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Wirtschaft: Volle Kraft voraus

Schiffe werden immer modernder. Im Simulationszentrum in Warnemünde lernen Kapitäne mit neuen Technologien umzugehen.

Das Schiff kommt auf uns zu. Langsam ist es auf Kollisionskurs. Eigentlich müsste es ausweichen – wir sind ein Containerschiff, riesig und voll beladen. Macht es bis jetzt aber nicht. „Wie im echten Leben“, sagt Thomas Böcker. Der Professor für Schiffsführung freut sich diebisch über die Echtheit der Simulation. Alles sieht aus wie auf einer Schiffsbrücke, bunte Knöpfe, Monitore, Karten. Es rauscht und vibriert. Auf der 180-Grad-Leinwand zieht der Hamburger Elbstrand vorbei, auf der anderen Seite sieht man schon den Containerhafen. „Wir können alles modellieren“, sagt Böcker. Das Thema heute: Kollisionsvermeidung.

Thomas Böcker ist der Kursleiter der maritimen Weiterbildung „Seefahrt“ in Warnemünde (Wings), dem Fernstudien- und Weiterbildungszentrum der Hochschule Wismar. Hier können Kapitäne verschiedene Szenarien auf See üben, Ingenieure im Maschinenraum die neueste Technik kennen lernen. 22 Weiterbildungs- und Auffrischungskurse werden angeboten, vom Umgang mit moderner Schiffsführungs- und Navigationstechnik sowie Schiffsmaschinenbetriebstechnik bis hin zu Teamführung und Krisenmanagement in Notsituationen.

Zwar ist von einer Krise der Schifffahrt die Rede, doch angesichts der Globalisierung ist die deutsche Handelsflotte in den letzten Jahren stark gewachsen. Viele neue Arbeitsplätze sind entstanden. Laut dem Verband Deutscher Reeder erfolgen 90 Prozent des weltweiten Warenaustausches per Schiff. „Immer größere Schiffe, technischer Fortschritt und das gestiegene Verkehrsaufkommen auf dem Wasser führen dazu, dass sich Berufserfahrene der Seefahrtsbranche permanent weiterbilden und ihr Wissen wieder auffrischen müssen“, sagt Thomas Böcker.

Sein Simulationszentrum ist weltweit das einzige, in dem der Ernstfall unter derartigen Realbedingungen nachgestellt werden kann. Das Besondere: Parallel zur Simulation des nautischen und technischen Schiffsbetriebs bezieht es auch die Kommunikation mit Verkehrszentralen an den Küsten in die Übungen mit ein.

Die Kursdauer liegt in der Regel zwischen einem und acht Tagen. Die einzelnen Kurse richten sich je nach Inhalt an verschiedene Berufsgruppen: Kapitäne, Leiter von Schiffsmaschinenanlagen, nautische und technische Offiziere, See- und Hafenlotsen sowie Schlepperkapitäne. Die meisten Seeleute arbeiten auf Containerschiffen und Tankern. Kreuzfahrt ist zwar ein wachsendes, aber immer noch kleines Segment.

„Alle deutschen Reeder legen großen Wert darauf, dass ihre Mitarbeiter auf dem neuesten technischen Stand sind und auch regelmäßig Notsituationen üben“, sagt Rona Jörgens vom Verband Deutscher Reeder in Hamburg. Die 34-jährige Kapitänin ist seit sechs Jahren an Land und zuständig für die Bereiche Ausbildung und Personal. Viele schicken ihre Nautiker und Techniker zum Beispiel nach Warnemünde, um bestimmte Ablaufe durchzuspielen. Das Kreuzfahrtschiff Aidamar, dass in diesem Frühjahr in Hamburg das erste Mal in See stechen wird, hat zum Beispiel seine Taufe hier simuliert. Neues Schiff, neue Crew – da ist es gut, schon mal Eventualitäten auf dem Trockenen geübt zu haben.

In einem der unteren Räume im Weiterbildungszentrum in Warnemünde sitzen derweil drei Männer und bringen sich in Sachen elektronischer Seekarten (Ecdis) auf den neuesten Stand. Sie sind von ihren Reedereien hergeschickt worden, eine Woche werden sie unterrichtet, auch im Simulator müssen sie üben. Der Kapitän Peter Richter arbeitet bei der Schleppreederei Fairplay, seit 20 Jahren ist er auf See. Auch seinen jungen Kollegen Matthias Panse hat die Reederei geschickt, er ist erster Offizier. Ralf Nowack steuert größere Kaliber, der Staffkapitän fährt Kreuzfahrtschiffe von Tui Cruise. „Als ich 1982 mein Befähigungszeugnis zum Kapitän erhalten habe, gab es Ecdis noch gar nicht“, sagt Nowack. Damals waren Seekarten auf Papier noch Standart, doch seit 2002 müssen Schiffe unter bestimmten Bedingungen keine analogen Karten mehr führen.

