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Im Weihnachtsgeschäft machen sich Verbraucher die Tüten gern besonders voll. Dabei können sich viele das Geldausgeben gar nicht leisten.

© dpa

Umgang mit Geld: Verbraucher haben Nachhilfe nötig

Die Werbung lockt Verbraucher zum Geldausgeben. Doch allein in Berlin sind mehr als 370.000 Menschen überschuldet. Die Wissenslücken beim Thema Geld sind groß – vor allem bei Jugendlichen.

Als die Stiftung Warentest vor ein paar Monaten die Höhe der Dispozinsen bei den Banken untersuchte, war die Aufregung groß. Viele Banken haben die Gebühren, die man zahlt, wenn man sein Konto innerhalb eines bestimmten Rahmens überzieht, in den vergangenen Jahren immer weiter erhöht. Das sei Abzocke, klagten die Verbraucherschützer. Schließlich sei der Leitzins – also der Satz, zu dem sich die Bank selbst refinanzieren kann – in derselben Zeit gesunken. Die Banken wiederum behaupten, sie müssten deshalb so hohe Zinsen berechnen, weil das Risiko, dass ein Dispokredit ausfalle, so hoch sei.

Eine andere Frage tauchte in der Debatte nur am Rande auf: Wer zwingt denn den Kunden dazu, seinen Dispokredit in Anspruch zu nehmen? Wer will, kann in den Vertragsbedingungen nachlesen, dass er für jeden Euro, mit dem sein Konto im Minus steht, durchschnittlich 13 Cent Zinsen zahlen muss. Ein langfristiger Kredit wäre günstiger.

„Die meisten Leute machen sich gar keine Gedanken darüber, was ein Dispo kostet“, sagt Susanne Wilkening. Sie ist Schuldnerberaterin bei der Arbeiterwohlfahrt in Friedrichshain-Kreuzberg und trifft täglich Menschen, die ihr Konto hoffnungslos überzogen haben. Und nicht nur das. Sie haben Verträge unterschrieben, für die Wohnung, für das Handy, für das Fitnessstudio. Sie haben Möbel, Fernseher oder Autos auf Raten gekauft, solange, bis ihre Verpflichtungen höher waren als ihr Einkommen. Manche kommen mit zwei Plastiktüten voll ungeöffneter Rechnungen zur Beratung.

Nach den jüngsten Berechnungen von Creditreform sind 372 800 Menschen in Berlin überschuldet. Dazu zählt, wer so hohe Schulden hat, dass er seinen Zahlungsverpflichtungen auch in absehbarer Zeit nicht nachkommen kann. Viele dieser Menschen sind erst durch ein unvorhergesehenes Ereignis in die Verschuldung gerutscht. Sie sind arbeitslos geworden oder sie haben sich getrennt und müssen auf einmal zwei Wohnungen finanzieren. In genauso vielen Fällen aber ist die Ursache viel einfacher: Die Menschen geben dauerhaft mehr aus, als sie einnehmen. „Diese Leute haben nie gelernt, mit Geld umzugehen“, sagt Wilkening.

In gewisser Weise hat die Beraterin dafür Verständnis. „Diese Gesellschaft ist doch auf Konsum aufgebaut.“ Schätzungen zufolge geben die Unternehmen in diesem Land 30 Milliarden Euro im Jahr für Werbung aus. „Die Werbung appelliert an das Belohnungszentrum im Gehirn, genau so wie Drogen“, erklärt Wilkening. Jeder Mensch werde im Durchschnitt täglich mit 120 Werbebotschaften konfrontiert. „Das heißt, ich muss jeden Tag 120 Mal Nein sagen. Und das fühlt sich an wie eine Kränkung.“ Gut beobachten könne man das bei kleinen Kindern, die brüllen, wenn sie an der Supermarktkasse keine Süßigkeiten bekommen. Viele Erwachsene würden sich im Prinzip noch immer so verhalten.

Und die Wirtschaft macht es ihnen leicht. Zum Einkaufen reicht ein Klick im Internet. Und wer es sich nicht leisten kann, bekommt überall Kredit. Wilkening hat einen Aktenordner voll mit Werbung gesammelt, die Menschen einlädt, Schulden zu machen. „Jetzt beim Komfortkredit 500 Euro Zinsen sparen!“, lockt die Hypo-Vereinsbank. Die Volks- und Raiffeisenbanken schicken ihren Kunden einen „Auszahlungschein“, auf dem 10 000 Euro eingetragen sind, die man sich mit dem „Easy Credit“ leihen soll. „Lassen Sie Ihre Wünsche jetzt ganz einfach wahr werden“, steht darunter. Und bei C&A heißt es: „Machen Sie sich die Taschen richtig voll! Gratiseinkauf bis zu 250 Euro beim Abschluss eines C&A- Money-Produktes.“ „Ich finde das unmöglich“, sagt Wilkening. Ihrer Ansicht nach müssten die Banken viel besser prüfen, ob die Kunden, denen sie Kredit geben, sich das auch leisten können.

