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Wirtschaft: Vom Boom in die Krise

Das Hausbesitzerland Großbritannien leidet

Von Markus Hesselmann

In Großbritannien hat sich die Immobilien- und Finanzkrise – „Housing Slump“ und „Credit Crunch“ – längst zur allgemeinen Wirtschafts- und Vertrauenskrise ausgeweitet. „Schwergewichte des Einzelhandels knicken ein unter der Last der Immobilienkrise“, schrieb die Zeitung „The Independent“ in der vergangenen Woche. Die Kaufhauskette John Lewis hatte für das erste Halbjahr 2008 einen Gewinneinbruch um mehr als ein Viertel gemeldet – es war der erste Rückgang in den vergangenen neun Jahren. Selbst die sonst so konsumfreudigen Briten haben das Vertrauen in ihre Wirtschaft verloren und geben weniger aus. Großbritannien rutscht in die Rezession. John Lewis rechnet mit mindestens 18 weiteren harten Monaten. Und dann auch noch das: „Kreditkrise könnte Fußballverband zum Verkauf von Anteilen am Wembley-Stadion zwingen“, titelte der „Guardian“. Sogar vor dem nationalen Sportheiligtum macht der „Credit Crunch“ nicht halt.

Das größte Problem aber liegt darin, dass Großbritannien als Land der Hausbesitzer von der globalen Kreditkrise besonders stark betroffen ist. Zur Miete zu wohnen gilt hier weithin als Not- oder Übergangslösung. Im vergangenen Jahrzehnt stiegen die Hauspreise auf der Insel um 180 Prozent. In den USA waren es 105 Prozent. Auf den britischen Boom folgt nun die Krise. Einen Preisverfall um bis zu 40 Prozent sagen Analysten bis 2010 voraus. Die Häuser der Briten verlieren rapide an Wert. Den meist wenig begüterten Erstkäufern hilft das nur wenig. Denn Kredite sind jetzt viel schwerer zu bekommen als in den fetten Jahren.

Gleichzeitig erhöhen steigende Energiepreise den Druck auf die privaten Haushalte. Viele Briten können ihre Rechnungen und Hypotheken nicht mehr bezahlen. Sie verlieren ihre Häuser. Die Wohlfahrtsorganisation Shelter rechnet mit 45 000 Häusern, die in diesem Jahr von ihren Eigentümern aufgegeben werden müssen. 2007 waren es 27 100, im Jahr zuvor 22 400. „Das Vereinigte Königreich ist heute stärker durch den Immobilienmarkt polarisiert als je zuvor seit viktorianischen Zeiten“, heißt es in einem Shelter-Bericht.

Bis zum Elend, das der Schriftsteller Charles Dickens in seinen Romanen beschrieb, wäre es noch ein weiter Weg. Doch die Unterschiede zwischen Arm und Reich werden auf der Britischen Insel immer größer. In den zehn Jahren der Regierungszeit des Labour-Politikers Tony Blair verdoppelte sich nach Angaben Shelters die Obdachlosigkeit auf der Insel. Vor allem in London trieben reiche Investoren aus aller Welt zur selben Zeit die Häuserpreise in astronomische Höhen. Markus Hesselmann, London

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