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Wirtschaft: "Vollbremsung für deutsche Arbeitsplätze"

BERND GOTTSCHALK (56) ist seit 1997 Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Der VDA vertritt die Interessen der deutschen Autohersteller und ihrer Zulieferer, aber auch die der Hersteller von Anhängern, Aufbauten und Containern.

BERND GOTTSCHALK (56) ist seit 1997 Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Der VDA vertritt die Interessen der deutschen Autohersteller und ihrer Zulieferer, aber auch die der Hersteller von Anhängern, Aufbauten und Containern. Ferner veranstaltet der Verband mit der IAA die größte Autoaustellung der Welt. Gottschalks Karriere begann 1972 bei Daimler-Benz, wo er drei Vorstandschefs als Assistent diente. Nachdem Gottschalk die brasilianische Lkw-Tochter geführt hatte, wurde er 1992 zum Vorstandsmitglied für Nutzfahrzeuge bestellt. Nach internen Querelen schied Gottschalk 1996 bei Daimler-Benz aus. Mit dem VDA-Präsidenten sprach Alfons Frese. Herr Gottschalk, fürchten Sie um Ihren Job? Warum sollte ich? Weil sich VW-Chef Piëch seit neuestem als oberster Autolobbyist betätigt. Sie meinen die EU-Altautoverordnung. Gemeinsamkeit macht stark. Der Präsident des europäischen Autoverbandes, Dr. Piëch, und der Präsident des VDA und Vorstandsvorsitzende der anderen Unternehmen haben in effizienter Zusammenarbeit die Politik darauf aufmerksam gemacht, um was es im Kern geht: Daß die deutschen Unternehmen mehr als andere von der Richtlinie betroffen wären. Die kostenlose Rücknahme des gesamten Altautobestandes hätte die Unternehmen stark belastet und Konsequenzen für die Arbeitsplätze gehabt. Die enge Beziehung zwischen Piëch und Schröder dürfte schließlich den Ausschlag für das Bremsmanöver gegeben haben. Der Kanzler hat sich nicht für ein Unternehmen in die Bresche geworfen, sondern er hat die Bedeutung für die Arbeitsplätze gesehen. Insofern war das eine Vollbremsung für die deutschen Arbeitsplätze. Das hat weniger mit Beziehungen zu tun als mit der Einsicht in die Notwendigkeit, eine gegen Deutschland gerichtete Entscheidung in Brüssel zu verändern. Warum bremsen die Deutschen und nicht Franzosen oder Italiener, die ebenfalls stark betroffen wären? 46 Prozent des gesamten europäischen Fahrzeugbestandes stammen von deutschen Herstellern. Aber davon landen die meisten Autos auf osteuropäischen Gebrauchtwagen-Märkten. Ich mache eine andere Rechnung auf. Diese Richtlinie wird ja für Jahrzehnte verabschiedet. Und was passiert, wenn die EU-Osterweiterung kommt und Polen und Ungarn plötzlich in der EU sind? Ich gehe also davon aus, daß mittelfristig mehr Autos zurückgenommen werden müssen. Können Sie mit dem jetzigen Brüsseler Kompromiß leben? Zunächst einmal sträuben wir uns nicht gegen eine kostenlose Rücknahme von Autos und wir bekennen uns zur Produktverantwortung und umweltgerechten Entsorgung. Entscheidend ist dabei, daß die Unternehmen mit dem Inkrafttreten der Richtlinie auch entsprechende bilanzielle Vorkehrungen treffen können. Der jetzige Vorschlag mit dem Beginn 2001 statt 2003 für Neufahrzeuge ist in Ordnung, nicht jedoch 2006 mit der Rückwirkung für den Altbestand. Was stört Sie? Die Kostenauswirkung ist nach wie vor extrem hoch. Vor allem aber haben wir mit einem rückwirkenden Gesetz Probleme. Um die Entsorgungskosten auf den Kunden zu übertragen, müßten die Hersteller die Neuwagenpreise um rund 200 DM erhöhen. Können das die umweltbewußten Deutschen nicht zahlen? Das Umweltbewußtsein der Autofahrer ist tatsächlich sehr ausgeprägt. Die Preisbildung ist aber eine Frage, die im Wettbewerb entschieden wird. Und wir haben eine scharfe Konkurrenz, Preiserhöhungen werden immer schwieriger. Beschleunigen höhere Spritpreise die Einführung sparsamer Modelle? Es ist das erste Mal, daß wir eine Kaskade von Steuerhöhungen in fünf Schritten erleben. Da müssen wir unterscheiden zwischen denen, die die höheren Preise tragen können und denen, die das nicht leisten können. Dazu gehören viele Pendler, Hausfrauen, Rentner und Studenten. Und die letztgenannten Gruppen profitieren eben nicht von der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, wofür ja die höhere Mineralölsteuer vorgesehen ist. Deshalb wird es darauf ankommen, ob sich das Kaufklima insgesamt verschlechtert. Ein großes Stück der Mehrbelastung wollen wir aber den Kunden über den geringeren Verbrauch