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Wirtschaft: Vor allem dieBundesbaustellen sind im Visier der Gewerkschaften

In der Bauwirtschaft im Raum Berlin-Brandenburg sind 40 Prozent ohne Job/Letztes Jahr mußten über 1000 Baufirmen Konkurs anmeldenVON SIGRID KNEISTAuf der größten Baustelle Europas geht deutschen Bauarbeitern die Arbeitaus.Die Stundenlöhne der ausländischen Kollegen sind bedeutend niedriger.

In der Bauwirtschaft im Raum Berlin-Brandenburg sind 40 Prozent ohne Job/Letztes Jahr mußten über 1000 Baufirmen Konkurs anmeldenVON SIGRID KNEIST

Auf der größten Baustelle Europas geht deutschen Bauarbeitern die Arbeitaus.Die Stundenlöhne der ausländischen Kollegen sind bedeutend niedriger.Der Streit ist programmiert.Die Situation ist schon absurd: In keinerStadt Deutschlands herrscht eine derart rege Bautätigkeit wie in Berlin.Mit dem Fall der Mauer setzte auf dem Baumarkt eine Entwicklung ein, die inDeutschland ihresgleichen sucht.Nirgendwo drehen sich soviele Kräne wiezwischen Spree und Havel, werden Unmengen von Baugruben ausgehoben undMauern hochgezogen.Rund um den Potsdamer Platz schaffen Konzerne wie Sonyoder Daimler-Benz Firmensitze, ein neues Regierungsviertel entsteht.Weltberühmte Architekten wie Renzo Piano, Helmut Jahn, I.M.Pei, NormanFoster und Dominique Perrault hinterlassen mit ihren Bauwerken jetzt auchin Berlin ihre Visitenkarten.Sogar die Fremdenverkehrsfachleute werben mitder Bautätigkeit in der Stadt.Für Touristen ist ein Ausflug zu denzahlreichen Baustellen im zentralen Bereich inzwischen fast schon ein Muß.Die von der Berliner Marketing-Gesellschaft "Partner für Berlin"organisierten "Schaustellen" mit Besichtigungstouren im vergangenen Sommerwaren ein voller Erfolg.Allein im vergangenen Jahr wurden in Berlin rund30 Mrd.DM verbaut, in Brandenburg beliefen sich die Investitionen im Bauauf 20 Mrd.DM.Gleichzeitig gibt es aber in der Region rund 51 000 Arbeitslose aus derBranche, was einem Prozentsatz von 40 Prozent entspricht.Mehr als 1000Firmen im Baugewerbe mußten im letzten Jahr Konkurs anmelden.Dasentspricht im Vergleich zum Vorjahr einer Steigerung um 30 Prozent.DieKrise ist groß."Das ist alles kein Problem der Nachfrage", sagt NorbertNickel von der Fachgemeinschaft Bau, die in den beiden Bundesländern rund1300 mittelständische Unternehmen vertritt.Nicht von ungefährkonzentrierte die IG Bauen, Agrar und Umwelt im März ihre einwöchigenProtestaktionen in Berlin.Bevorzugtes Ziel der Demostrationen waren dieBundesbaustellen.Denn die Gewerkschaften wie auch die Bauarbeitgeber sindbesonders darüber erbost, daß Bundestag und Bundesregierung von den vonihnen beauftragten Unternehmen keine Tariftreueerklärung verlangen.So ließen die Bauleute zum Abschluß der Protestwoche ihre Wut am künftigenSitz des Bundestages aus.Voller Zorn stürmten Hunderte Demonstranten dieReichstagsbaustelle; einige wenige, besonders erzürnte Protestiererschreckten auch nicht vor Verwüstungen im Inneren des Gebäudes zurück: Siestießen Baumaterialien um, warfen mit dicken Schrauben, spritzten mitFeuerlöschern, zündelten mit Papier.Auch wenn rund 20 000 Bauarbeiter aus der Region sich an den Protestenbeteiligten, auf den großen Bundesbaustellen war von den Auswirkungen kaumetwas zu merken.Die Arbeit ging dort weiter wie gewohnt, sehr zum Ärgerder Demonstranten.Denn ob am Reichstag oder am neu entstehendenBundespräsidialamt, überall schuften auch Arbeiter aus anderen Staaten derEuropäischen Union vor allem aus Portugal, England oder Irland.Und dieseArbeitskräfte, die in der Regel über ausländische Sub-Unternehmen nachBerlin kommen, sind bedeutend billiger als die einheimischen Arbeiter.Ander Untergrenze sollen Portugiesen in Einzelfällen nur rund 7,50 DMStundenlohn erhalten haben.Von 28 000 bis 30 000 EU-Ausländern auf Berliner Baustellen geht dieFachgemeinschaft Bau aus, in Brandenburg seien es etwa 10 000.Hinzu kommenin Berlin noch einmal 8000 sogenannte Vertragsarbeiter aus Osteuropa.Diesewaren direkt nach dem Fall der Mauer in großer Zahl auf die Baustellen inBerlin und im Umland geströmt.Sie spielen jetzt aber nicht mehr eine sobedeutende Rolle, da