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Mal eben für die Nachbarn ein Paket annehmen? Das kann nach hinten losgehen.

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Verbraucherrecht und Onlinehandel: Wenn man Ware bekommt, die man nicht bestellt hat

Unverlangt eingesandt: In Zeiten des Onlinehandels landen Warensendungen immer öfter bei Menschen, die sie nicht bestellt haben. Welche Rechte und Pflichten Verbraucher haben, die irrtümlich beliefert wurden.

Von Maris Hubschmid

Man bekommt ein Paket, das nicht für einen bestimmt ist – in einem der bekanntesten deutschen Kinderbücher ist das ein großer Glücksfall: Sonst wäre der kleine Jim Knopf statt auf Lummerland tatsächlich in Kummerland gelandet, und seine wunderbare Freundschaft mit Lukas, dem Lokomotivführer, hätte nie begonnen.

In der Realität sind Irrtümer wie dieser für den Empfänger meist weniger erfreulich (siehe Beispiele auf den Seiten 2 bis 4). Durchschnittlich fünf Millionen Pakete werden in Deutschland pro Tag verschickt, schätzt der Bundesverband Onlinehandel (BVOH) – da kann schon mal der eine oder andere Adressaufkleber danebengehen. Das ist ärgerlich für alle Beteiligten: Der Besteller wartet vergeblich auf seine Ware, und der Empfänger darf die Überraschung nicht einfach behalten.

HERAUSGABE IST PFLICHT

Zwar heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch sinngemäß: Erhält ein Verbraucher von einem Unternehmen Ware, die er nicht bestellt hat, werden Ansprüche gegen ihn dadurch nicht begründet. Aber Achtung: „Das gilt nicht, wenn für den Empfänger ersichtlich ist, dass die Warensendung an ihn irrtümlich erfolgte“, sagt Frithjof Jönsson, Rechtsexperte der Verbraucherzentrale Berlin. Eindeutig ist die Lage dann, wenn der Sendung ein Lieferschein beiliegt, auf der ein anderer Adressat genannt wird. Zudem geben Art und Wert des Gutes in der Regel Aufschluss darüber, ob es sich um ein Werbegeschenk handelt oder nicht. Ist es kein Geschenk, muss der Empfänger zwar nicht zahlen, ist aber verpflichtet, die Ware auf Aufforderung des Unternehmens herauszugeben und aufzubewahren – je nach Wert theoretisch bis zu 30 Jahre. Nach allgemeiner Auffassung trifft ihn zudem die Pflicht, den Versender zu benachrichtigen.

KEINER MUSS SELBER SCHLEPPEN

Zur Herausgabe verpflichtet zu sein, heißt jedoch nicht, dass man die Ware aktiv zurückschicken muss. „Der Rücktransport ist ein Geschäft des Unternehmens“, sagt Rechtsexperte Jönsson. Der Belieferte kann das Unternehmen also auffordern, die Ware abzuholen. Verbraucherschützer raten, dem Versender eine angemessene Frist zur Abholung der Ware zu setzen und anzukündigen, dass die Dinge nach Ablauf dieser Frist entsorgt werden. Ob der Besitzer sie dann tatsächlich wegwirft, behält, aufisst oder weiterverschenkt, spielt keine Rolle. Wer das Paket trotzdem zur Post trägt, weil er es loswerden will, hat Anspruch auf „Aufwendungsersatz“ – also wenigstens die Erstattung der Rücksendekosten.

Den eigentlich gemeinten, eventuell auf dem Lieferschein genannten Empfänger muss der unfreiwillige Besitzer nicht kontaktieren. Das sollte er auch besser nicht tun, um die Abläufe nicht zu verkomplizieren, rät die Verbraucherzentrale.