neuer Autos ersparen. Aber dazu hätte es dieser Steuererhöhung nicht bedurft. Aber höhere Spritpreise wirken doch als Anreiz, verbrauchsarme Autos zu entwickeln? Die Hersteller geben für moderne Antriebe, einschließlich der Brennstoffzelle, enorme Summen aus. Außerdem sind wir Selbstverpflichtungen eingegangen: Von 1990 bis zum Jahr 2005 wollen wir den Kraftstoffverbrauch nochmals um ein Viertel reduzieren; bei diesem Ziel bleiben wir. Aber grundsätzlich muß klar sein, daß wir nicht alle finanziellen Probleme, die wir in der Gesellschaft haben, über das Automobil lösen können. Sie übertreiben. Alles in allem haben wir einen Umfang von 50 Mrd. DM im Jahr, mit dem die Autonutzer andere Bereiche der Gesellschaft subventionieren. Nach der letzten Stufe der Mineralölsteuerhöhung wird der Autofahrer im Jahr 2003 sogar rund 100 Mrd. DM für staatliche Ausgaben zahlen. Und da ist die Mautgebühr für Lkw nicht eingerechnet. Die bevorstehende Autoschau IAA steht unter dem Motto "Auto: Treffpunkt Zukunft". Welche Zukunftsentwürfe können die Pkw-Fans erwarten? Die diesjährige IAA wird ein Schaufenster sein für umweltfreundliche Antriebe, gewissermaßen ein Marktplatz für neue Motorentechnologien. Ferner sehen wir eine Vielzahl neuer Fahrzeuge: Die Modelloffensive geht also weiter. Und schließlich wird die IAA ein Diskussionsforum sein über die weiteren Globalisierungsschritte. Stichwort Modellfeuerwerk: Der VW-Konzern beispielsweise will von 45 auf 60 Modelle erweitern - im Ergebnis werden dann von jedem Modell geringere Stückzahlen verkauft. Führt das nicht zum "Modell-Kanibalismus"? Knapp 50 Prozent aller Neuzulassungen entfallen auf Modelle, die jünger als drei Jahre sind. Das heißt, wir haben eine unglaubliche Produkterneuerung mit der Modelloffensive ausgelöst, insbesondere mit positiven Effekten für die Umwelt. Aufgrund von Produktionsänderungen - wir arbeiten mit Baugruppen und Plattformen - können jetzt auch kleinere Stückzahlen profitabel gefertigt werden. Der Wettbewerb in unserer reifen Industrie ist so hart geworden, daß alle großen Hersteller in jedem Segment tätig sein wollen. Dafür ist die Grundlage die Mehrmarken-Strategie: Mit vielen Konzernmarken die ganze Breite des Marktes abdecken. Der deutsche Ford-Chef sagt, "Größe heißt Überleben", Wer weltweit mithalten wolle, müsse mindestens fünf Mill. Autos im Jahr produzieren. Gibt es bald nur eine Handvoll selbständiger Hersteller? Größe ist kein Allheilmittel, und jede Unternehmensgröße hat ihre Chance. Unternehmen, die weniger als eine Mill. Autos im Jahr produzieren, haben es aber schwer, zum Beispiel bei Einkaufssynergien. Richtig gemacht profitieren übrigens beide: Die Hersteller zahlen weniger, die Zulieferer haben Kostensenkungen über größere Mengen. Aber es gilt auch, daß allen Synergien die wachsende Komplexität gegenübersteht. Demgegenüber behält der kleine Hersteller seine Schnelligkeit und Flexibilität und hat eine gute Überlebenschance. Abgesehen von der Mineralölsteuererhöhung können Sie über den Autokanzler und die Bundesregierung insgesamt nicht meckern. Beim Bundeskanzler, beim Wirtschafts- und beim Verkehrsminister stoßen wir auf großes Verständnis für die Anliegen unserer Industrie. Das hängt damit zusammen, daß es eine Schlüsselindustrie ist, an der jeder siebte Arbeitsplatz hängt. Jede vierte Steuermark kommt vom Automobil, und weil diese Industrie inzwischen einen Exportüberschuß erwirtschaftet, der über 100 Mrd. DM liegt. Anders als in Bonn wird es in Berlin viele Wirtschaftsverbände geben. Kann da der VDA fehlen? Nein. Wir haben vor wenigen Wochen eine Residenz in Dahlem erworben und unsere entsprechenden Häuser in Bonn und Bad Homburg verkauft. In Berlin werden wir Präsenz zeigen und alle wichtigen Sitzungen dort abhalten. Damit sind wir in einer Art präsent, wie es die Politik und unsere Mitglieder vom VDA erwarten. Kommt mit dem VDA auch die IAA zurück an ihren Ursprungsort Berlin? Bis 2001 sind wir mit der IAA-Pkw an Frankfurt gebunden. Danach ist der Wettbewerb wieder offen. Es gibt Voraussetzungen: Erstens das Gelände; in Berlin hat es da in den letzten Jahren wichtige Investitionen gegeben, die wir mit Interesse verfolgt haben. Zweitens müssen gute Verkehrsanbindungen und Parkmöglichkeiten gegeben sein. Vor allem aber wollen wir die Sicherheit haben, daß eine Million Besucher kommen.

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