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Wirtschaft: Volkswagen in der Klemme

Wieder einmal streiten Vorstand, IG Metall und Betriebsrat um Kosten, neue Modelle und effiziente Strukturen

Berlin - Und schon wieder greifen sie an. Vor gut 15 Jahren orakelte der damalige VW-Chef Ferdinand Piëch, dass bald „Asiaten auf unseren Stühlen sitzen“, wenn man nicht entschlossen in den Kampf ziehe. Die Geschichte wiederholt sich. Toyota und Hyundai beginnen gerade ihre „Offensive auf die Festung Europa“, meint der Münchner Automarktforscher Helmut Becker, der soeben ein Buch über das „Phänomen Toyota“ veröffentlicht hat. Nun, da die amerikanische Autoindustrie, wo General Motors und Ford auf ihrem Heimatmarkt von den Asiaten besiegt wurden und am Boden liegen, seien die Europäer dran. An erster Stelle natürlich der größter Hersteller in der alten Welt: Volkswagen.

Richtig kampftüchtig ist der Wolfsburger Konzern mit seinen Marken VW, Audi, Skoda, Seat, Bentley und Lamborghini nicht. Und das liegt vor allem an der Kernmarke VW. Zwar wurden in den ersten fünf Monaten des Jahres in aller Welt 1,4 Millionen VW verkauft und damit gut 15 Prozent mehr als vor einem Jahr. Dumm nur, dass das nichts bringt. „Derzeit legen wir bei jedem Golf drauf“, sagt VW-Markenchef Wolfgang Bernhard.

Es gibt mehrere Gründe: Die Produktivität ist schlecht; für die Herstellung eines Golf werden 50 Stunden gebraucht, Toyota montiert ein vergleichbares Modell in 25 Stunden. Die Auslastung der Fabriken ist erbärmlich; in Wolfsburg zum Beispiel könnten 3000 Golf am Tag gebaut werden, es sind aber nur 2000. Entsprechend unrentabel ist der Kapitaleinsatz. Schließlich die Arbeitskosten. Bernhard zufolge kostet eine Stunde in den westdeutschen VW-Werken, wo nach Haustarif bezahlt wird, 55 Euro; bei anderen deutschen Herstellern, die nach Flächentarif zahlen, seien es 40 Euro und in Osteuropa höchstens zehn Euro. Eine Konsequenz aus der Sicht des Vorstands: Zurück zur 35-Stunden-Woche. Stufenweise und ohne Lohnausgleich.

Vor 15 Jahren war die Vier-Tage-Woche mit 28,8 Wochenstunden eingeführt worden, um die Entlassung von bis zu 30 000 VWlern zu vermeiden. Ein Fehler, meint Marktforscher Helmut Becker. „VW hat alles Mögliche getan, um den Personalüberhang zu kaschieren. Man hat in einer Scheinwelt gelebt“, sagt Becker, der früher als Chefvolkswirt bei BMW gearbeitet hat. Nun müsse „auf Teufel komm raus“ die Produktivität erhöht und der Personalüberhang abgebaut werden. Der VW-Vorstand selbst will 20 000 der gut 100 000 westdeutschen Arbeitsplätze streichen: 14 000 per Altersteilzeit und die übrigen per freiwilligem Ausscheiden mit Abfindung. Wer bis Ende September ausscheidet, bekommt einen Bonus von 54 000 Euro und kann, je nach Betriebszugehörigkeit und Gehalt, bis zu 250 000 Euro mitnehmen. Gewerkschafter befürchten, dass sogar 30 000 Arbeitsplätze in Gefahr sind.

Betriebsratschef Bernd Osterloh hat nichts gegen längere Arbeitszeiten: „Wenn der Kunde einen Auftrag erteilt, arbeiten wir, so lange es sein muss.“ Aber ohne Bezahlung? Undenkbar für die IG Metall und den Betriebsrat. Überhaupt müsse der Vorstand zuerst deutlich machen, was mit dem überflüssigen Personal geschehen soll, wenn plötzlich länger gearbeitet wird. Die 35-Stunden- Woche „ist möglich, wenn alle Mitarbeiter Beschäftigung haben und behalten“, heißt es in einem internen Papier der Arbeitnehmervertretung, das dem Tagesspiegel vorliegt. Aber wo soll die Beschäftigung herkommen bei Überkapazitäten von rund 20 Prozent? Dabei könnte zum Beispiel jeder Golf nach Betriebsratsberechnungen 1200 Euro günstiger hergestellt werden, wenn die Fabriken Volllast fahren würden. Da das nicht in Sicht ist, werden zusätzlich Produkte für die unterbeschäftigten deutschen Werke gefordert. Doch die gibt es wiederum nur, wenn sie wettbewerbsfähig sind. Wie zum Beispiel der neue kleine Geländewagen, der vom kommenden Jahr an unter den günstigeren Kostenbedingungen der Auto 5000 GmbH in Wolfsburg gebaut wird.

Die Arbeitnehmervertreter bekennen sich zur Notwendigkeit der „Ergebnisverbesserung“, damit mit Hilfe des Gewinns „Investitionen zur Beschäftigung und Standortsicherung zur Verfügung“ gestellt werden können. Nicht nur dafür. „Die Autos sind gut“, sagt Becker, und „VW kann sich gegen Toyota und Hyundai wehren. Dafür müssen sie aber Geld verdienen.“ Die Arbeitskosten sind nur ein Ansatz, denn der Anteil der Personalkosten im Autobau liegt bei elf Prozent, rechnet Betriebsrat Osterloh vor.

Auch deshalb werden harte Schnitte wie Massenentlassungen oder Fabrikschließungen ausgeschlossen. Das sei „nicht Bestandteil der Volkswagenkultur“, heißt es im Grundlagenpapier der Arbeitnehmervertreter. Auf dem „Volkswagen-Weg“ bleibe niemand liegen. Es gehe vielmehr um Beschäftigungsalternativen, effizientere Organisation und höhere Produktivität durch standardisierte Teile. Im Ergebnis steigt dann die Wettbewerbsfähigkeit und der Absatz. Nur über höhere Produktivität, da sind sich alle einig, kann der Angriff der Japaner und Koreaner pariert werden. Das ständige Verbessern der Abläufe haben die Hersteller beider Länder perfektioniert. „Und übermorgen“, sagt Becker, „kommen die Chinesen.“

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