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Diplomaten a. D.: Albrecht von der Heyden (l.) und Wolfgang Schultheiss sind nur noch Gäste im Auswärtigen Amt. Doch zur Ruhe gesetzt haben sich die beiden nicht.

© Mike Wolff

Von wegen Ruhestand: Einmal Diplomat, immer Diplomat

Ehemalige Botschafter und Konsule beraten Unternehmen – ihr Wissen ist von China bis Brasilien gefragt.

Von Carla Neuhaus

„Auf einmal fragt einen keiner mehr um Rat“, sagt Wolfgang Schultheiss. „Das eigene Wissen verschwindet einfach in der Versenkung.“ Der 67-Jährige sitzt an einem schmalen Café-Tisch im verglasten Innenhof des Auswärtigen Amts. Immer wieder kommen frühere Kollegen vorbei, immer wieder muss Schultheiss Hände schütteln. „Gerade frisch gedruckt“, sagt er dann und drückt ihnen einen Flyer in die Hand. „Diplo Consult, Beratung weltweit“, steht darauf. Diplo Consult heißt der Verein, den Schultheiss ins Leben gerufen hat und der pensionierte Diplomaten als Berater an Unternehmen, Organisationen und Hochschulen vermittelt.

Auch wenn Schultheiss an diesem Morgen das  Auswärtige Amt in Berlin durch den Mitarbeitereingang betreten hat, ist er hier heute nur noch Gast. Fünf Jahre war er deutscher Botschafter in Athen, hat davor in Santo Domingo, Kopenhagen, Algier und Wien gearbeitet. Seit zwei Jahren steht hinter seinem Titel auf der Visitenkarte „a. D.“, kurz für „außer Dienst“. Eigentlich, hatte Schultheiss gedacht, müsste doch auch nach der Pensionierung ständig sein Telefon klingeln und ihn jemand um Rat fragen. Doch solche Anrufe waren selten.

Er sprach mit früheren Kollegen und merkte schnell, dass es vielen ähnlich ging. Heute, knapp ein Jahr nach der Gründung von Diplo Consult, zählt der Verein gut 30 Mitglieder, alle waren früher Botschafter oder Generalkonsule. In Zukunft wollen sie zum Beispiel Unternehmen bei Investitionen im Ausland beraten, Einschätzungen zur Sicherheitslage vor Ort geben oder Regierungen unterstützen. „Wir wollen unser Wissen für die Gesellschaft nutzbar machen“, sagt Albrecht von der Heyden, der vor der Pensionierung zuletzt Generalkonsul in Shanghai war und sich heute ebenfalls bei Diplo Consult engagiert.

Immer mehr ältere Menschen, gerade diejenigen, die bis zur Pensionierung hohe Posten in der Wirtschaft oder Politik inne hatten, wollen sich wie Schultheiss oder von der Heyden nicht von heute auf morgen „zur Ruhe setzen“. Dabei geht es weniger ums Geld, sondern viel mehr um das Gefühl, gebraucht zu werden, und um den Wunsch, das eigene Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. In einer Befragung der Personalberatung Robert Half gaben 58 Prozent der deutschen Manager an, auch nach der Rente noch beruflich aktiv sein zu wollen. Die meisten von ihnen planen, später Unternehmen mit ihren Fachkenntnissen zu beraten.

Gleichzeitig setzen auch Großkonzerne vermehrt auf das Wissen der Rentnergeneration. Die Otto-Gruppe hat zum Beispiel in diesem Jahr die Tochterfirma Senior Expert Consultancy gegründet: Über sie sollen pensionierte Mitarbeiter als Berater oder Projekt-Mitarbeiter zurück ins Unternehmen geholt werden. Der Bosch-Konzern macht das bereits seit Jahren und setzt über die Bosch Management Support GmbH frühere Mitarbeiter als Berater ein. Sie unterstützen die Manager dann etwa beim Aufbau von Fertigungslinien im Ausland oder geben Hilfestellung bei der Qualitätssicherung in einem Werk. Allein im vergangenen Jahr hat der Konzern mehr als 570 pensionierte Mitarbeiter als Berater eingesetzt.

Der Verein will künftig Beratungen auch auf Rechnung anbieten.

Den Wunsch, sein Wissen weiterzugeben, hatte auch der Berliner Joachim Grzemba. Der Konfektmacher arbeitete mehrere Jahre lang als Produktionsleiter für die Schokoladenmarke Sarotti sowie beim Berliner Chocolatier Rausch. Als er mit 59 Jahren in Rente geschickt wurde, registrierte er sich beim Senior-Experten-Service (SES). Die Organisation, die von den Spitzenverbänden der Deutschen Wirtschaft getragen wird, vermittelt pensionierte Fachkräfte als Berater an kleine und mittlere Unternehmen weltweit. Derzeit sind beim SES gut 10 000 Senioren registriert, jeden Monat kommen gut 100 weitere hinzu.

Seit Grzemba Senior-Berater ist, fliegt er mehrmals im Jahr ins Ausland, berät Süßwarenhersteller in Brasilien, Bolivien, China oder Bulgarien. „Das macht einfach Spaß“, sagt Grzemba. „Ich werde gefordert und kann helfen.“ Manchmal sind es ganz einfache Tipps. In Brasilien bat ein Hersteller um Rat, weil seine Dragees nicht gelingen wollten. „Wir haben mehrere Versuche gemacht und nie hat es geklappt“, erzählt Grzemba, „bis ich festgestellt habe, dass sie nachts die Klimaanlage ausgestellt haben.“ Grzemba arbeitet ehrenamtlich. Die Unternehmen, die er berät, zahlen für Flug, Verpflegung und Unterkunft. Meist weiß der 69-Jährige gar nicht genau, was vor Ort auf ihn zukommt – so wie bei seiner nächsten Reise nach China. „Ich vermute, dass es um die Gelee-Produktion geht“, sagt er. „Mehr weiß ich nicht, denn das Unternehmensprofil habe ich auf Chinesisch bekommen.“

Auch Wolfgang Schultheiss plant seine erste Auslandsreise als Berater. Der Botschafter a.D. will nach Kambodscha reisen, um dort dem Senat in Protokoll-Fragen zu helfen. „Ich soll ihnen erklären wie man einen Staatsbesuch organisiert, der internationalen Ansprüchen genügt.“ Er erklärt dem Senat dann etwa, wann Gäste besser auf der Treppe, wann eher im Foyer empfangen werden, welche Flaggen gehisst werden müssen und wer beim Bankett neben wem am Tisch sitzen darf. Noch sind seine Reisen ehrenamtlich, über seinen Verein will Schultheiss aber künftig auch Beratungen auf Rechnung anbieten.

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