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Stoßstange an Stoßstange: Deutschlands Straßen sind von Autos verstopft.

© dapd

Verkehrspolitik: Die lästige Lawine

Immer mehr Autos verstopfen Deutschlands Straßen. Verkehrsminister Peter Ramsauer hat den CSU-Parteitag von einer Maut überzeugt - aber Kanzlerin Merkel fürchtet den Zorn der Wähler, und die FDP spottet über die Pläne.

Jetzt hat er es fast geschafft. Peter Ramsauer will den Autofahrern in Deutschland zusätzliches Geld abknöpfen, und seine CSU-Leute machen mit. Auf dem Parteitag in Nürnberg heimste der Bundesverkehrsminister eine breite Mehrheit unter den rund 1000 Delegierten für die Idee einer Pkw-Maut ein. „Alles spricht dafür“, findet er. Damit macht sich erstmals in der Bundesrepublik eine Regierungspartei für das extrem umstrittene Thema stark. Für die Verkehrspolitik könnte das eine Zeitenwende bedeuten – wenn denn Ramsauer tatsächlich zu seiner Idee stehen würde.

„Es ist ein Gebot der Fairness, dass sich ausländische Autofahrer künftig an den bei uns entstehenden Kosten beteiligen“, heißt es im CSU-Parteitagsbeschluss. „Es klafft eine Finanzierungslücke von über zwei Milliarden Euro“. Statt mehr als acht Milliarden Euro stünden für den Straßenbau nicht einmal sechs Milliarden zur Verfügung. Franzosen, Holländer und Österreicher sollen gefälligst die Geldnot der Deutschen lindern.

Die Einführung der Pkw-Vignette müsse aber mit einer Kompensation für deutsche Autofahrer verbunden sein, sagte Ramsauer auf dem Parteitag. In welcher Form dies geschehen soll, ließ er offen. Ramsauer sagte, er habe mehrere Modelle zur Kompensation in der Schublade.

Das Timing der Christsozialen ist gut gewählt: In mittlerweile sieben Bundesländern laufen seit diesem Wochenende die Herbstferien, auf den Autobahnen rollen die Urlauber in den Stau – mal wieder. Mit vielen „Zwangspausen“ sei auf der Fahrt in den Urlaub zu rechnen, warnt der Automobilklub ADAC. Kein Wunder: Rund 500 Großbaustellen bremsen den Verkehrsfluss. Sie erstrecken sich über insgesamt 1800 Kilometer, das entspricht der Entfernung von Berlin nach Barcelona. In diesem Jahr buddeln die Arbeiter besonders intensiv – noch immer sind nicht alle Frostschäden der vergangenen Winter behoben.

Mit den Folgen sind die Autofahrer bestens vertraut. Durchschnittlich 60 Stunden steht jeder Deutsche pro Jahr im Stau. Reihte man alle Autoschlangen des vergangenen Jahres zwischen Flensburg und Freilassing aneinander, ergäbe das den zehnfachen Erdumfang. Den längsten Stau sah Ende Juli die A 7 in Schleswig-Holstein – auf 80 Kilometern ging fast nichts mehr. Der Ausbau vieler Autobahnen auf drei oder sogar vier Spuren reicht noch immer nicht.

Der stetig dichter werdende Verkehr zehrt nicht nur an den Nerven der Autofahrer. Er kostet auch viel Geld. Besonders das Lastwagen-Aufkommen bringt das Straßennetz an die Belastungsgrenze. Beispielsweise die 38 700 Brücken für Fernstraßen über Täler und Flüsse. Sie sind in den vergangenen Jahren im Eiltempo marode geworden unter der Dauerlast der Brummis, die die Wirtschaft zu rollenden Warenlagern gemacht hat und die jede Schraube just in time in die Fabriken bringen.

Lesen Sie auf Seite 2, warum sich die Begeisterung von Kanzlerin Merkel in Grenzen hält.

Autos stauen sich in Berlin auf der Frankfurter Allee in Richtung Innenstadt.
Autos stauen sich in Berlin auf der Frankfurter Allee in Richtung Innenstadt.

© dpa

Den Schaden hat der Steuerzahler. Jedes siebte Bauwerk ist mittlerweile in einem schlechten Zustand, auf sieben Milliarden Euro schätzt das Verkehrsministerium allein die Sanierungskosten der Brücken. „Der Zustand der Verkehrswege verschlechtert sich zusehends“, mahnten dieser Tage die Verbände von Industrie und Verkehrswirtschaft den Minister.