WER HAFTET

Und wenn die Kinder die fremde Ware vom Tisch fegen oder mit dem Bobbycar kaputtfahren? Unter Umständen kann der falsche Empfänger dann sogar haftbar gemacht werden, falls die Beschädigung als vorsätzlich oder grob fahrlässig einzustufen ist. Anspruch auf eine Dankeschönleistung hat er, wenn er sich vorbildlich um die Klärung des Sachverhalts und den sicheren Verbleib der Ware kümmert, umgekehrt nicht. Beim BVOH heißt es dazu jedoch: „Jeder professionelle Händler geht kulant mit Fehlläufern um.“

Manchmal wird daraus dann auch im wahren Leben eine schöne Geschichte – wie für den britischen Studenten, der vor gut einem Jahr Waren im Wert von 4500 Euro vom Versandhändler Amazon geschickt bekam. Darunter ein Fernseher, eine Spielekonsole und mehrere Tabletcomputer, die ins Retourenzentrum gehen sollten. Auf mehrfache Nachfrage erhielt der 22-Jährige die Auskunft: Er solle die Geräte doch behalten.

Wenn der Sherry an die falsche Adresse geht

Mal eben für die Nachbarn ein Paket annehmen? Das kann nach hinten losgehen.
Mal eben für die Nachbarn ein Paket annehmen? Das kann nach hinten losgehen.

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Erst denke ich, der DHL-Mann irrt sich. Es ist Heiligabend, und der Fahrer bringt nicht nur ein Paket des Weinversenders Wein&Vinos, sondern gleich zwei. Obwohl ich nur eine Lieferung bestellt habe. Aber tatsächlich: Mein Name steht auf dem Etikett, für den DHL-Lieferanten ist die Sache damit erledigt. Für mich aber nicht. Denn natürlich ist das Paket nicht für mich, sondern für einen Kunden in Rostock. Einen Sherry-Liebhaber, wie es scheint. Denn in dem großen Paket stecken davon gleich elf Flaschen, neben drei Flaschen Weißweins. Armer Mann. Den Sherry zu Heiligabend kann er leider vergessen. Oder?

Ich rufe bei Wein&Vinos an, aber Heiligabend arbeitet niemand im Online-Shop. Also schicke ich eine Mail, weise auf den Irrtum hin und bitte um Abholung. Wein&Vinos reagiert nach den Feiertagen: Sie könnten mir eine Paketmarke schicken, damit ich die Lieferung selber auf den Weg bringe, sie könnten das Paket abholen lassen, oder ich könnte die Ware behalten. Für attraktive 70 Euro statt der regulären 95 Euro. Das klingt gut, aber was soll ich mit elf Flaschen Sherry? Ein Auto habe ich auch nicht, also wähle ich Variante zwei und warte am Folgesamstag den ganzen Tag auf DHL – vergeblich.

Ich werde ungehalten, schreibe erneut an Wein&Vinos. Frage, warum sie nicht einfach einen ihrer Boten schicken. Immerhin kommt die Firma aus Berlin. Ich biete an, am Folgemittwoch auf den Boten zu warten. Offensichtlich genervt, bietet mir Wein&Vinos an, die Ware unentgeltlich zu behalten. Ein schöner Zug, denke ich, und nehme an. Dennoch steht am Mittwoch die Botin vor der Tür, um die Kiste abzuholen. Offensichtlich ein Irrtum. Am Ende geht sie ohne. Ich habe jetzt sehr viel Sherry. Und ich muss sagen, er schmeckt nicht schlecht. Heike Jahberg

Wenn die falsche Lampe geliefert wird

Mal eben für die Nachbarn ein Paket annehmen? Das kann nach hinten losgehen.
Mal eben für die Nachbarn ein Paket annehmen? Das kann nach hinten losgehen.

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Was ist das für ein Koloss in unserem Flur? Mein Freund hat ein riesiges Paket für mich angenommen. Drin sind eine ausladende schwarze Deckenleuchte, die ich noch nie gesehen habe, und Berge von Füllmaterial. Auch bei dem Absender, Home24, habe ich nichts bestellt. Ich rufe den Händler an, komme aber nicht durch und schicke dem Kundenservice eine Mail: Auf dem Lieferschein im Paket steht eine Adressatin in Karlsruhe. Ich bitte, das sperrige Ding bei mir abzuholen. Die automatische Antwort: „Wir werden Ihr Anliegen schnellstmöglich bearbeiten und melden uns innerhalb der nächsten 72 Stunden bei Ihnen.“ Eine Woche vergeht.

