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Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ein Losverkäufer sitzt in Athen vor einer geschlossenen Bank.

© Reuters

Verrechnet: IWF zweifelt an Sparkurs für Krisenländer

Sparen schadet der Konjunktur viel stärker als vermutet, sagt der Internationale Währungsfonds (IWF) – und stellt damit eigene Auflagen für Krisenländer infrage.

Griechenlands Ministerpräsident wollte es mit dem Jammern nicht übertreiben, als er kürzlich die deutsche Kanzlerin traf. „Ich sehe das Glas halb voll“, sagte Antonis Samaras. „Enorm groß“ seien die Anstrengungen, die er und seine Landsleute in Sachen Reformen unternähmen, ließ er Angela Merkel wissen. „Wir liefern, Europa hilft“, befand er tapfer.

Wenn er sich da mal nicht täuscht. Europa verlangt von Athen seit 2010 eisernes Sparen und heftige Steuererhöhungen. Doch Erfolge wollen sich nicht einstellen – die tiefe Rezession geht bereits ins sechste Jahr. Schuld daran ist womöglich nicht allein die schlappe griechische Wirtschaft, sondern auch die Volkswirte, die dem Land die Rosskur aufzwingen. Etwa die Fachleute des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dessen Chefökonom Olivier Blanchard hat nun eingeräumt, dass der Fonds bislang klar unterschätzt hat, wie negativ die Sparprogramme auf den Wohlstand eines Landes wirken – und dass sie die Probleme womöglich noch verschärfen.

In einem Forschungspapier rechnet Blanchard aus, welchen Effekt Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen auf das Wirtschaftswachstum eines entwickelten Landes in der Wirtschaftskrise haben. Dabei geht es um den sogenannten fiskalischen Multiplikator. Er geht auf den britischen Ökonomen John Maynard Keynes zurück und beschreibt den Zusammenhang zwischen beiden Größen: Wie stark sinkt das Wachstum kurzfristig, wenn der Staat der Wirtschaft einen Euro entzieht? Für den Erfolg der Etatsanierung ist diese Größe entscheidend: Liegt der Multiplikator bei null, drückt jeder gesparte Euro das Defizit direkt um einen Euro. Je höher er aber liegt, desto stärker wird die Wirtschaftsleistung gebremst – desto teurer ist also die Konsolidierung.

Bislang waren Blanchard und seine Leute davon ausgegangen, dass dieser Multiplikator etwa für Europa bei 0,5 liegt. Eine Ausgabenkürzung um einen Euro würde also das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 50 Cent senken. Nach neuesten Berechnungen kommt der IWF aber nun auf Werte zwischen 0,8 und 1,3. Das bedeutet, dass Sparen in der Krise die Wirtschaft deutlich schwächt.

Europas Krisenländer können ein Lied davon singen. In Griechenland schrumpft das BIP, ein Viertel der Bürger war im vergangenen Jahr ohne Arbeit, und bald könnte es ein Drittel sein. Athen muss immer neue Sparprogramme auflegen, um die Forderungen der Troika aus IWF, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission zu erfüllen. Auch Portugal leidet unter dem Kürzungszwang – die Arbeitslosenquote, die 2010 noch bei zwölf Prozent lag, dürfte in diesem Jahr auf rund 16 Prozent steigen. In der gesamten Euro-Zone waren im November 18,8 Millionen Menschen ohne Job – ein neuer Rekord. Schon warnt die EU-Kommission vor einem Auseinanderfallen der Union in einerseits immer reichere und andererseits bettelarme Staaten.

IWF-Experte Blanchard sieht nicht als Einziger die Probleme der harten Sparpolitik. Andere Ökonomen schätzen den Multiplikator in Krisenzeiten sogar bei einem Wert von 2,5. Durch die gleichzeitige Haushaltssanierung in nahezu allen EU-Ländern erhöht sich die Wirkung noch, warnen etwa Jonathan Portes und Dawn Holland vom Londoner National Institute of Economic and Social Research. „Perverse und schädigende Effekte“ habe die Sparpolitik, urteilen die beiden in einer Studie. Sie habe die Schulden eher in die Höhe getrieben als sie zu senken.

Steht nun ein radikaler Kurswechsel in Sachen Schuldenabbau an? So will Blanchard sein Papier nicht verstanden wissen. Je nach Land und Zeit sei der Multiplikator unterschiedlich – in der Krise ist der Wert natürlich höher als im Aufschwung. „Die Ergebnisse bedeuten nicht, dass Konsolidierung nicht wünschenswert ist.“ Doch Spar-Kritiker sehen sich bestätigt. „Die Studie erschüttert vermeintliche Wahrheiten einiger Ökonomen“, sagt Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. „Beim Sparen ist weniger mehr. Es wäre besser, den Schuldenländern mehr Zeit für die Anpassung zu geben.“ Dann würden die Defizite schrumpfen, statt zu wachsen, und die Regierungen müssten der Rezession nicht hinterhersparen.

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