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Eigentümerwechel. 2011 hat Edeka nach eigenen Angaben 75 Märkte an selbstständige Kaufleute übergeben, 45 davon an Existenzgründer.

© picture alliance / dpa

Verdi gegen Edeka: Wenn der Kaufmann regiert

Die Dienstleistungsgewerkschaft beklagt schlechtere Arbeitsbedingungen in Edeka-Geschäften, die von selbstständigen Händlern geführt werden.

Die Vorwürfe, die die Betriebsräte gegen Gerhard Handick erheben, wiegen schwer. Im November 2009 übernahm er eine Edeka-Filiale mit 91 Mitarbeitern in Korschenbroich am Niederrhein. Das Geschäft trug weiter den Schriftzug von Deutschlands größter Handelskette, Handick aber führte es fortan als selbstständiger Kaufmann. „Innerhalb kürzester Zeit“, so schreibt Verdi-Gewerkschafterin Sabine Busch, habe Handick die Arbeitsbedingungen verschlechtert und einen Betriebsrat durch Drohungen und Kündigungen verhindern wollen. Handick bestreitet diese Vorwürfe.

Die Gewerkschaft Verdi, die den Fall in ihrer neuen Broschüre „Schöne neue Handelswelt“ schildert, wirft den Handelsketten Edeka und Rewe vor, die Privatisierung von Geschäften gezielt zu nutzen, um Löhne zu drücken. Dadurch, dass die großen Ketten Filialen an Selbstständige auslagerten, sei es möglich, die mit den Unternehmen vereinbarten Tarifverträge zu unterlaufen und Arbeitnehmerrechte zu beschneiden, kritisiert die Gewerkschaft. Bei Edeka bestreiten solche Unternehmer mittlerweile knapp 80 Prozent des gesamten Filialnetzes.

Die betriebliche Interessenvertretung und Mitbestimmung sei „nahezu ausgeschaltet“, berichtet Verdi. Mittlerweile seien durch diese Betriebsform „rund 250 000 Beschäftigte ohne tariflichen Schutz und ohne den Schutz von Betriebsräten direkt oder indirekt von Dumpinglöhnen betroffen“.

Im Edeka-Markt in Korschenbroich, so schildert Gewerkschaftssekretärin Busch, soll durch die Privatisierung Aushilfen die Lohnfortzahlung und der bezahlte Urlaub verweigert worden sein. Zudem seien „Zuschläge gestrichen und Arbeitszeiten geändert“ worden. Den Betriebsrat habe man vor dem Arbeitsgericht durchgesetzt, schließlich hätten die Kollegen aber aufgegeben. Handick erklärt dagegen, alle Mitarbeiter würden nach Tarif bezahlt, ein Großteil übertariflich, es gebe Sonderzahlungen. Urlaub werde ebenfalls nach Tarif gewährt. Der Betriebsrat habe „auf massiven Druck der Belegschaft“ hin seine Arbeit eingestellt und sei „aus eigener Entscheidung“ zurückgetreten.

Auch das Unternehmen wehrt sich gegen den Vorwurf, durch Privatisierungen gezieltes Lohndumping zu betreiben. Wenn ein Kaufmann einen Markt übernehme, blieben „die tarifvertraglichen Rechte der Arbeitnehmer mindestens für ein Jahr bestehen“, erklärte Edeka in Hamburg. Die Regionalgesellschaft Hannover-Minden, zu der auch die Berliner Märkte gehören, habe sogar drei Jahre Bestandsschutz für Tarifverträge vereinbart. Allen Mitarbeitern im Handel sei es möglich, Betriebsräte zu gründen.

Fakt ist, dass die Privatisierungen im Handel zunehmen.

Als Grund für Privatisierungen – also die Übergabe von Märkten an selbstständige Kaufleute – führt das Unternehmen seinen „genossenschaftlichen Auftrag“ an. Die von selbständigen Kaufleuten geführten Märkte bildeten mit knapp 6300 der gut 7700 Läden das „Kerngeschäft“ der Kette. In Berlin arbeiten 125 der 145 Edeka-Märkte in Eigenregie. Zudem habe sich gezeigt, „dass Lebensmittelmärkte in der Hand von selbstständigen Kaufleuten sich wirtschaftlich langfristig deutlich besser entwickeln als von Filialleitern geführte Regiemärkte“, teilte Edeka mit.

Fakt ist, dass die Privatisierungen im Handel zunehmen. Bei Edeka, der Nummer eins im deutschen Markt, wurden seit 2003 rund 1100 Filialen privatisiert, so dass heute 140 000 der 306 000 Beschäftigten nicht mehr direkt bei dem Unternehmen angestellt sind. Bei der Kölner Handelskette Rewe sind es nach Angaben des Unternehmens rund 33 000 der rund 66 000 Mitarbeiter.

Weil diese Kaufleute selbstständig arbeiteten, argumentiert Edeka, habe das Unternehmen keinen Einfluss auf Löhne oder Arbeitsbedingungen in den privatisierten Geschäften, dies liege „in der Verantwortung der Kaufleute“. Beim Wettbewerber Rewe, der ebenfalls in der Kritik von Verdi steht, sieht man das offenbar anders. Die Kette, die als Grund für die Privatisierungen wie Edeka auf den „genossenschaftlichen Grundgedanken“ des Unternehmens verweist, hat mit ihren selbstständigen Kaufleuten eine freiwillige Selbstverpflichtung vereinbart, die Mindestlöhne und Standards festlegt. So sei für geringfügig Beschäftigte eine Lohnuntergrenze von „mindestens sieben Euro“ bei regulär Beschäftigten von 7,50 Euro vorgesehen. Zudem hätten alle Beschäftigten Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

„Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es reicht nicht aus“, kritisiert Hubert Thiermeyer, Fachbereichsleiter für den Handel bei Verdi in Bayern. „Wenn es um so etwas Existenzielles wie die Lebens- und Arbeitsbedingungen geht, müssen klare Verträge her, keine freiwilligen Selbstverpflichtungen.“ Zudem seien die von Rewe vereinbarten Lohnuntergrenzen für die meisten kaum von Nutzen, weil sie deutlich unter Tarif lägen. „Ein Stundenlohn von sieben Euro ist ein Dumpinglohn.“

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