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Wirtschaft: Verdi-Mitarbeiter am falschen Ort

Weil das Personal zu teuer ist, muss die Dienstleistungsgewerkschaft ihr Vermögen angreifen – und radikal sparen

Berlin (alf). Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi muss in diesem Jahr auf ihr Vermögen zurückgreifen, um ihre knapp 5000 Mitarbeiter bezahlen zu können. Alles in allem klafft im Budget eine Lücke von rund 59 Millionen Euro. In ähnlicher Größenordnung fehlten zwar auch 2002 Mittel, damals konnte das Loch aber mit außerordentlichen Erträgen, insbesondere aus Immobilienverkäufen ausgeglichen werden, wie VerdiFinanzvorstand Gerd Herzberg dem Tagesspiegel erläuterte.

Die mit 2,7 Millionen Mitglieder größte deutsche Gewerkschaft steckt in der Klemme. Auf der einen Seite sinken auf Grund des Mitgliederschwunds die Einnahmen – 2002 zahlten die Mitglieder 435 Millionen Euro an Beiträgen, rund 20 Millionen weniger als im Jahr zuvor; im laufenden Jahr werden rund 57 Prozent der Beitragseinnahmen für das eigene Personal ausgegeben. Auf der anderen Seite gibt es keine Möglichkeit, das Personal abzubauen oder bei Löhnen und Gehältern zu sparen. Das wird durch Vereinbarungen, die im Rahmen des Fusionsprozesses der fünf Gewerkschaften zu Verdi getroffen wurden, ausgeschlossen. Da heißt es, „jeder Beschäftigte hat die Möglichkeit, bis zum 31.12.2007 seine Vergütungsregelungen beizubehalten“.

Damit steht die Gewerkschaft Verdi vor einem zutiefst kapitalistischen Problem: Ausgerechnet die Arbeitnehmerorganisation, die sich in den vergangenen Monaten als Wortführerin gegen Sozialabbau profiliert hat, muss sehen, wie sie Einnahmen und Ausgaben übereinander bekommt: Sie muss sparen. Auch zu Lasten der Beschäftigten.

150 Beschäftigte ohne Arbeit

„Uns sind die Hände gebunden“, sagt Finanzvorstand Herzberg. Besonders ärgerlich: „Die Leute sitzen am falschen Ort.“ So arbeiteten noch immer rund 150 Verdi-Beschäftigte in Stuttgart, wo ehemals die ÖTV ihren Sitz hatte. Nun gibt es die ÖTV seit zwei Jahren nicht mehr und die Verdi-Zentrale steht in Berlin. Was also machen die 150 in Stuttgart? „Zum Teil gar nichts“, sagt Herzberg. Zum Teil würden Arbeiten, wie etwa die Abrechnung von Reisekosten, von Berlin nach Stuttgart geschickt und dort erledigt. Ferner wurde in Stuttgart ein Call Center mit derzeit 28 Mitarbeitern eingerichtet. Größere Personalüberhänge gibt es außerdem noch in Frankfurt (Main), dem früheren Sitz der Postgewerkschaft und in Ostdeutschland, wo Herzberg zufolge rund 120 Leute mehr oder weniger die Daumen drehen.

„Es ist eine Sauerei, so etwas zu behaupten“, hält Verdi-Gesamtbetriebsratschef Bernd Bajohr dagegen. Dass in Stuttgart 150 Kollegen faktisch ohne Arbeit seien, „bestreite ich mit Nicht-Wissen“. Und im Übrigen, habe derjenige „kein Ahnung, der behauptet, die Leute seien nicht mobil“. Schließlich könne man etwa 400 Personen, die in Stuttgart für die ÖTV und die IG Medien tätig waren, „nicht von jetzt auf gleich in der Republik verteilen“.

Fakt ist, dass Verdi im vergangenen Jahr 434 Mitarbeiter eingestellt hat und 407 Abgänge verbuchte. Insbesondere in der Berliner Hauptverwaltung habe man einstellen müssen, weil woanders kein Personal abgezogen werden konnte. Allein in Berlin wurden rund 150 Mitarbeiter befristet eingestellt. Wenn deren Verträge auslaufen, will Herzberg sie durch „arbeitslose“ Verdi-Beschäftigte aus anderen Regionen ersetzen. Wenn nötig per Zwangsversetzung. Dazu bedarf es allerdings der Zustimmung des Betriebsrats. „Wir übernehmen die Mitverantwortung nur bei einer korrekten Sozialauswahl und wenn den Betroffenen mehrere Angebote vorgelegt werden“, sagt Betriebratschef Bajohr.

Heute überschreiten die Personalkosten die Budgetvorgabe um 59 Millionen Euro. Bis Ende 2005 will Finanzvorstand Herzberg die Summe einsparen – von 2003 an in jedem Jahr knapp 20 Millionen Euro. Dazu soll es rund 80 Zwangsversetzungen geben, weitere Mitarbeiter will Herzberg mit Abfindungen – dafür stehen in diesem Jahr 15 Millionen Euro bereit – zum Ausscheiden bewegen. Die Zahl der Mitarbeiter soll in der Hauptverwaltung von knapp 700 unter 600 gedrückt werden. Schließlich wird das Mahnwesen auf Vordermann gebracht, um ausstehende Beiträge einzutreiben. Da diese Maßnahmen nicht ausreichen, hat der Vorstand eine „Steuerungsgruppe“ unter Leitung von Verdi-Chef Frank Bsirske eingerichtet, die Mitte Mai ein Sparkonzept dem Gewerkschaftsrat vorlegen will. Massive Einschnitte – unlängst sorgten Berichte über die Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld und eine Vier-Tage-Woche ohne Lohnausgleich für Unruhe unter den Beschäftigten – sind bis 2007 allerdings ausgeschlossen.

Bsirske erklärt die Finanzmisere auch mit den schwachen Synergieeffekten, die die Fusion der fünf Gewerkschaften bislang gebracht hat. Noch gebe es viele Doppelarbeiten und Ressourcenverschwendung. Noch kann sich das die Organisation leisten: Das Vermögen beträgt knapp 1,7 Milliarden Euro.

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