Ich selber warte derweil auf eine andere Sendung. Eine kleine, zierliche Nachttischlampe von Voelkner. Als ich dort nachhake, heißt es zu meiner Überraschung, das Paket sei zugestellt worden – am Tag, als ich das Deckenmonstrum bekam. Es muss also eine Verbindung geben. Und tatsächlich: Die Lampen sind vom gleichen Hersteller, der verschickt direkt. Er entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten, beharrt aber darauf, dass ich auch mein Lämpchen erhalten hätte. Voelkner genauso. Es bedarf neun weiterer E-Mails, ehe die kleine Lampe vom Hersteller „erneut verschickt“ wird. Im Gegenzug bekomme ich ein Retourenetikett, soll die falsche Lampe selber zur Post tragen. Ich weigere mich.

Wenn nur das Monstrum in meinem Flur nicht täglich größer würde! Eines Samstags gebe ich den Kampf entnervt auf. Ich zerstampfe die XXL-Luftpolsterfolie und entsorge den Karton, schleppe die Leuchte in ihrer geringfügig handlicheren Packung zur Post. Ich kann sie nicht mehr sehen.

Mit knapp drei Wochen Verspätung reagiert Home24 – und bietet an, das Paket durch DHL abholen zu lassen. Die Firma Voelkner, deren Kundin ich eigentlich bin, hält zu keinem Zeitpunkt Lösungsvorschläge parat. Steht aber laut E-Mailabspann „für weitere Fragen oder Wünsche gerne zur Verfügung“. Maris Hubschmid

Wenn Kriminelle in fremdem Namen bestellen

Fünf große Pakete unterschiedlicher Versandhändler, auf allen steht mein Nachname. Doch der Vorname ist falsch: Sie sind adressiert an Julie Franke*, und ich heiße Martin. Mein Mitbewohner weiß, dass ich eine Schwester habe, er hat sie angenommen. Tatsächlich heißt meine Schwester mit Zweitnamen Julia, hat aber nichts bestellt. Ich melde die merkwürdige Lieferung der Polizei. Die rät bloß: zurückschicken, und nächstes Mal gar nicht erst annehmen.

Um Mitternacht klingelt es an meiner Tür. Mehrere Männer sagen mir, ich hätte Pakete für ihre Freundin angenommen, sie wollten sie abholen. Ich sage, das müsse ein Irrtum sein, und rufe sofort die Polizei. Jetzt sind die Beamten neugierig, wollen wissen, was in den Paketen ist. Also öffnen wir sie: teure Parfüms und Sportschuhe. Der Fall bekommt eine Vorgangsnummer, ich informiere die Unternehmen, man dankt. Das alles passiert kurz vor Weihnachten. Über die Feiertage fahre ich weg, und die Pakete bleiben in meinem Zimmer zurück, geben mir ein mulmiges Gefühl.

Nach meiner Rückkehr flattern Rechnungen und Mahnungen an Julie Franke ins Haus. Bald melden sich Kreditforderanstalten und Inkasso-Firmen. Ich kontaktiere die Händler erneut, erkläre, dass mein Name Martin Franke ist und ich nichts bestellt habe. Wieder und wieder schildere ich meine Geschichte freundlichen Sachbearbeitern, aber niemand bietet mir Lösungen an.

Ein Polizist hatte geraten, ich solle die Pakete mit dem Hinweis „Empfänger unbekannt“ zur Post bringen. Doch weil sie am Schalter wollen, dass ich bezahle, nehme ich alles wieder mit. Das Zeug wegzuwerfen, traue ich mich auch nicht – also bewahre ich es auf. Inzwischen seit über einem Jahr. Die Inkasso-Briefe sind irgendwann ausgeblieben.

*Name geändert, Protokoll: mch. Laut Polizei ist das Benutzen fremder Namen für Onlinebestellungen eine bekannte Betrugsmasche.

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