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Wirtschaft: Viele Rezepte für einen Kraftakt

Regierung und Ökonomen streiten über das richtige Mittel für den Aufschwung, dabei hängt er an vielen Faktoren

Berlin - Sechshundert Seiten eng mit Formeln und Zahlenkolonnen bedrucktes Papier, drei Kilo schwer – so sieht das Geheimnis für mehr Wachstum in Deutschland aus. Finden jedenfalls die fünf Professoren vom Rat der Wirtschaftsweisen. Kommenden Mittwoch wollen sie der Regierung verraten, wie der Aufschwung zu retten ist. Kein Ding der Unmöglichkeit, glauben sie. „Einen Trauerrand wird das Gutachten nicht tragen“, heißt es.

Ob die reformmüde Koalition den Wirtschaftsweisen folgt, ist fraglich. Zwar schafft Deutschland nur 1,7 Prozent Wachstum in diesem Jahr – während die Weltwirtschaft boomt wie lange nicht. Schon in den drei Jahren zuvor lag das Plus nur hart an der Nulllinie. Das schlägt sich bei der Beschäftigung nieder. Ohne kräftiges Wachstum gibt es keine neuen Jobs, alte fallen wegen Rationalisierungen weg. Die Arbeitslosenzahl wird im Januar auf über fünf Millionen steigen. Täglich kündigen Konzerne an, Fabriken lieber im billigeren Ausland zu bauen. Doch die Debatte um mehr Dynamik wird immer hektischer und konfuser. Helfen längere Arbeitszeiten oder geringere Löhne, niedrigere Steuern oder höhere Staatsausgaben, weniger Feiertage oder mehr Flexibilität auf dem Jobmarkt?

Im Lehrbuch funktioniert Wachstum so: Ein Unternehmer plant eine neue Fabrik oder den Kauf einer neuen Maschine, weil er die Chance sieht, dass es Käufer für sein Produkt gibt. Bevor er tatsächlich investiert, rechnet er aus, ob er für sein eingesetztes Geld mit einer Rendite rechnen kann, die das Risiko, das er eingeht, rechtfertigt. Jetzt kommt der Staat ins Spiel – mit den Steuern, die er verlangt, der Infrastruktur, die er dafür bietet, und Auflagen wie Umweltvorschriften.

Dann braucht der Unternehmer gut ausgebildete Mitarbeiter, die mit den Maschinen umgehen können, aber nicht zu viel Lohn verlangen, so dass die Rendite gefährdet wäre. Nachdenken muss er auch über Energie- und Rohstoffkosten. Geht das Kalkül auf, verdient der Unternehmer Geld, stellt Leute ein, die vom Lohn einkaufen gehen und Steuern zahlen. Passiert das ein paar tausend- oder hunderttausendmal, ist der Aufschwung da.

Nur klappt es nicht immer wie im Lehrbuch. In Deutschland war der Aufschwung da, aber es kam etwas dazwischen. „Der Ölpreisschock hemmt die Dynamik“, sagt Jörg Hinze, Konjunkturexperte beim Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA). Hinzu komme der Euro, der derzeit so teuer ist wie nie seit seiner Einführung. „In diesem Jahr kommen wir nur noch auf 1,7 Prozent Wachstum, für 2005 schließe ich ein Absinken auf nur noch ein Prozent nicht aus.“ Vor gut drei Wochen hatte das HWWA noch im Herbstgutachten Wachstumsraten von 1,8 Prozent (2004) und 1,5 Prozent (2005) vorhergesagt. Die Wirtschaftsweisen dürften zu ähnlichen Ergebnissen kommen.

Aber auch ohne die Probleme Öl und Euro könnte Deutschland von früheren Wachstumsraten nur träumen. Wegen der Kosten für die Einheit von 1,3 Billionen Euro, sagen die einen. Wegen stagnierender Löhne und der Zurückhaltung der Bürger beim Geldausgeben, sagen die anderen. Wegen der Globalisierung und der seit Jahren schwachen Investitionen der Firmen, sagen die nächsten. Weil die Anlagen so veraltet seien, könne die Wirtschaft gar nicht stärker als zwei Prozent zulegen. „Seit 25 Jahren machen die Wirtschaftspolitiker grobe Fehler. Deshalb sind die Steuern heute so hoch und laufen die Arbeitskosten aus dem Ruder“, nennt HWWA-Fachmann Hinze das Hauptproblem. Das aber ist Gift für die Beschäftigung und die Nachfrage: Geschätzte sechs Millionen Menschen ohne Arbeit fallen als kaufkräftige Konsumenten aus. „Der Arbeitsmarkt spielt eine zentrale Rolle“, sagt Roland Döhrn, Konjunkturchef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen. Zudem hätten Infrastruktur, Schulen und Universitäten unter dem Sparzwang der vergangenen Jahre gelitten – zum Schaden der Konjunktur. „Beim Wachstum hängt alles mit allem zusammen“, sagt Döhrn. „Innerhalb von ein oder zwei Jahren kann man das Problem nicht lösen.“

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