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Wirtschaft: Vorbild Dampflok

Die meisten Verkehrspolitiker sind sich einig: Nach der EU-Osterweiterung muss mehr Geld in die Schienenwege fließen

Berlin - In 27 Stunden per Zug von Berlin nach Tallinn? Das klingt nach einem ehrgeizigen Ziel. Derzeit dauert die Fahrt etwa 60 Stunden. Und nach Breslau braucht man mit der Eisenbahn derzeit sechs Stunden, besser wären zweieinhalb Stunden. Unrealistisch ist das nicht. Denn im 19. Jahrhundert wurden die kürzeren Reisezeiten mit Dampflokomotiven geschafft. Voraussetzung wären allerdings milliardenschwere Investitionen in das über Jahrzehnte vernachlässigte Schienennetz. Deshalb fordern Verkehrspolitiker in einer fraktionsübergreifenden Initiative im Europaparlament von der EU-Kommission, ihre Mittel stärker auf die West-Ost-Verbindungen zu konzentrieren, statt teure Projekte wie den Brenner-Tunnel voranzutreiben.

„In Deutschland gibt es Schienenprojekte zur deutschen Einheit, aber noch gibt es keine entsprechenden europäischen Projekte“, sagte Albert Schmidt, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, am Freitag in Berlin. Zwar gebe es eine Liste der EU zu Transeuropäischen Netzen (TEN) mit 30 Projekten, „aber die sind nur ein Sammelsurium europäischer Egoismen“, sagte der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Michael Cramer. Bei TEN sei „viel Unsinn dabei, der mit Europa nichts zu tun hat“. Dabei seien die Investitionsmittel stark begrenzt, sagte Schmidt. Bei den TEN würden die Gesamtkosten bis 2020 auf 600 Milliarden Euro geschätzt, in der Haushaltslinie der EU stünden aber für die Jahre 2000 bis 2006 lediglich 4,855 Milliarden Euro. Selbst wenn die EU im Schnitt die Projekte nur zu 20 Prozent bezuschussen und die jeweiligen Staaten den Rest der Kosten aufbringen würden, bedeute das bei der aktuellen Finanzlage: Bis alle Projekte realisiert wären, dauere es 120 Jahre.

In einer schriftlichen Erklärung fordern deshalb neben Cramer vier weitere Europaabgeordnete – ein Liberaler, ein Sozialist, ein Linker und ein Christdemokrat – die Festlegung von Prioritäten. Bei der Finanzierung müssten die Strecken von Berlin nach Warschau bis ins Baltikum und auch die Achse von Paris bis Wien und Bratislava ( siehe Karte ) bevorzugt werden. Ebenfalls auf der Liste stehen die Verbindungen von Lyon über Budapest bis an die ukrainische Grenze und von Athen über den Balkan bis nach Sachsen. „Schon ein Bruchteil der Mittel, die in den Brenner-Tunnel gesteckt werden sollen, würde für die Strecke nach Tallinn ausreichen“, sagte Cramer. „Der Tunnel ist für mich auch das letzte Stück der Achse Berlin-Verona, nicht das erste.“ Die EU-Kommission sieht das zurzeit noch anders.

Das, was für die europäische Ebene gelte, gelte auch für Deutschland. „In den letzten Jahren ist viel Geld für die Nord-Süd-Verbindungen ausgegeben worden, jetzt müssen auch die West-Ost-Relationen hinzukommen“, sagte Schmidt. Schließlich sei Deutschland durch die EU-Osterweiterung noch mehr zum Transitland geworden. In den Bundesverkehrswegeplan seien auch eine Reihe von Projekten zur besseren Anbindung Richtung Polen und Tschechien aufgenommen worden.

Auch der Lobbyverband Allianz pro Schiene forderte einen verstärkten Ausbau der Bahnstrecken gen Osten, denn nach der EU-Erweiterung explodiere der Güterverkehr auf der Straße. Die Union machte der Bundesregierung schwere Vorwürfe. Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von CDU/CSU zeige, dass der Ausbau der Schienenwege nach Polen noch schleppender als erwartet vorangetrieben werde, teilte Dirk Fischer, der verkehrspolitische Sprecher der Union, mit.

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