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Wirtschaft: "Von Investitions-Stillstand kann keine Rede sein"

Brandenburgs Wirtschaftsminister Dreher verhandelt über neue Industrieansiedlungen für drei Mrd.DM / Kaum Abwerbung aus Berlin TAGESSPIEGEL: Herr Dreher, das Wachstum der ostdeutschen und damit auch der brandenburgischen Wirtschaft hinkt seit etwa zwei Jahren hinter dem westdeutschen her.

Brandenburgs Wirtschaftsminister Dreher verhandelt über neue Industrieansiedlungen für drei Mrd.DM / Kaum Abwerbung aus Berlin TAGESSPIEGEL: Herr Dreher, das Wachstum der ostdeutschen und damit auch der brandenburgischen Wirtschaft hinkt seit etwa zwei Jahren hinter dem westdeutschen her.Der Osten fällt wieder zurück.Wie kann dieser Trend umgekehrt werden? DREHER: Der Schlüssel zur Belebung der ostdeutschen Wirtschaft ist die Reindustrialisierung.Wir haben in den neuen Ländern eine Produktionslücke in Höhe von 100 bis 150 Mrd.DM, die schrittweise vermindert werden muß.Da wir auf lange Sicht damit rechnen müssen, daß die Ostförderung reduziert oder ganz eingestellt wird, müssen wir alles dafür tun, eine selbsttragende Wirtschaftsentwicklung zu bekommen. TAGESSPIEGEL: Was haben Sie in Brandenburg bisher erreicht? DREHER: Brandenburg ist besonders stark in den Bereichen Energietechnik, Verkehrstechnik, Biotechnologie und Medienwirtschaft.Um nur ein Beispiel zu nennen: Brandenburg liefert etwa die Hälfte des ostdeutschen Stroms.Für rund 15 000 Menschen konnte die Beschäftigung in der Lausitzer Braunkohle dauerhaft gesichert werden.Gleichzeitig fördern wir die erneuerbaren Energien, deren Anteil am Energieverbrauch von zur Zeit einem auf fünf Prozent erhöht werden soll.Im neuen Solarzentrum in Frankfurt/Oder sollen Solarzellen entwickelt werden, die zu wettbewerbsfähigen Kosten Strom produzieren. TAGESSPIEGEL: Wie sieht es in anderen Bereichen aus? DREHER: Im Sektor Biotechnologie tummeln sich inzwischen rund 50 Firmen aus Brandenburg.Das Medienzentrum Babelsberg zählt heute 3000 Beschäftigte, rund 1000 mehr als zu DDR-Zeiten.Daß auf der Computermesse Cebit in Hannover 58 Brandenburger Unternehmen vertreten sind, zeigt, daß es hier ein kleines, aber solides Fundament in den Zukunftstechnologien gibt.Allein im vergangenen Jahr hat die Industrie in Brandenburg einen Umsatzzuwachs von 15 Prozent erreicht.Die Exporte sind um 35 Prozent gestiegen und liegen bei über fünf Mrd.DM.Es hat sogar die Industriebeschäftigung zugenommen, und zwar um 5,5 Prozent.Das sind über 5000 zukunftsträchtige neue Arbeitsplätze. TAGESSPIEGEL: Wird das so weitergehen? DREHER: Ich denke, dieser außerordentlich expansive Trend wird sich fortsetzen.Und zwar deshalb, weil jetzt die Förder- und Stabilisierungspolitik der vergangenen Jahre zu wirken beginnt.Die Erhaltung der industriellen Kerne ist weitgehend abgeschlossen.Wir produzieren heute die gleiche Menge wie zu DDR-Zeiten, haben aber nur ein Drittel der damaligen Belegschaften.Beispiele dafür sind der Raffineriestandort Schwedt, die Stahlherstellung in Eisenhüttenstadt, Stadt Brandenburg und Hennigsdorf, die Chemie in Schwarzheide und die Lkw-Produktion in Ludwigsfelde.Selbst für die Halbleiter-Herstellung in Frankfurt/Oder gibt es trotz aller Rückschläge jetzt einen hoffnungsvollen Neuanfang. TAGESSPIEGEL: Wie steht es mit der Produktivität, die ja laut Statistik immer noch viel zu niedrig ist? DREHER: Die genannten Unternehmen sind durchweg hochmodern.Sie sind auf dem letzten Stand der Produktivität.Diese These, die Lohnstückkosten in Ostdeutschland seien zu hoch, hat nichts mit der Realität zu tun.Das sind statistische Durchschnittswerte.Bei den modernisierten Ost-Betrieben liegt die Produktivität in der Regel auf Spitzenniveau und oft sogar über dem westdeutschen Stand.Das gilt natürlich in ganz besonderer Weise für alle Neuansiedlungen.Es wird also weiter aufwärts gehen mit der Industrie. TAGESSPIEGEL: Dann haben Sie im Rahmen des allgemeinen Gejammers über die bundesdeutschen Standortbedingungen ja echte Trümpfe in der Hand, wenn man neben der hohen Produktivität die immer noch niedrigen Lohnkosten und die mittlerweile deutlich verbesserte Infrastruktur noch hinzunimmt. DREHER: Stimmt.Das beweisen auch unsere Ansiedlungsgespräche.Mein Ministerium ist bis an die Kapazitätsgrenze mit der Betreuung ansiedlungswilliger Unternehmen aus dem In- und Ausland