Verbieten könne man die Kreditwerbung freilich nicht. Stattdessen müsse man die Konsumkompetenz der Menschen stärken, am besten in der Schule. Zusammen mit anderen Experten hat sie ein Unterrichtsmodul namens „Moneycare“ entwickelt. Im ersten Teil geht es um den Umgang mit Werbung. Die Schüler sollen lernen, wie Werbung funktioniert und sich kritisch mit ihrem eigenen Konsumverhalten auseinandersetzen. „Brauche ich das wirklich?“, „Was macht mich glücklich?“, sollen sie sich fragen. In den anderen Teilen geht es um Vertragsrecht, um Bankprodukte und Kredite, sowie um nachhaltige Haushaltsplanung. Dazu gehören Basisfragen wie: Was kostet eigentlich Strom? Das wüssten viele Jugendliche nicht, sagt Wilkening, genauso wenig wie die Tatsache, dass man eine Wohnung nach dem Auszug renovieren müsse oder dass ein Vertrag mit einem Fitnessstudio oft zwei Jahre lang läuft – auch dann, wenn man schon nach einem Monat nicht mehr hingeht.

Die mangelhafte Kompetenz von Jugendlichen in Alltagsfragen hat längst auch die Politik auf den Plan gerufen. Bei einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Verbraucherministeriums unter Schülern der zehnten Jahrgangsstufe gaben 20 Prozent der Befragten an, ein Girokonto sei dazu da, „um angemessene Zinsen auf Ersparnisse zu erhalten“. Fast jeder zehnte Befragte wusste mit dem Begriff überhaupt nichts anzufangen oder glaubte, man brauche kein Girokonto. Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann hat in der Studie „Jugend, Vorsorge, Finanzen – Herausforderung oder Überforderung?“ herausgefunden, dass die meisten Jugendlichen zwar sehr wohl wissen, dass sie selbst für ihre Rente vorsorgen müssen, dass ihnen Modelle wie die Riester-Förderung aber viel zu kompliziert seien.

Gemeinsam mit den Verbraucherzentralen hat das Verbraucherministerium in diesem Jahr die „Bildungsinitiative Verbraucherkompetenz" ins Leben gerufen. Hier wird diskutiert, wie man Verbraucherthemen in den Schulunterricht integrieren kann. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) fordert das schon lange. „Die Anforderungen an den Verbraucher werden immer höher“, sagt Elke Salzmann vom vzbv. Die Menschen müssen sich um Aufgaben kümmern, die früher der Staat übernommen hat, zum Beispiel die private Altersvorsorge. Auch bei Handy- und Festnetzverträgen müssen die Menschen immer mehr Entscheidungen treffen und Zusammenhänge verstehen. Ganz zu schweigen von den vielen Produkten und Dienstleistungen, die im Internet angeboten werden und neues Grundwissen erfordern, etwa: „Wann ist ein Vertrag gültig und wie lang sind die Rückgabefristen?“

In Schleswig-Holstein gibt es bereits ein eigenes Unterrichtsfach für Verbraucherthemen, in den meisten Bundesländern kommen diese Fragen nur zur Sprache, wenn einzelne Lehrer sich dafür interessieren. „Grundsätzlich sind die Kultusminister dafür, diesen Themen mehr Raum zu geben. Aber wenn man sich die Lehrpläne anschaut, werden sie zu wenig berücksichtigt", sagt Salzmann. Der Hauptgrund sei, dass der Unterricht schon jetzt mit Stoff überfrachtet sei und die Lehrer überfordert mit neuen Themen wie Medienkompetenz oder Initiativen gegen Drogen oder Gewalt. Auch Susanne Wilkening beklagt, dass ihr Unterrichtsmodul, obwohl mit EU-Steuergeldern unterstützt, von den Schulen kaum nachgefragt wird. Dabei ist sie sicher: „Wenn wir den Schülern nicht beibringen, mit Geld umzugehen, kriegen wir die Verschuldung nie in den Griff.“

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