Dabei ist der Verkehr eine Geldmaschine. Steuern und Abgaben bringen dem Staat laut ADAC pro Jahr 53 Milliarden Euro ein. In den vergangenen Jahren ist noch die Lkw-Maut hinzugekommen. Doch nur ein Drittel der Einnahmen fließt in die Infrastruktur, den Rest behält der Finanzminister für sich.

Angesichts dessen verfiel Ramsauer auf die Idee mit der Maut. Er näherte sich dem Thema in kleinen Schritten: In den ersten Monaten seiner Amtszeit wandte er sich gegen „Denkverbote“ für seine Beamten. Dann hieß es, er lasse „prüfen“, ob nicht die Nutzer zur Kasse zu bitten seien. Zudem gab er die Devise aus, dass das Geld nur noch für die Pflege alter Verkehrswege reiche und alle Neubauten auf Eis gelegt würden – ausgenommen das umstrittene Teilstück der A 100 in Berlin. Anfang vergangener Woche machte er dann Ernst und präsentierte den Autobesitzern die Maut samt Rechnung: 76,50 Euro soll jeder demnächst pro Jahr für eine Vignette berappen müssen. Die chronisch klammen Städte und Gemeinden witterten Morgenluft und forderten sogleich ihrerseits eine eigene Maut – als Eintrittsgebühr für die Kommunen.

Dabei weiß auch Ramsauer, dass im Koalitionsvertrag von einer Maut nirgends die Rede ist. Entsprechend hält sich die Begeisterung von Bundeskanzlerin Angela Merkel für das Projekt in Grenzen – schon wegen des breiten Widerstands in der Wählerschaft. „Ein K.o.-Schlag“ wäre die Maut für viele Menschen, giftete etwa der mächtige ADAC-Präsident Peter Meyer. Ein „schlechter Witz“ sei das Vorhaben, spottete die FDP.

Dabei ist Ramsauer gar nicht scharf auf die Maut – sie dient ihm vor allem als Drohkulisse. In den Gesprächen mit Koalitionskollegen sei sie nie ein ernsthaftes Thema gewesen, wundern sich Parlamentarier. „Das ist reine Publicity – allerdings mit einem sehr hohen Kollateralschaden.“

Die Ministerialen sehen das anders. „Seit das Thema diskutiert wird, ist den entscheidenden Leuten die Unterfinanzierung des Verkehrsetats viel bewusster“, frohlockt einer. Die Unionsleute sind denn auch nicht mehr abgeneigt, im Haushalt 2012 eine Milliarde mehr für den Verkehr zu spendieren.

Doch in trockenen Tüchern ist dies längst nicht: Die FDP will in den Bundesfinanzen unbedingt Spielräume für eine Steuersenkung 2013 bewahren. Zustimmen wolle sie nur, wenn die kommende Steuerschätzung genügend Einnahmen verspreche, heißt es in der Bundestagsfraktion. Das letzte Wort wird im Koalitionsausschuss Ende Oktober gesprochen. Ramsauers Etat zu erhöhen, dürfte auch CSU-Chef Horst Seehofer entgegenkommen – er hat eine Reihe von Themen auf dem Zettel, die er in der Koalition bis 2013 lieber durchbringen würde als die Maut.

Ob eine Milliarde mehr allerdings tatsächlich die Stauprobleme lindert, ist fraglich. Denn das Geld fließt nicht automatisch dorthin, wo es am dringendsten gebraucht wird. Im deutschen Föderalismus-Proporz will jedes Land ein Stück vom Kuchen. Seit Jahrzehnten sorgt dieses Prinzip dafür, dass die Republik zugepflastert wird mit Autobahnabschnitten und Ortsumgehungen von oft zweifelhaftem Nutzen, bei deren Eröffnung vor allem die örtlichen Bundestags-Abgeordneten bella figura machen.

Allein hier ließe sich eine Menge Geld sparen, findet Michael Müller-Görnert, Verkehrsexperte des ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschland (VCD). „Wenn der Verkehrsminister nur noch die wirklich notwendigen Projekte umsetzen würde, hätte er keine Finanzsorgen“, glaubt er. „Womöglich wäre am Ende noch Geld übrig.“

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