die Kontingente nach und nach zurückgestuft wurden.Sie wurden dann von 1992 an mit dem Beginn des Europäischen Binnenmarktesund der damit verbundenen Niederlassungsfreiheit für Arbeitnehmer vonArbeitskräften aus anderen Staaten der EU abgelöst.Seit Jahresanfang giltallerdings auch für ausländische Arbeiter ein Mindestlohn von 17 DM inBerlin und 15,64 DM in Brandenburg; wie in den anderen neuen Bundesländern.Ein einheimischer Facharbeiter hingegen erhält rund 25 DM, kostet aber mitallen Lohnnebenkosten 55 bis 60 DM.Sowohl die Einsatzgruppe Außendienst Bau vom Landesarbeitsamt, die seitAugust 1995 mit 120 Leuten im Einsatz ist, wie auch die gemeinsameErmittlungsgruppe Schwarzarbeit von Landesarbeitsamt, Zoll und Polizeiüberprüfen, ob diese Mindestlöhne auch wirklich gezahlt werden.SchwarzeSchafe unter den Arbeitgebern gibt es immer wieder, und denen drohendrastische Bußgelder.Diese setzen sich aus einem hochgerechnetenMarktvorteil, einem 20prozentigen Aufschlag und einer individuellen Strafezusammen.Die Höhe der Strafen kann bis 100 000 DM und darüber hinausgehen.Immer wieder werden bei den Razzien der Ermittler Schwarzarbeiteraufgegriffen.Beinahe täglich werden entsprechende Meldungenveröffentlicht.Genaue Angaben über die Zahl gibt es da naturgemäß nicht,die Dunkelziffer ist hoch.Fachleute gehen von 25 000 bis 30 000 illegalenArbeitskräften aus.Während den ausländischen Arbeitskräften ohne dieentsprechende Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis dann als direkte Folge dieAusweisung droht, ist es wesentlich schwerer, die Hintermänner zu belangen."Das ,versubt sich oft bis ins sechste, siebte Glied", weiß WilfriedReimann von der Sonderprüfgruppe Außendienst Bau.Denn auf den Baustellenwird mit den verschiedensten Sub-Unternehmen gearbeitet.Bei den ausländischen Firmen ist es aber auch manchmal durchausproblematisch, die Strafen einzutreiben.Selbst die Zustellung derSchreiben bereitet bisweilen schon Schwierigkeiten.Wird man aber derDrahtzieher habhaft, sind die Strafen drastisch.Nach Angaben aus derStaatsanwaltschaft erhielt ein Berliner Unternehmer, der durch dieBeschäftigung von Schwarzarbeitern einen Schaden von 800 000 DM angerichtethatte, eine Haftstrafe von drei Jahren.Den Engpaß bei der Verfolgung der Schwarzarbeitsdelikte sehen die Expertenvor allem bei Polizei und Justiz.Das Netz der Kontrollen sei engmaschiggenug, aber Folgeermittlungen könnten oft nicht richtig geführt werden.Erst vor kurzem forderten die Gewerkschaft der Polizei und der Bund derKriminalbeamten eine Aufstockung des Personals.Auch wenn die Ahndung derDelikte noch verschärft werden müsse, hat der Vorsitzende der IG Bauen,Agrar, Umwelt in Berlin und Brandenburg, Klaus Pankau, aber doch denEindruck, "daß die verhängten Bußgelder inzwischen Wirkung zeigen".Neben dem Problem des Lohndumpings macht der Bauwirtschaft in der Regionauch die schlechte Konjunktur zu schaffen.Während im vergangenen Jahr inBerlin noch ein Zuwachs von einem Prozent und in Brandenburg von zweiProzent erreicht wurde, rechnet die Fachgemeinschaft Bau für 1997 mit einemAbschwung."Bei Büro- und Industriebauten spielt sich nichts mehr ab", sagt SprecherNickel.Und angesichts der desolaten Finanzsituation der Haushalte derKommunen und der Länder sei auch in diesem Sektor nicht mehr viel zuerwarten.Allein im Bereich Modernisierung und Instandsetzung im Hochbauseien die Fördermittel des Landes Berlin von 1,2 Mrd.DM im Jahr 1995 auf810 Mill.DM für dieses Jahr zurückgestuft worden.Die Finanzkrise der öffentlichen Hand betrifft nach Ansicht derFachgemeinschaft besonders auch die mittelständischen Unternehmen, diegerade auch von diesen Aufträgen profitiert hätten.Der öffentliche Baumacht im gesamten Bauvolumen durchschnittlich einen Anteil von 30 Prozentaus, ebenfalls die Aufträge aus der Wirtschaft.Der Anteil des Wohnungsbausbeläuft sich auf 40 Prozent.In ihrem letzten Vierteljahresbericht zurBeurteilung der Bauwirtschaft konstatiert die zuständige Senatsverwaltung:"Die bauwirtschaftliche Entwicklung Berlins hat offensichtlich eineWachstumspause eingelegt."

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