist jetzt an der Zeit, dass auch über die passenden Rahmenbedingungen entschieden wird.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

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