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Wirtschaft: Von Hightech bis zur Flickschusterei

BRÜSSEL .Was hat der Geigenbauer im italienischen Cremona, der zusammen mit einem einzigen Gesellen dem legendären Stradivari nacheifert, mit der Wollwarenstrickerei im schottischen Glasgow gemeinsam?

BRÜSSEL .Was hat der Geigenbauer im italienischen Cremona, der zusammen mit einem einzigen Gesellen dem legendären Stradivari nacheifert, mit der Wollwarenstrickerei im schottischen Glasgow gemeinsam? Was das Restaurant am Fuße der Athener Akropolis, der kleine Flickschuster in Lissabon, der Käsehändler in der Normandie mit dem hochspezialisierten Maschinenbauunternehmen in Baden-Württemberg, das weltweit exportiert? Die Antwort lautet: So gut wie nichts - außer, daß alle diese Unternehmen sogenannte "KMUs" sind, kleine und mittlere Unternehmen, denen die Wirtschaftspolitik der europäischen Regierungen nach wie vor wenig Aufmerksamkeit schenkt.Zu unrecht.Denn diese Unternehmen bilden die Basis der europäischen Wirtschaft.

99 Prozent aller Unternehmen in der EU sind kleine oder mittlere Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern.Diese insgesamt 18,5 Mill.Betriebe beschäftigen zwei Drittel aller Arbeitskräfte und erzielen mehr als 60 Prozent des gesamten Umsatzes in der EU.Dennoch dominieren die Großunternehmen die europäische Wirtschaft - und Politik.Erst in den vergangen Jahren scheint man in Brüssel begriffen zu haben, wie wichtig gerade der Mittelstand für Beschäftigung, Wachstum und Stabilität der europäischen Wirtschaft ist.

In der Rezession 1990 bis 1993 zeigte sich, daß Großunternehmen viel empfindlicher auf Konjunkturschwankungen reagieren.Große und mittlere Unternehmen bauten damals massiv Stellen ab.Auch in den darauffolgenden Jahren setzten sie den Rationalisierungsprozeß fort.Dagegen blieb die Beschäftigungslage bei den kleinen Betrieben viel stabiler.In Zeiten des Konjunkturabschwungs, so kann man aus der Erfahrung folgern, sind die KMUs in der Lage, den Arbeitsplatzverlust in Großunternehmen auszugleichen.

Daß die kleinen Betrieben weniger in der Lage sind zu rationalisieren, hat allerdings Folgen.Die Rentabilität ist in sehr kleinen Unternehmen am niedrigsten, in Großbetrieben am höchsten.Die Arbeitsproduktivität - definiert als Wertschöpfung pro Beschäftigtem - ist um so besser je größer das Unternehmen ist.In sehr kleinen Unternehmen der EU beträgt die Wertschöpfung pro Beschäftigtem 30 000 Ecu, knapp 60 000 DM, in Großunternehmen dagegen fast das doppelte (mehr als 110 000 DM).Bei kleinen Betrieben ist normalerweise der Anteil der Arbeitskosten überdurchschnittlich hoch.Er beträgt 63 Prozent gegenüber nur 53 Prozent bei den Großbetrieben.Daß die Statistik den Anteil der Arbeitskosten bei den sehr kleinen Betrieben, die weniger als 10 Mitarbeiter beschäftigen, mit lediglich 38 Prozent angibt, liegt daran, daß in dieser Kategorie viele Betriebe nur aus dem Unternehmer selbst bestehen und die Familienangehörigen, die oft mithelfen, auf keiner Gehaltsliste stehen.

Am häufigsten kommen diese Kleinstbetriebe in den strukturschwachen Ländern der EU vor.In Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und Irland hat ein Betrieb durchschnittlich drei bis vier Beschäftigte.In den nördlichen Industrieländern sind es acht oder mehr.Doch selbst wenn man die Großunternehmen in die Rechnung einbezieht, kommt man auf einen EU-Durchschnitt von sechs Beschäftigten pro Betrieb.Mit anderen Worten: Der europäische Normalbetrieb gehört zur Kategorie der "sehr kleinen Unternehmen".

Obwohl der EU-Binnenmarkt für KMUs in der Regel weit weniger wichtig ist, exportieren die produzierenden KMUs doch immerhin über 20 Prozent ihrer Waren auf den europäischen Markt.Da zudem die Zwischenprodukte, zum Beispiel die Zulieferungen für die Automobilindustrie, oft aus mittelständischen Betrieben kommen, sind auch kleine und mittlere Betriebe vielfach den Entwicklungen auf dem EU-Binnenmarkt und den Exportmärkten ausgesetzt.Das gilt ganz besonders für KMUs, die sich in Marktnischen eingerichtet haben - zum Beispiel hochspezialisierte Produkte oder Dienstleistungen im Umweltschutz.

Spitzentechnologie, Forschung und Entwicklung dürfe keineswegs nur den Großen überlassen bleiben, meint auch Guy Crauser, der in der EU-Kommission für die KMUs zuständig ist.Gerade weil die kleinen und mittleren Unternehmen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit eine so wichtige Rolle spielen, will er sie ermutigen, sich künftig mehr als bisher an den vielfältigen EU-Programmen zu beteiligen.Die Euro-Info-Zentren, die in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Handelskammern in allen EU-Mitgliedstaaten eingerichtet wurden, sind ein erster Schritt dazu.In Brüssel vertritt die UEAPME, die "Europäische Union des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe" die Interessen des Mittelstands.

"Die kleinen und mittleren Betriebe wissen oft gar nicht, was für Chancen sie haben", meint der Crauser."Es stehen ihnen hier nicht nur Riesensummen zur Verfügung, sondern auch wichtiges marktnahes Know-how".Er will den kleinen Unternehmen mit Rat und Tat vor allem bei drei Problemen helfen: Bei der Übergabe der Betriebe an die nächste Generation, bei der Umstellung auf den Euro und bei der schwierigen, risikoreichen Gründungsphase von neuen Unternehmen.Wenn nur jedes zweite KMU einen einzigen neuen Mitarbeiter einstellen würde, so rechnet er vor, dann wäre der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in Europa schon gewonnen.

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