Und seit kurzem gibt es eine neue internationale Regelung: In wenigen Jahren müssen alle Nautiker ein Ecdis-Zertifikat vorzeigen können – sonst dürfen sie nicht auf See. Das Internationale Übereinkommen über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (STCW) regelt, welche Zertifikate jeder Kapitän oder technischer Offizier haben muss. So ist etwa das Befähigungszeugnis für Nautiker fünf Jahre gültig. Innerhalb dieser Zeit muss man mindestens ein Jahr Seefahrt nachweisen, sonst ist man das Zeugnis los und muss Auffrischungskurse machen.

Mit dem Befähigungszeugnis zum Kapitän darf man zwar jedes Schiff fahren – theoretisch. Aber für das befördern von Passagieren braucht man etwa ein Zertifikat über ein Sicherheitstraining. Oder für Containerschiffe ein Zeugnis über Ladungssicherung. Und wer die Bescheinigungen nicht dabei hat auf internationalen Gewässern, kann Probleme bekommen. Denn in den Häfen werden die Papiere der Seeleute kontrolliert. Auch wenn es in westeuropäischen Staaten eigentlich so geregelt ist, dass man das Zertifikat nicht dabei haben muss.

Nowack und die anderen beiden sind froh, dass sie in Warnemünde mit den verschiedenen Systemen elektronischer Karten auch im Simulator üben können. Es gibt verschiedene Hersteller, jeder hat seine eigene Technik und die Reedereien unterschiedliche Favoriten. Einen Fehler auf See können sie sich nicht erlauben. „Hier hat man immer drei oder mehr Leben“, sagt der Ecdis-Dozent.

Doch auf See haben Kapitäne die Verantwortung für das komplette Schiff, müssen die Sicherheit für die Crew und Passagiere an Bord gewährleisten. „Der Kapitän ist 24 Stunden im Dienst an Bord, er hat die alleinige Hoheit“, sagt Thomas Böcker. Er werde für alles verantwortlich gemacht. Umso wichtiger sei das Sicherheitsbewusstsein. Und auf den Containerschiffen, da kommt noch eine teure Fracht hinzu. Auch die Zeitpläne müssen eingehalten werden – Zeit ist Geld.

„Die Seeschifffahrt ist schneller geworden“, sagt Rona Jörgens. War man früher noch bis zu sechs Tage in einem Hafen, ist es huete eher ein Tag. Sehr technisch hätte sich der Beruf des Kapitäns zudem entwickelt und es gebe weniger Personal. Außerdem ist die Crew internationaler geworden, an Bord befinden sich etwa Polen, Deutsche, Italiener und Asiaten. Da ist soziale Kompetenz gefragt, damit alle reibungslos zusammen arbeiten.

„Teambildung ist unglaublich wichtig geworden“, sagt Rona Jörgens. Der Bedarf an Weiterbildung in diesem Bereich habe zugenommen. Zwar seien Nautiker meist sehr kommunikativ, aber die kulturellen Unterschiede bringen neue Herausforderungen. Zudem müsse sehr wenig Personal auf engem Raum das Schiff führen. Auch wenn da Romantik verloren gegangen ist, betont Rona Jörgens: „Trotzdem ist es noch ein sehr schöner Beruf, der Sonnenuntergang sieht auf See einfach toll und das Meer überall anders aus.“

Im Schiffsführungssimulator in Warnemünde ist unterdessen dichter Nebel auf der Leinwand zu sehen. Das 350 Meter lange Containerschiff muss sicher durch die schmale Elbe geführt werden. Verkehrsicherung und Schiffsführung müssen jetzt gut zusammenarbeiten. „Die Situation auf See ist unvorhersehbar, es gibt kein Rezept“, sagt Thomas Böcker. Dazu werden die Schiffe immer größer, ob Mehrzweckfrachter oder Kreuzfahrtriesen. Seit vor der italienischen Küste das Kreuzfahrtschiffs „Costa Concordia“ havariert ist, ist eine neue Regelung eingeführt werden: Sicherheitskurse müssen regelmäßig wiederholt werden. Theoretisch können alle Unfälle, über die es einen abgeschlossenen Seebericht gibt, in Warnemünde modelliert werden. Auch das Unglück der Titanic, aber das nur am Rande.

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