beschäftigt.Viele Projekte können in den nächsten Monaten unterschriftsreif werden.Insgesamt geht es um ein Investitionsvolumen in Höhe von über drei Mrd.DM und mehrere tausend Arbeitsplätze.Von einem Investitions-Stillstand kann also keine Rede sein. TAGESSPIEGEL: Geht das zu Lasten Berlins, wo die Abwanderung der Industrie seit dem Fall der Mauer eine regelrechte Wirtschaftskrise ausgelöst hat, deren Ende kaum absehbar ist? DREHER: Nein.Im Gegensatz zu dem, was in der Öffentlichkeit immer behauptet wird, handelt es sich nur in ganz seltenen Fällen um Abwanderungen aus Berlin in den sogenannten Speckgürtel.Die Ansiedlungsprojekte, über die wir zur Zeit verhandeln, konzentrieren sich auf Standorte in der Peripherie und es geht vor allem um ausländische Investoren.Seit der Wende haben wir ungefähr 6000 Ansiedlungsprojekte begleitet, davon kamen nur 82 aus Berlin.Damit wurden in Brandenburg 240 000 Arbeitsplätze geschaffen, wovon nur 3600 aus Berlin abgewandert sind. TAGESSPIEGEL: Trotz der offenkundigen Erfolge läßt das Wachstum zu wünschen übrig und ist jeder fünfte Brandenburger arbeitslos.Die Arbeitslosenquote steigt von Monat zu Monat... DREHER: Wir beobachten den Beschäftigungszuwachs in erster Linie in der Industrie und im Dienstleistungsbereich.Auch im Handwerk tut sich einiges.In dem Maße, wie sich die Industrie entwickelt, wachsen auch die produktionsorientierten Dienstleistungen.Dies alles reicht aber leider nicht aus, um die Einbrüche in der Bauwirtschaft und das Beschneiden des zweiten Arbeitsmarkts durch Union und FDP auszugleichen. TAGESSPIEGEL: Was bedeutet das für die ostdeutsche Wirtschaftspolitik der nächsten Jahre? DREHER: Wir brauchen noch über viele Jahre hinweg, während mehrerer Legislaturperioden, eine gezielte Reindustrialisierungspolitik für ganz Deutschland.Im Westen sind die Probleme ja prinzipiell nicht anders.Der Unterschied liegt im Niveau.Dazu gehört, daß unsere Technologie- und Forschungspolitik auf keinen Fall eingeschränkt werden darf, sondern sie muß noch ausgeweitet werden.Es kann zum Beispiel nicht angehen, daß der Bundeswirtschaftsminister die Förderung unserer Technologie-Agentur in Brandenburg einstellt und erwartet, daß hier im Selbstlauf neue Entwicklungen entstehen.Wir in Brandenburg werden versuchen, noch bis zur Sommerpause eine Technologiestiftung zu gründen, die über Fonds private Anlegergelder einwirbt, die dann als Risikokapital an junge High-tech-Firmen weitergegeben werden. TAGESSPIEGEL: Was muß neben der Aufstockung des Forschungsetats noch geschehen, um den stockenden Aufbau Ost wieder wirkungsvoll voranzubringen? DREHER: Der Osten Deutschlands hat trotz aller Fortschritte immer noch erhebliche Infrastrukturdefizite.Das betrifft besonders den Straßenbau jenseits der Autobahnen.Gerade in einem Flächenland wie Brandenburg ist das nötig, um in möglichst kurzer Zeit die Autobahnen zu erreichen.Bei uns haben gerade die Kommunen eine besonders gute Entwicklung genommen, die direkt an der Autobahn liegen.Und diejenigen, die abseits liegen, haben Probleme.Die von der Bonner Koalition vorgenommene Streckung verschiedener Infrastrukturprojekte muß nicht nur zurückgenommen werden, sondern es müssen Projekte vorgezogen werden, damit die Strukturnachteile vieler Randregionen schneller beseitigt werden.Gelingt das, können die West-Ost-Transfers entsprechend früher reduziert werden.Je schneller der Osten auf eigenen Beinen steht, desto früher wird die Ostförderung überflüssig. TAGESSPIEGEL: Bei der Braunkohle plädieren Sie gerade für eine Verlängerung der Schonfrist... DREHER: In Bonn wird zur Zeit über die Liberalisierung des Energiesektors verhandelt.Ich werde mich weiterhin für ein intelligentes Energiewirtschaftsgesetz einsetzen und bedaure es daher sehr, daß Bundeswirtschaftsminister Rexrodt im Augenblick im Alleingang versucht, die zweitbeste Regelung durchzusetzen.Mir geht es vor allem um eine Übergangsregelung für die ostdeutsche Braunkohle bis zum Jahr 2006.Rexrodt will uns nur Zeit bis 2003 geben.Das reicht nicht, um die hohen Investitionskosten im Energiesektor zu amortisieren und damit wettbewerbsfähige Preise im Osten zu sichern.Mit der Festlegung auf eine Zehn-Prozent-Quote sollten wir zudem garantieren, daß der Braunkohle-Strom auf dem deutschen Energiemarkt untergebracht wird.

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