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Wirtschaft: Vom Kaffeegeschäft zur Coffee Bar

HAMBURG .Die deutschen Kaffeeröster haben ein geriatrisches Problem, und sie wissen es.

HAMBURG .Die deutschen Kaffeeröster haben ein geriatrisches Problem, und sie wissen es.Aus den agilen Studenten, die literweise Kaffee für 30 Pfennig je Tasse im Tchibo-Laden an der Ecke in sich hineinschütteten, sind behäbige Alt-68er geworden.Ob sie, wenn sie ihre Reproduktionsrate überhaupt erfüllt haben, ihre Neigung zum Sud aus den schwarzen Bohnen an ihre Nachkommen weitergegeben haben, ist nicht bekannt.Hinzu kommt: Vor dem unbedachten Griff zur Tasse steht die Warnung des Internisten.

Der traditionelle Kaffeemarkt in Deutschland schrumpft, und gerade junge Leute halten sich beim Griff zur Kaffeetasse zurück, konstatiert Tchibo-Manager Joachim Schütt emotionslos.Doch ist Rettung in Sicht, die Märkte in den USA und Großbritannien zeigen es.Ketten wie Starbucks, Seattle Coffee Comp.oder Richoux zelebrieren in "Coffee Shops" eine neue Kaffeekultur.Trendige Läden mit frischen Snacks und Kaffee-Spezialitäten ziehen neue und vor allem jüngere Verbraucherschichten an.

In Deutschland ist die Hamburger Gruppe World Coffee angetreten, die mittelfristig 170 Shops eröffnen will, und Kaffee-Spezialist Tchibo bläst seinerseits zum Angriff auf den Markt."Wir wollen davon wegkommen, Kaffee nur über den Preis zu verkaufen", betont Schütt.Getestet wurden in vier Pilot-Läden zwei Varianten.Die "Tchibo Coffee Bar" und die "Beans Brothers Coffee Band".Jetzt sind die Würfel gefallen.Tchibo wird in Deutschland vorerst nur mit der Tchibo Coffee Bar antreten.30 Standorte sind bis Ende diesen Jahres, 70 bis Ende 2000 und 110 bis Ende 2001 in kaufkraftstarken Ballungsgebieten, auf Flughäfen oder Bahnhöfen, in Dienstleistungs- und Bürogebieten oder in Kinocentern geplant.

Als klare Abgrenzung zu den bestehenden Filialen stützt sich die Coffee Bar auf drei Säulen.Zuallererst auf die vornehmlich auf Espresso-Basis angebotenen Kaffeespezialitäten.In den beiden Testshops in Düsseldorf und Berlin sind es bisher 13 Varianten, vom herkömmlichen Espresso und Café au Lait bis hin zu aromatisierten Kaffees mit Mandel-, Haselnuß- oder Karamelgeschmack.Ergänzt wird das Getränkeangebot um Schokolade, Malzkaffee und Säfte.

Um den handwerklichen Charakter der Herstellung zu betonen, wurden die Espressoautomaten durch Halbautomaten ersetzt.Das heißt, der Mann an der Theke muß Hand an den Kaffee anlegen.Dies hat auch die Arbeitszufriedenheit gesteigert, konstatiert Schütt.Besteht ein Gast tatsächlich auf einem ganz normalen Kaffee, dann wird der eben handgefiltert.Zweites Standbein sind die Snacks: dreieckige Sandwiches, italienisch angehauchte Baguetti, Croissants, süße Muffins oder Kuchen.Die vorgefertigte Rohware wird in den Shops gebacken und vor den Augen der Kunden frisch belegt.Damit steigt der Hamburger Kaffeefilialist endgültig in die Systemgastronomie ein.

Tchibo wäre nicht Tchibo, wenn als dritte Ertragssäule nicht der Verkauf von Kaffeebohnen genutzt würde.In diesem Angebot, das in den Coffee Bars ein knappes Drittel der Umsätze bringt, sieht Schütt einen Wettbewerbsvorteil Tchibos.Anders als in den Filialen stehen in der Coffee Bar (höherpreisige) Spezialitäten im Vordergrund.Das Non-Food-Geschäft, das in den Filialen für die Hälfte des Umsatzes sorgt, wird in der Coffee Bar klein gefahren.Hier soll es ein wechselndes Angebot von "kaffeeaffinen" Artikeln oder trendigen Designprodukten geben; aber dies nicht dauerhaft und ohne große Regale.

In die 40 bis 60 Quadratmeter großen Coffee Bars müssen nach Branchenschätzung zwischen 200 000 und 300 000 DM investiert werden, je nachdem ob Shop-in-Shop oder große Komplettlösung mit voller Angebotsbreite angestrebt wird.Dann bieten sie Platz für 35 Gäste in der Bar und zusätzlich noch einmal für 15 bis 30 Gäste an den drei bis fünf Stehtischen vor dem Laden.Um die behördlichen Auflagen zu umgehen, gibt es in den Coffee Bars keine Sitzplätze - dann müßten Toiletten gebaut werden -, sondern nur "Stehhilfen".Auch die Stehtische sind Sonderanfertigungen für die schwierigen deutschen Kunden.Da erfahrungsgemäß nur wenige Gäste zu Tischen gehen, auf denen bereits eine Tasse steht, wurde die Tischplatte wie eine Schiffsschraube segmentiert und um drei runde Flügel ergänzt.Nur so lassen sich sechs bis sieben Gäste pro Tisch unterbringen.Mit diesem Trick läßt sich die von Schütt prognostizierte Frequenz von 500 Gästen pro Bar und Tag erzielen.Betrieben werden die Bars in Eigenregie, Franchising ist nicht vorgesehen.

Die "Beans Brothers Coffee Band" hält Schütt weiter in der Schublade.Hier war der Verkauf von Bohnenkaffee nicht erfolgreich.Die Verbraucher akzeptierten die unter dem Namen Beans Brothers offerierte Ware nicht, die Marken Tchibo oder Eduscho ließen sich in diesen Shops aber ebensowenig vermarkten.Andererseits waren die Getränke und Food-Umsätze nicht höher als in den Coffee Bars.Wenn der Coffee-Bar-Markt weiter heruntergebrochen wird, beispielsweise durch Shops an Universitäten, kann sich Schütt den Einsatz der Beans Brothers vorstellen.

Doch auch die traditionellen Kunden verliert der Konzern nicht aus den Augen.Im wöchentlich wechselnden Non-Food-Programm steht die Spargelsaison vor der Tür, und Tchibo leistet mit dem Topf und dem Spargelschäler Küchenhilfe.Letzerer ist jetzt auch für Linkshänder geeignet.

LUTZ BEUKERT (HB)

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